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„Die Q ist ein Tier“ von Regisseur und Schauspieler Tobias Schönenberg ist eine Mischung aus klamaukigem Kleinstadtkrimi und eloquenter ethisch-philosophischer Gesellschaftskritik. Ein Polizist*innen-Duo stößt auf unterschiedlichste Ansichten zu Schlachtbetrieben und Fleischkonsum.

Die Q ist ein Tier (2023)

Eine Filmkritik von Stefanie Borowsky

Dürfen wir Tiere schlachten?

Schlachthofbetreiber Werner Haas (Martin König) schäumt vor Wut. Vor seinem Haus im beschaulichen niedersächsischen Mahrendorf hat jemand einen stattlichen Haufen Schlachtabfälle abgeladen – garniert mit einem Pappschild mit der Aufschrift „Beendet das Schweigen – Tiere wollen leben“. Die Polizist*innen Helena Spahn (Anna Pfingsten) und Torben Kugler (Martin Timmy Haberger) nehmen die Ermittlungen in dem 16000-Seelen-Ort auf. In Haas’ Nachbarschaft hören sie sich zuerst um – und treffen auf die resolute Schlachthofgegnerin Frau Kielmann, die behauptet, im Schlachtbetrieb angeschrien und geschlagen worden zu sein, nachdem sie durstigen Schweinen aus Mitleid Wasser gegeben habe. 

Während der folgenden Befragungen auf dem Schlachthof schildern Mitarbeiter*innen mit sprechenden Berufsbezeichnungen wie Treiber, Betäuber, Stecher oder Zerteiler detailreich ihre täglichen Tätigkeiten und machen damit die Abläufe im Schlachtbetrieb greifbar. Doch ist Frau Kielmann wirklich geschlagen worden? Und wer steckt hinter der Aktion im Vorgarten von Unsympath Werner Haas? Das Polizist*innen-Duo lässt sämtliche Tierrechtsaktivist*innen aus der Umgebung aufs Revier kommen – und hört während der Nachforschungen immer wieder neue Meinungen zum Themenkomplex Fleischkonsum und Massenschlachtbetriebe.

Parallel dazu recherchiert auch die findige Emily Hahn (Annaleen Frage), Volontärin beim Lokalblatt „Mahrendorfer Bote“, eifrig im Fall des Schlachthofbetreibers und bohrt u. a. beim Gewerbeaufsichtsamt, der Unteren Wasserbehörde und dem Gemeinderat nach. Emily lässt sich nicht blenden, stellt die richtigen Fragen – und stößt schon bald auf Ungereimtheiten. Hat Werner Haas illegale Pläne für die Erweiterung seines Schlachtbetriebs? Und warum stoppen ihn Ämter und Behörden nicht?

Mit Die Q ist ein Tier legt Regisseur und Schauspieler Tobias Schönenberg (Zehn Sekunden Himmel), als Darsteller u. a. bekannt aus der Vorabend-Soap Verbotene Liebe, einen Film zu einem relevanten Thema vor – und regt mit seinem einfachen wie konsequent umgesetzten Konzept zum Hinterfragen und Zweifeln an: Woher kommt das Fleisch, das wir essen? Wie gehen wir mit unseren Mitgeschöpfen um? Müssen wir alle Vegetarier*innen oder Veganer*innen werden oder ist es in Ordnung, Bio-Fleisch zu konsumieren? Dürfen wir Tiere essen, die ein gutes Leben hatten? 

Kammerspielartig lässt Schönenberg zahlreiche Figuren mit unterschiedlichsten Ansichten auftreten – insgesamt sind es 53, angelehnt an die 53,2 Millionen im Jahr 2019 in Deutschland geschlachteten Schweine. Dabei umfasst sein buntes Ensemble viele Teile der Gesellschaft: Polizei, Presse, Ämter und Behörden, Anwohner*innen und Fleischkonsument*innen, Schlachthofmitarbeiter*innen, Tierrechtsaktivist*innen, Vegetarier*innen und Veganer*innen sowie Veterinär*innen. Trotz der Kürze der Szenen sind die – wenn auch zum Teil satirisch überzeichneten – Figuren und ihre mal flapsig-abwinkenden („Schnitzel machen mich doch nicht traurig!“), oft kritischen und bedrückenden Äußerungen glaubhaft. Das reduzierte Setting der Befragungen und Verhöre bewirkt, dass die Zuschauer*innen – genau wie die beiden eher passiv agierenden Polizist*innen – über lange Strecken des Films vor allem gut zuhören und sich auf das Gesagte konzentrieren müssen.

Auch wenn die monologartigen Wortbeiträge der vielen verschiedenen Darsteller*innen die Filmschauenden nach einer Weile durchaus überfordern können, hat jede einzelne Rolle ihre Berechtigung und trägt eine weitere Perspektive zum Diskurs um Tierwohl, Schlachtbetriebe und Fleischkonsum bei. So geben sich etwa ein Anti-Pelz-Aktivist („Sie schützen den Schlachthof, nicht die Schweine!“), eine Lebenskünstlerin und Veganerin („Was ist denn Schlachten anderes außer Morden?“), eine Juristin („Ein Hartz-IV-Empfänger kann sich keinen Tofu leisten!“) und die Leiterin von „Liebe auf Pfoten e.V.“ („Manche Tiere sind nun mal Nutztiere und die sind dazu da, dass wir sie nutzen!“) auf dem Polizeirevier die Klinke in die Hand und stehen eloquent für ihre Position und für sich selbst ein.

Grausame Bilder aus dem Inneren des Schlachthofs, einem Nicht-Ort, den viele Menschen gern ausblenden, spart Schönenberg aus. In seiner mutigen Mischung aus klamaukigem Provinzkrimi und sprachgewaltiger ethisch-philosophischer Gesellschaftskritik, die auf der Idee von Produzent Tobby Holzinger und dem Drehbuch der Autorin, Journalistin und Philosophin Hilal Sezgin beruht, lässt er seine Figuren erzählen – und die Bilder des Schlachtvorgangs entstehen im Kopf der Zuschauer*innen. So fordert der Film, der im Rahmen einer von der Agentur für Arbeit geförderten Filmschauspiel-Weiterbildung entstand und den Schönenberg bereits auf einigen Filmfestivals im In- und Ausland präsentiert hat, jede*n einzelne*n zum Mitdenken und Reflektieren des Status quo auf: Versagen wir beim Thema Fleischkonsum kollektiv?

Die Q ist ein Tier ist ein engagiertes Filmprojekt, das Diskussionen anstoßen soll und wird. Trotz der vielen unterschiedlichen Meinungen, die Tobias Schönenberg gleichwertig nebeneinanderstellt, macht er seine Haltung deutlich: Im Abspann zitiert er zwei Paragraphen aus dem über 50 Jahre alten Tierschutzgesetz, mit denen er daran erinnert, dass der Mensch Verantwortung für das Mitgeschöpf Tier trägt, es schützen muss und nur aus einem „vernünftigen Grund“ töten darf. Die Frage, ob Fleischkonsum ein „vernünftiger Grund“ ist, ein Lebewesen zu töten, und Massenschlachtbetriebe wie der von Werner Haas weiterhin bestehen sollten, können sich die Zuschauer*innen nach dem Kinobesuch selbst beantworten.

Die Q ist ein Tier (2023)

In einer Nacht-und-Nebel-Aktion werden dem Schlachthof-Betreiber Werner Haas Schlachtabfälle in seinen Vorgarten gekippt. Wutschnaubend erstattet er Anzeige gegen Unbekannt und bringt damit unüberlegt etwas in Bewegung, das sich nicht mehr stoppen lässt.

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