Nimmermeer

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Das Meer und das Niemals-Wieder

Der Titel dieses Spielfilmdebüts von Toke Constantin Hebbeln, Absolvent der Filmakademie Baden-Württemberg, lässt bereits vermuten, dass es sich dabei um etwas Märchenhaftes handelt, und genau so verhält es sich auch. Nimmermeer, der neben anderen Auszeichnungen 2007 den Studenten-Oscar erhielt, erzählt die beinahe archaische Geschichte eines kleinen, armen und verlassenen Jungen, der sich verzweifelt bemüht, den Feindseligkeiten seiner sozialen Umwelt zum Trotz seinen eigenen Platz innerhalb der Unwegsamkeiten des Lebens zu finden.
Bei dem einst großartigen Fischer Helge Block (Rolf Becker) und seinem Sohn Jonas (Leonard Proxauf) herrscht bittere Armut, denn das Meer gibt kaum mehr genug Fische für das eigene Überleben her. Es gelingt dem hart kämpfenden, erschöpften Mann auch nicht, eine andere Arbeit zu finden, denn die Dorfgemeinschaft hat kein Erbarmen, im Gegenteil, und selbst der kleine Jonas wird von seinen Altersgenossen verspottet und drangsaliert. Doch den Vater, der sich gewaltig anstrengt, um die desolate Situation durch die immer gleichen ritualhaften Sprüche nicht hoffnungslos erscheinen zu lassen, und den Sohn verbindet eine herzliche Zuneigung, denn sie sind einander einfach alles, was sie haben.

Dann geschieht allerdings die größtmögliche Katastrophe: Helge kehrt nicht mehr vom Fischen zurück, und sein Boot wird als Wrack am Strand gefunden. Da stehen sie nun vor der Tür seiner Hütte, die Dorfbewohner, um Jonas unter die Fittiche des Pfarrers Ekdahl (Sylvester Groth) zu bringen, dessen mittlerweile jugendliches Mündel Knut (Tom Lass) den Jungen allerdings erst einfangen muss, denn Jonas rennt in seiner unsagbaren Not zum Meer, um den Vater zu suchen, der allerdings niemals mehr heimkehren wird. Im Haushalt des Pfarrers erwartet den zutiefst traumatisierten Knaben ein streng geregeltes Leben, dem Jonas immer wieder zu entfliehen sucht, und auch Knut träumt davon, mit einem Circus fortzuziehen, der ab und zu im Dorf gastiert und das triste Dasein der Bewohner für eine kleine Weile in Imaginationen, Träume und Gelächter hüllt.

Auch Jonas entdeckt rasch seine Faszination für den Circus, zumal ihm der Magier Grido Garibaldi (Manni Laudenbach) Einblicke in die Geheimnisse seiner Zauberwelten gewährt, die stark an seine Trauer rühren, zu dessen Verarbeitung der Junge sonst gar keine Gelegenheit bekommt. Es entwickelt sich eine seltsame Freundschaft zwischen Jonas und Grido, der dem Kleinen helfen will, die von fantastischen Träumen und Vorstellungen begleitet wird, in denen sich Jonas mit dem Tod seines geliebten Vaters auseinander setzen kann. Nun begreift er die traurige, doch unabänderliche Realität, dass dieser nie wieder zu ihm zurückkehren wird und er fortan allein die Entscheidungen treffen muss, die sein junges, einsames Leben angehen.

Nimmermeer zeichnet sich in seiner Dramaturgie und Inszenierung vor allem durch die Ambivalenz seiner Charaktere und die verknüpfende, an Anspielungen reiche Bildsprache aus, die den Film in ihrer surrealistischen Intensität zu einem Märchen mit einer ungehorsamen Moral werden lässt, die in der Tradition zahlreicher Klassiker von Geschichten über arme, verlassene Kinder in einer widrigen Welt steht. Doch erscheint in diesem Debüt von einer Stunde Länge, dessen Drehbuchfassung als ganz besonderes Extra auf der DVD zu finden ist, das Märchenhafte mit den äußeren Ereignissen mitunter nicht immer stimmig vernetzt, so dass eine beinahe beliebige, bei Zeiten zu esoterisch und simpel angelegte Trickhaftigkeit dominiert, die der bedeutsamen Entwicklung und Befreiung des Jungen nur einen angedeuteten Raum überlässt. Was als berührende, stark gespielte Geschichte beginnt, verliert sich immer mehr in einer mystischen, aber gefälligen Märchenwelt, die jedoch zweifellos hübsch anzusehen ist.

Nimmermeer

Der Titel dieses Spielfilmdebüts von Toke Constantin Hebbeln, Absolvent der Filmakademie Baden-Württemberg, lässt bereits vermuten, dass es sich dabei um etwas Märchenhaftes handelt, und genau so verhält es sich auch.
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