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Die Amazon-Prime-Serie Solos“ hat eine gute Idee, hält sich aber selbst nicht daran.

Solos (TV-Serie, 2021)

Eine Filmkritik von Maria Wiesner

Große Stars, wenig Inhalt

Manche Ideen klingen auf dem Papier sehr gut, scheitern dann aber an der Umsetzung. Die Amazon-Prime-Miniserie Solos ist dafür ein aktuelles Beispiel. Die Idee von Produzent David Weil, der hier auch in drei Folgen sein Regiedebüt gibt, klingt erst einmal ganz vielversprechend: Pro Episode gibt es nur eine*n Darsteller*in. Gespielt wird an einem Ort, quasi ein Kammerspiel fürs Fernsehen; gerade in Pandemiezeiten gut zu produzieren, da die lästigen Schutzmaßnahmen für ein großes Schauspielensemble wegfallen. Und da die britische Serie Black Mirror zeigt, wie gut Science Fiction ankommt, spielt das alles in einer mehr oder weniger entfernten Zukunft. Weil konnte für Amazon dann auch große Namen für die sieben Episoden verpflichten: Morgan Freeman, Anne Hathaway, Helen Mirren, Anthony Mackie, Constance Wu. Kann da groß etwas schief gehen?

Durchaus, wenn man dabei das Drehbuch aus den Augen verliert. Die ersten Episoden sind noch ganz charmant. Relativ unvorbereitet wird man in ein Zukunftsszenario geworfen, dessen Rahmenbedingungen man sich langsam selbst erschließen muss. Da sitzt Anthony Mackie als „Tom“ in der gleichnamigen Episode etwa sich selbst gegenüber, einem geklonten „Tom 2“, dem er zunächst einmal vorwirft, komplett anders auszusehen als das Bild, das er jeden Tag im Spiegel beobachtet. Worauf „Tom 2“ antwortet: „Das ist deine Nase, das ist dein Nacken, du bist halt ein Arschloch.“ Und ihn auffordert, bei der Service-Hotline anzurufen, um seinen Arschlochquotienten zu checken. Er sei, auch was die Arschlochqualität angehe, komplett in seinem Ebenbild gestaltet. Witz ist hier eher amerikanisch, soll heißen: nicht gerade subtil formuliert. Doch wie steht es um den Rest?

Dietmar Dath schrieb in Niegeschichte, seiner ästhetischen Analyse der Science Fiction: „Man kann Science Fiction erstens als Kunst genießen, und man kann mit ihr zweitens Dinge und Verhältnisse denken, die ohne sie ungedacht bleiben müssten.“ Das Genießen mag bei Solos noch gelingen, wenn man sich rein an der Oberfläche aufhält. Neben hübschen Ideen zu Kostüm und Ausstattung – Tom im weinroten teuren Anzug vor einer blendend hellen Fensterfront, die sein Ende schon vorwegnimmt vs. „Tom 2“ im hellblauen Kaschmirpullover vor einer dunkelgrünen Wand, die das „Leben“, das der Klon hier noch vor sich hat, andeutet – ist hier die herausragende Schauspielleistung hervorzuheben. Die hätte man von Mackie nicht anders erwartet (ebenso von Freeman, Hathaway oder Mirren). Mackie gibt in der Tom-Doppelrolle alles, egal ob ihm das Drehbuch Witzchen über die furzende Ehefrau gibt oder die Gelegenheit schenkt, Tränen fließen zu lassen. Doch auch die beste Schauspielleistung kann die Lücken im Plot nicht ausgleichen.

Weil und seine Co-Autorinnen interessieren sich nicht wirklich für die Welt, in der die Figuren hier stecken. Und sie interessieren sich noch nicht einmal richtig für die Figuren, die hier mal durch die Zeit, mal durchs All und mal durch ihre Erinnerungen reisen müssen. Die Themen, die hier behandelt werden, sind das Kinderkriegen, Ehekrisen, verlorene Lieben, selbstzerstörerisches Verhalten, Paranoia. Es bleibt aber unklar, warum beispielsweise Helen Mirren als Seniorin „Peg“ durchs All fliegen muss, um zu erkennen, dass sie ihre große Liebe aus Unentschlossenheit verpasst hat. („Plötzlich war ich 50 und hatte Falten.“) Oder warum Anthony Mackie als „Tom“ den Dialog mit dem Klon braucht, um zu erkennen, dass er seine Familie liebt und ihm der Abschied Leid tut. In beiden Fällen hätte diese Geschichte auch in einem Gespräch mit dem besten Freund in einem Café oder mit der Barkeeperin über einem Drink erzählt werden können. Zumal Weil die ursprüngliche Solos-Idee „Nur eine Person pro Folge“ sofort untergräbt, indem Computerstimmen und künstliche Intelligenzen in Geräten als Gesprächspartner dienen, denn im reinen Shakespear’schen Monolog liegt anscheinend nicht die Stärke der Drehbuchschreiber. So müssen also Stichwortgeber die Handlung vorantreiben, was die Lücken im Plot überdecken soll. Das gelingt jedoch nur selten.

Und damit sind wir schon mitten im zweiten Punkt: Der Sache mit dem Denken. Hätte man die Genrewahl nicht klüger nutzen können? Wenn man sich schon für Science Fiction entscheidet und Liebe, Kinder und Ehe thematisieren will, hätte man dann nicht auch eine kluge Analyse von Gesellschaftsverhältnissen vornehmen können, die eben nur hier möglich ist? Am deutlichsten wird diese Lücke in der Episode „Sasha“, in der Sasha (Uzo Aduba) seit 20 Jahren in einem hermetisch abgeschlossenen Haus sitzt, weil draußen eine Seuche wütet. Das Haus ist hell, große Glasfenster zeigen auf einen Wald, die Sonne scheint über ein Oberlicht hinein, Sasha schlürft zwischen geschmackvollen Möbeln schweren Rotwein, doch das hausinterne Computersystem versucht sie davon zu überzeugen, endlich das Haus zu verlassen, weil die Krise längst vorbei sei. Selbst wenn man hier nicht gleich die große Gesellschaftsanalyse in knapp 25 Minuten quetschen will, so hätte man doch Zeit genug gehabt, um Fragen nachzugehen wie: Was macht jahrelange Isolation mit Menschen? Wie würde unser Alltag aussehen, wenn wir durch die Pandemie nie wieder zum öffentlichen Leben zurückkehren? Eben Thesen so zu durchdenken, wie es nur in der Science Fiction möglich ist. Stattdessen muss Aduba hier wahlloses Gequassel von Querdenker-Parolen („Die Regierung hat uns eingesperrt und will uns jetzt als Versuchskaninchen benutzen.“) bis Hypochonderpanik („Ihr wollt uns nur nach draußen schicken, um uns zu töten.“) aneinanderreihen. Sie darf mal schreien, mal leise flehen, mal Tränen vergießen. Doch von dieser Effekthascherei abgesehen, wird nicht klar, was das für eine Welt ist, in der sie da gefangen lebt. Sobald man anfängt, an der Oberfläche zu kratzen, fällt das ganze Kartenhaus zusammen: Wir sehen Sasha nie arbeiten, aber wie bezahlt sie dann das Haus und das Essen und den Strom? Das Haus gehört ihr nicht, denn sonst hätte sie keine Angst davor, dass sie hinausgeworfen wird. Doch woher kommt das Geld dafür? Und was hat „die Regierung“ davon, ihre Bürger erst einzusperren und dann aus den Häusern zu werfen? Jede Verschwörungstheorie ist ausgefeilter. Solos verpasst leider ein ums andere Mal die Chance, mit großem Staraufgebot große Geschichten zu erzählen und verschwendet Talent in Effekthascherei.

Solos (TV-Serie, 2021)

7 Geschichten, die eine Sache verbindet: Mensch sein. Diese Anthologie-Serie zeigt einen Einblick, das Innere des menschlichen Seins — mit all seinen schönen, untypischen, wundersamen Aspekten. Die verschiedenen Perspektiven werden durch Morgan Freeman, Anne Hathaway, Helen Mirren, Uzo Aduba, Anthony Mackie, Constance Wu, Dan Stevens und Nicole Beharie verkörpert.

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Meinungen

Martin · 23.12.2023

Hallo liebe Kritiker, offen gesagt stimme ich der hier beschriebenen Kritik größtenteils zu, jedoch lediglich in einem ganzheitlichen Kontext. Selbstverständlich reichen die wenigen Minuten innerhalb der Folgen dieser Serie nicht einmal ansatzweise aus um diese Thematiken zu umschreiben und zu behandeln. Natürlich sind alle Thematiken dieser Serien vollständig aus jedem nur erdenklichen Kontext gerissen. Ich muss jedoch nach einigen Überlegungen der Serie dennoch eine gewisse Aussagekraft zugestehen. Keine Aussagekraft im Bezug auf tatsächliche gesellschaftliche Kontroversen, oder gar überhaupt irgendeine Aussagekraft im Bezug auf das menschliche Leben an sich, denn wie gesagt, dafür ist es weit zu wenig Content. Was ich jedoch erkennen kann ist in jeder einzelnen Folge eine winzig kleine Momentaufnahme der menschlichen Natur selbst, und zwar um genauer zu sein selbstverständlich eine überaus moralische Momentaufnahme, und dennoch ist auch dies ein Bestandteil der menschlichen Natur, ansonsten wäre dieser Aspekt gar nicht erst existent. In der Tat sind alle Folgen in sich geradezu absurd kitschig und ja, auch in meinen Augen mit der Emo-Kultur gleichzusetzen. Ich will jedoch betonen, dass man, je nach Blickwinkel, aus allem Lektionen und Erkenntnisse ziehen kann. Hier sehe ich auf keinen Fall Erkenntnistaugliches Material für den normalen Entertainment-Zuschauer, damit glaube ich mit ihnen als Kritiker übereinzustimmen. Ich sehe jedoch tatsächliches Erkenntnismaterial für die Menschen die sich mit Leidenschaft der Philosophie widmen und damit bereits Erfahrungen gesammelt haben. Nehmen wir zuerst Folge 1 mit Tom: Abgesehen vom Kitsch behandelt die Folge den Umgang eines Menschen mit der eigenen bevorstehenden Sterblichkeit. Unter der Prämisse, dass der Mensch ohne Hoffnung und damit ohne Glück gar nicht erst lebensfähig zu sein scheint, kann man diese Folge in mancher Hinsicht als überaus optimistisch anstatt dystopisch betrachten. Peg (Helen Mirren) macht deutlich welche Bedeutung der Mut zum Leben in dieser Welt spielt, und auch hier kann man ebenfalls Optimismus herauslesen anstatt Dystopie, wenn man denn will natürlich. Jenny zeigt in meinen persönlichen Augen sogar einen besonders wichtigen Aspekt des menschlichen Daseins, die Fähigkeit zu lieben, aber darüber hinaus auch eine sehr grausame Fähigkeit des Menschen, und zwar als der Mitarbeiter in die Mittagspause geht und sie in dieser Zeit in ihrer schlimmsten Erinnerung verharren lässt, also die Fähigkeit sich abzugrenzen und vorzuverurteilen. Gleichzeitig zeigt dieses Beispiel wie das Übel unserer Welt überhaupt entstehen kann, nämlich durch simples Unwissen und die Unfähigkeit sich zu entwickeln und die grausame Abgrenzung aller Menschen von einander WEIL der Mensch nur sich selbst im einzelnen retten kann und niemals die ganze Welt. In Sashas Folge sehe ich ehrlich gesagt noch etwas mehr als Verschwörungs-Nonsens, sie kann einem zeigen was es bedeutet wenn man den Anschluss an die Welt verliert, was auch immer diese Welt für einen bedeutet, es geht dabei eventuell einfach nur um das Problem der Endgültigkeit. Jeder Mensch der geistige Erkrankungen erlebt hat, erlebt, oder mit ihnen zu tun hat kann berichten, dass dieses Problem vor allem im psychiatrischen Bereich fundamental ist um zu erläutern warum Menschen jegliche Hoffnung verlieren können. Die Folge mit Leah hingegen kann einem offenbaren welchen Wert eine größtmögliche Selbstlosigkeit bieten kann, größtmöglich natürlich in einem philosophischen Kontext gemeint und unter der Prämisse, dass Selbstlosigkeit rein logisch nicht dasselbe darstellt wie vollkommen subjektiv betrachtet. Hier wird jedoch eindringlich der Unterschied zwischen "Utilitarismus" und "Negativem Utilitarismus" in der Ethik beleuchtet. Während Leahs Zukunfts-Ich den negativen Utilitarismus befeuern wollte, selbstverständlich aufgrund ihres eigenen Schmerzes, also das Leid insgesamt einfach nur abmildern wollte, so hat die Gegenwarts-Leah es vorgezogen sich selbst und ihr Zukunfts-Ich zu opfern um ihrem Vergangenheits-Ich tatsächliches Glück zu ermöglichen indem der Schmerz niemals entstehen muss, somit hat sie den Utilitarismus gewählt um maximales Glück zu erzielen, selbst auf Kosten ihres eigenen Glücks. Ich erinnere mich gerade beim Schreiben nicht an den Namen der Mutter in der Fruchtbarkeitsfolge, jedoch kann auch hier gewertet werden welche Bedeutung es haben kann sich einem Lebensziel hinzugeben, alles dafür zu tun um es zu erreichen, nur um am Ende alles erreicht zu haben was man wollte und anzusehen wie es einem doch durch die Finger rinnt. Eine treffende Metapher für die Vergänglichkeit des Lebens selbstverständlich, aber darüber hinaus kann es auch dazu dienen die eigene Philosophie der Zielsetzung im Leben zu überarbeiten und vielleicht zu begreifen, dass Ziele im Leben nur selten tatsächlich den erhofften Erfolg einbringen. Stuarts Folge könnte man zweierlei interpretieren: Erstens zeigt der Umgang des jungen Mannes dessen Erinnerung an seine Mutter Stuart stahl, dass Opfer-Täter-Definitionen niemals einseitig sein können. Sowohl der junge Mann als auch Stuart waren im Grunde Opfer UND Täter und doch zeigte der junge Mann Gnade Stuart gegenüber, und damit kommen wir zur zweiten Interpretation, dem Umgang mit der eigenen Sinnlosigkeit und dem Verblassen des Bewusstseins an sich beziehungsweise der Definition des menschlichen Bewusstseins an sich. Was macht uns aus? Wir leben zwar stets in der Gegenwart, und nur so sollte es auch sein, doch ist unser Bewusstsein lediglich die Summe all unserer Erfahrungen und Erinnerungen.

Selbstverständlich sind all das nur mögliche Interpretationen und Sichtweisen und ich erhebe keinerlei Anspruch auf Absolutheit hierbei, und selbstverständlich stellt die komplette Serie im Kontext der Kunstform des Films an sich eine absolute Ausnahme und Effekthascherei dar, ich will hiermit jedoch lediglich darauf hinweisen, dass man die Serie auch einfach nur als stilistische Momentaufnahme einzelner menschlicher Verhaltenseisen und damit verbundener Philosophien betrachten kann. Im Gesamtkontext des Films, der Gesellschaft, oder gar der Welt vollkommen ohne jeglichen Kontext und nicht für das Entertainment geeignet, für sich allein genommen und natürlich mit fundierten Vorkenntnissen in Philosophie, Psychologie und genereller Lebenserfahrung können die einzelnen Folgen dennoch, wenn auch recht plastisch, einzelne Aspekte der menschlichen Natur beleuchten und welche Konsequenzen diese haben können.

Ich möchte hier auch noch auf die menschliche Begebenheit hinweisen, dass wir alle stets danach streben klüger zu sein als andere, unter diesem Aspekt geht es uns allen so, dass wir nicht dem offensichtlichen hinterherrennen wollen das wir problemlos durchschauen können, aus diesem Grund verstehe ich durchaus, dass "Solos" als viel zu einfach und infantil erscheint, dennoch sind die Aussagen der Serie dadurch nicht falsch, sie sind lediglich kontextlos. Hier könnte man den Wunsch nach einem Kontext in den Botschaften der Serie zum Beispiel als die persönliche Sinnsuche des Menschen an sich interpretieren, was selbstverständlich vollkommen normal und notwendig ist, aus diesem Grund kritisiere ich hier nichts und niemanden, ich möchte lediglich andere Blickwinkel vorschlagen. Wir suchen alle nach Sinn im Dasein, damit werden wir niemals aufhören, und das ist nur natürlich für das Leben, manchmal muss man seinen Sinn überdenken, manchmal muss man ihn weiterentwickeln, aber man darf sich niemals verschließen vor anderen Sichtweisen. Unter der Prämisse, dass wir bis heute immer noch keinen objektiven Sinn im Leben entdecken konnten, kann man wohl schwerlich behaupten die Gedanken und Taten des einen seien sinnloser als jene des anderen.