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Für seine demenzkranke Mutter zog der Fotograf Michael Appelt zurück in sein Jugendzimmer. Reiner Riedler hat den Prozess begleitet. Ein einfühlsames Doppelporträt über das, was womöglich vielen von uns bevorsteht. Das Schöne: Hier verliert es an Schrecken und gewinnt an Zärtlichkeit.

Die guten Jahre (2024)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Eine dokumentarische Liebesgeschichte

Nach Jahren der fortschreitenden Emanzipation vom Elternhaus dorthin zurückzukehren, und sei es nur für einen Besuch oder eine kürzere Zeit, hat oftmals etwas entschieden Befremdliches an sich: So viele Erinnerungen, die man mit sich herumträgt, dazu das Gefühl, in einer Zeitmaschine direkt in die (eigene) Vergangenheit gereist zu sein, die eigenen Entwicklungen mit sich herumzutragen, während die Eltern gefühlt und auch wortwörtlich noch in einer Damals-Welt leben und diese (so kommt es einem vor) niemals verlassen haben.

In Reiner Riedlers stillem und fein beobachtetem Dokumentarfilm Die guten Jahre ist es der Fotograf Michael Appelt, der sich dieser Situation mehr oder weniger freiwillig aussetzt. Nach Jahren des Fort- und Unterwegsseins kehrt er ins elterliche Hause nach Perchtoldsdorf vor den Toren Wiens zurück und zieht in sein Kinder- und Jugendzimmer, in dem noch Sticker und Poster von seinen einstigen Vorlieben zeugen. So entspinnt sich zwischen der Mutter Christine und ihrem Sohn ein Prozess der langsamen Wiederannäherung, des sich gemeinsamen Erinnerns und des Bewältigens des Alltags, der sich erst wieder finden muss. Und der ist nicht nur geprägt vom Fortschreiten der Erkrankung der Mutter, sondern auch von Michaels eigener Situation: Er hat gerade einen längeren Krankenhausaufenthalt hinter sich, leidet an schweren Depressionen und Angstzuständen – umso bewundernswerter ist es, wie er sich dieser nicht einfachen Aufgabe stellt, diese annimmt und in dieser Sorge für die Erkrankte auch zu sich selbst zurückfindet.

Allein schon wegen der schieren Häufung von Demenzerkrankungen findet sich das Thema in den letzten Jahren vermehrt im Kino wieder, sei es in Form von Spielfilmen (Still Alice, The Father oder auch Gaspar Noes Vortex), insbesondere aber im Dokumentarischen (Die unendliche Erinnerung von Maite Alberdi sei hier als prägendes Beispiel der letzten Zeit genannt). So vielfältig die Filme, so unterschiedlich sind auch die Herangehensweisen und Schwerpunkte, die sie setzen. 

Die guten Jahre hat keinen aufklärerischen Impetus – zumindest nicht im medizinisch-rationalen Sinne. Über die Krankheit selbst erfährt man wenig, viel mehr aber die die emotionalen Hürden, aber auch Chancen im Umgang damit. Kontrastiert und ergänzt wird dieser Prozess von eingestreuten Einblicken in das fotografische Schaffen Michael Appelts, durch das man der Gedanken- und Bilderwelt dieses Mannes näher kommt.

Der Film, so befindet der Protagonist Appelt selbst, sei eigentlich eher ein Liebesfilm – was jenseits der herkömmlichen Unterscheidung zwischen Fiktion und abgebildeter Realität (die ja auch stets eine Form der Inszenierung ist) ganz gewiss für diesen Film zutrifft.  So sehr sich der Film auf die emotionale Bindung zwischen Mutter und Sohn fokussiert, so unaufdringlich, aber dennoch vage spürbar kommt zwischen den Bildern ein anderes Verhältnis zwischen zwei Menschen zum Vorschein: Der Protagonist Michael Appelt und der Filmemacher Reiner Riedler sind seit mehreren Jahrzehnten eng miteinander befreundet, sie haben gemeinsam ihre Karrieren als Fotografen unternommen, teilen die Lust an Bildern und viele gemeinsame Erlebnisse – und genau das merkt man diesem Film auch sehr deutlich an, ohne dass es jemals aufdringlich im Mittelpunkt stünde. Die Vertrautheit und Intimität, die der Film ausstrahlt, die Bereitschaft, sich der Kamera zu öffnen und in das eigene Leben mit all seinen Beschwerlichkeiten hineinblicken zu lassen, das alles verdichtet sich hier und wird zu einer großen Qualität der stillen Beobachtung, die diesen Film auszeichnet.

Gesehen auf dem DOK.fest München 2024.

Die guten Jahre (2024)

Ein über viele Jahre erfolgreicher Fotograf Anfang Fünfzig zieht wieder in sein Kinderzimmer ein, um seine Mutter zu pflegen, nachdem eine beginnende Demenz diagnostiziert wurde. Selbst traumatisiert von einem langen Krankenhausaufenthalt versucht er sich in dieser neuen Situation zurechtzufinden.

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