Guilty of Romance

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Ein Liebeshotel, in dem sich Schicksale kreuzen

Nun hat er es schon wieder getan: Kaum hat man sich von dem durchgeknallten vierstündigen Meisterwerk Love Exposure erholt, zaubert das japanische Regie-Wunderkind Sion Sono flugs zwei neue Filme aus dem Hut – Cold Fish, der erste der beiden, wird in Kürze auf dem Fantasy Film Fest zu sehen sein, der zweite, Guilty of Romance, der in Cannes zu sehen war und der die „Hass-Trilogie“ Sonos abschließt, folgt mit einem regulären Kinostart auf den deutschen Leinwänden. Bislang allerdings noch ohne festen Termin.
Drei Frauen stehen im Mittelpunkt der ausufernden, wild zwischen den Zeitebenen hin und her springenden Geschichte: Da ist zum einen die offensichtlich sadomasochistisch veranlagte Polizistin Kazuko (Miki Mizuno), deren Schäferstündchen mit einem ebenso namen- wie gesichtslosen Verehrer durch einen Anruf gestört wird, der sie zu einem schrecklichen Tatort ruft, wo eine bizarr zugerichtete Frauenleiche auf sie wartet. Von dem Körper der Toten ist nur noch der Rumpf übrig, der Kopf, die Arme und die Beine wurden durch „Ersatzteile“ einer Schaufensterpuppe ersetzt. Die Ermittlungen der Polizistin führen direkt zum Leben der anderen beiden Protagonistinnen, von denen Guilty of Romance erzählt.

Die eine, Izumi (Megumi Kagurazaka), ist ein braves Hausfrauchen, das sich bedingungslos der Pedanterie und Ordnungsliebe ihre Ehemannes (Kandji Tsuda) unterordnet. Der ist ein Schriftsteller schnulziger Liebesromane und verlässt jeden Morgen um die gleiche Uhrzeit das gemeinsame Haus, in dem Izumi jede Staubfluse unter Kontrolle hat und mit Freude und Unterwürfigkeit die exakte Position der Hausschuhe überprüft, in die der fleißige und stets verbindlich freundliche Ehemann des Abends nach getaner Arbeit schlüpft. Die Ehe, die die beiden führen, ist wahrhaft keine romantische, sondern eine Verbindung, deren Starrheit und Konventionalität sich noch dadurch verstärkt, dass des Schriftsteller-Gatten Elaborate in Buchform genau jene Art von Büchern sind, die als Trostspender für die frustrierte Hausfrauen-Seele dienen.

Schüchtern und unterwürfig fragt sie den Gatten eines Tages, ob der ihr erlaube, während des Tages einer anderen Tätigkeit als nur dem tristen Dasein als Hausmütterchen nachzugehen – und oh Wunder, milde wird der Wunsch nach mehr Eigenständigkeit vom Hausherrn abgesegnet. Wenn er freilich geahnt hätte, welche Folgen diese Entscheidung nach sich zieht, hätte er es sich vermutlich noch einmal anders überlegt. Denn während Izumi anfangs noch Würstchen in Supermärkten anpreist und feilbietet, gerät sie bald durch eine junge Frau ins Porno-Business, wo sie die Lust an der Lust entdeckt und mittels der nymphomanen Literaturprofessorin und Teilzeitprostituierten Mitsuko (Makoto Togashi) schließlich in einen Strudel und Sex und Gewalt gerät, der in einem Lovehotel im Rotlichtbezirk von Tokio endet.

Was Sion Sonos Film ebenso wie seine anderen Werke auszeichnet, ist weniger der kaum vorhandene Realismus, sondern die Lust an der Übertreibung, die wilde Mixtur aus Thriller und Melodram, aus Bataille, Kafka und Fincher, gewürzt mit „pinku-eiga“-Zitaten und garniert mit an italienische „gialli“ erinnernden Farbexplosionen, wilde Zeitsprünge und andere formalen Gewagtheiten. So überbordend von Ideen, Formexperimenten und anderen Exzentritäten ist im an Talenten nicht gerade armen Japan sonst kein Regisseur und selbst weltweit muss man lange suchen, bis man solch eine Lust am Kino auf der Leinwand zu sehen bekommt. Im Rausch der Vielfalt und des Bizarr-Befremdlichen wird die Story schnell zur Nebensache.

Beachtlich ist vielmehr der Subtext, den Sono in seinen Film einwebt: Das Nachspüren von Konventionen, Ritualen und unterdrückten Perversionen als Determinanten der japanischen Gesellschaft, die verhängnisvolle Verknüpfung von Sexualität und Gewalt als heimliche Triebkräfte hinter der perfekten Fassade der Wohlanständigkeit und die radikale Zwangsläufigkeit, mit der Verstöße gegen die Norm unweigerlich in eine Abwärtsspirale münden aus der es vor allem für Frauen kein Entrinnen gibt.

Ein ganz und gar irrer Film, der vor allem die wachsende Fangemeinde Sion Sonos begeistern wird. Wer die Werke des japanischen Ausnahmeregisseurs bislang noch nicht kennt, sollte allerdings zuerst mit Love Exposure oder einem anderen Film aus dem Werk des Meisters beginnen. Guilty of Romance fällt definitiv in die Kategorie „Sion Sono für Fortgeschrittene“.

Guilty of Romance

Nun hat er es schon wieder getan: Kaum hat man sich von dem durchgeknallten vierstündigen Meisterwerk „Love Exposure“ erholt, zaubert das japanische Regie-Wunderkind Sion Sono flugs zwei neue Filme aus dem Hut – „Cold Fish“, der erste der beiden, wird in Kürze auf dem Fantasy Film Fest zu sehen sein, der zweite, „Guilty of Romance“, der in Cannes zu sehen war und der die „Hass-Trilogie“ abschließt, folgt mit einem regulären Kinostart auf den deutschen Leinwänden. Bislang allerdings noch ohne festen Termin.
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