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Bücher: Gedanken zu Literatur und Kino 2021

Ein Beitrag von Sonja Hartl

Ein Blick auf die Literaturverfilmungen des Jahres 2021 – und sieben Tipps für interessante Filmbuchneuerscheinungen.

Seit mehreren Jahren bin ich in einem Literaturmagazin zuständig für die Filmseiten und die Maßgabe ist: Es sollen dort Filme besprochen werden, die einen Bezug zur Literatur haben. Nun war es 2021 allein schon aufgrund der geschlossenen Kinos und verschobenen Kinostarts oft eine Herausforderung, diese Seiten zu gestalten. Aber bei den Literaturverfilmungen zeigt sich auch eine Entwicklung, die sich auf das Kino insgesamt beziehen lässt: Immer mehr „Mittelbau“- und Arthouse-Filme verlagern sich zu Streaminganbietern. Das sind zum einen Filme, die sich an ein eher jugendliches Publikum richten und deren Vorlagen nicht von J.K. Rowling stammen, oder ein Film wie Rebecca Halls Seitenwechsel. Ob es funktionieren wird, diese Filme auch im Kino zu zeigen (was meiner Meinung vor allem damit zusammenhängt, die Oscar-Chancen der Beteiligten zu erhalten) oder sie dauerhaft ausschließlich zu den Plattformen abwandern, wird sich noch zeigen. Aber es ist ein weiterer Hinweis darauf, dass Kino immer mehr zum Event wird. 

 

Aber auch in diesem schwierigen Kino-Jahr gab es einige Filme, die mich nicht nur als Film, sondern als Literaturverfilmung überzeugt haben – für mich bedeutet das, dass sie dem literarischen Ausgangsmaterial etwas hinzufügen: in der Inszenierung, der Anlage der Geschichte. Das zeigt sich sehr gut an einem Film, der weithin eher weniger als Literaturverfilmung wahrgenommen wird: Maria Schraders Ich bin dein Mensch. Er basiert auf einer Kurzgeschichte von Emma Braslavsky, in der eine wesentlich radikalere Version der Beziehung zwischen einer menschlichen Frau und einem männlichen Roboter erzählt wird. Im Tonfall, in den grundlegenden Überlegungen findet sich im Film, was auch in der Kurzgeschichte ist. Das Ende aber wäre in einem Film viel schwieriger zu erzählen – und so muss diese Geschichte auch nicht. Daher überzeugt Schraders Film, vielleicht sogar gerade wegen dieser Unterschiede: Schließlich wird er dadurch zu einer eigenständigen Interpretation. 

 

Auch Ryusuke Hamaguchis Drive My Car basiert auf einer Kurzgeschichte – und zwar von Huraki Murakami. Er ist der ungleich prominentere Autor, deshalb wird bei diesem Film in der Vermarktung der Adaptionsaspekt stärker betont. Nun gehöre ich zu den wenigen Menschen, die keine Fans von Murakami sind – aber bei diesem Film haben mich noch nicht einmal die für Murakami typisch prätentiösen Sätze wirklich gestört. Oder die leicht überlangen Theaterszenen. Vielmehr ist er ein ambitionierter Versuch, tatsächlich Literatur und die Arbeit mit Worten, mit Texten auf der Leinwand zu zeigen. Und Hauptdarsteller Hidetoshi Nishijima ist so sensationell gut in diesem Film, dass ich hoffe, er wird mit Preisen überschüttet. 

 

Ebenfalls überzeugt hat mich Nana Neuls Töchter, der auf Lucy Frickes Bestseller basiert. Es ist ein ungewöhnliches Road-Movie, denn es sind Frauen, die sich auf den Weg machen und sie suchen nicht nach dem Sinn in ihrem Leben, sondern bleiben in Bewegung, um ihrem Leben zu entkommen und zu entscheiden, in welche Richtung es weitergehen soll. Außerdem dürfen sie vieles, was Frauen im Kino nur selten dürfen: Unvernünftig und verantwortungslos sein zum Beispiel, sich völlig egoistisch verhalten. Dazu trifft der Film genau den zwischen Komik und Tragik balancierenden Ton – und es gibt hinreißende Dialogzeilen. Ein Highlight: Betty fragt Martha, was sie denn so hart gemacht habe. Und Martha antwortet schlicht: „Familienplanung“. In diesem einen Wort enthüllt sich eine ganze Hintergrundgeschichte, die nicht auserzählt oder mit Rückblenden versehen wird, die nicht zum großen Drama, der großen Erkenntnis führt. Und in der auch diejenigen, die die Romane von Lucy Fricke nicht kennen, viel über Martha erfahren.

 

Klassiker zu adaptieren ist immer eine Herausforderung, aber wenn sie gemeistert wird, wird es meistens richtig gut. In diesem Jahr war Dominik Grafs Fabian oder der Gang vor die Hunde eine gute, aufregende Kästner-Adaption, die modern anmutet – ganz im Gegensatz zum Beispiel zur Verfilmung der Schachnovelle. Auch Fabian hätte sich noch etwas vom „leidenden liebenden Mann“ entfernen können, aber allein die Berlin-Bilder dieses Films und die Arbeit mit verschiedenen Filmmaterialen sind beeindruckend. Dadurch setzt er auch den omnipräsenten Berlin-Babylon-Hochglanzbildern dieser Zeit etwas entgegen. 

 

Und keine Literaturverfilmung ist Lieber Thomas, sondern ein Biopic über Thomas Brasch. Dieses Genre wird von vielen ja als noch altbackener wahrgenommen, aber auch hier gilt: macht es man es richtig, wird es richtig gut. Und wenngleich dem insgesamt weniger nackte Frauenkörpern gutgetan hätten, bringt er Braschs Ruhelosigkeit und Getriebenheit mit den Schwarz-Weiß-Bildern, dem Schnittrhythmus, den Kapiteleinblendungen und der hervorragenden Besetzung wirklich sehr sehenswert zum Ausdruck. Auch das ist ein gutes Beispiel dafür, wie man Literatur auf die Leinwand bringen kann, ohne allein auf die Erzählstimme aus dem Off zu setzen.

Steidl
Federico Fellini. Von der Zeichnung zum Film.

Fellini in Essen

Noch bis zum 20. Februar 2022 sind im Museum Folkwang in Essen bisher noch nie öffentlich gezeigte Zeichnungen von Federico Fellini zu sehen. Die Ausstellung stellt die rund 220 Zeichnungen Filmstills, -ausschnitte, Drehbuchauszüge und Filmplakate gegenüber, um seinen Arbeitsprozess deutlich zu machen. Nach Essen geht es dann vom 24.06. bis 04.03.23 weiter ins Kunsthaus Zürich. Und wer weder nach Essen noch nach Zürich kommt, der kann sich das Buch zur Ausstellung kaufen. 

Museum Folkwang (Hrsg.): Federico Fellini. Von der Zeichnung zum Film. Steidl 2021. 216 Seiten. 28 Euro.

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