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Mit dem Blick auf den Boden stolzieren in „Holy Island“ Menschen durch ihr altes Leben. Der Film präsentiert wunderschöne Irrwege eines farblosen Fegefeuers.

Holy Island (2021)

Eine Filmkritik von Niklas Michels

Eine Insel ohne Farbe

Der irische Film hat Charme. Gibt es eigentlich etwas schöneres als Pubs auf Inseln? Während dieser Charme der Grundsatz von „The Banshees of Inisherin“ wird, stolpert Robert MansonsHoly Island“ nur kurz in die Ästhetik hinein: Mit Bier und Geige wird zu später Stunde getanzt. Bei „The Banshees of Inisherin“ ist man stumm von all der Weite, „Holy Island“ dagegen wandert etwas verkopft umher, den Blick auf die Füße gerichtet, und bemerkt gar nicht, welche Schönheit um ihn herum liegt.

David (Conor Madden) und Rosa (Jeanne Nicole Ní Áinle) sind auf dieser Insel gestrandet. Heute Nacht kommt keine Fähre mehr. Die Insel ist voller trostloser Seelen, scheint aber auch Geheimnisse für sie bereitzuhalten. So stolzieren David und Rosa durch das Fegefeuer, erinnern sich beinah an ihren eigenen Tod und versuchen, Farbe in die triste Umgebung zu bringen.

Anstelle Ideen wie Setzlinge wachsen zu lassen, platziert Mason in seinem Film Baumstämme – ästhetische Einfälle, die vollausgereift sind und doch schon tot. Ein Inselbewohner der einen Vogel als Haustier hält und immer wieder aus dem Nichts auftaucht, bleibt nur eine verschwommene Randerscheinung; Teil der Kulisse. Eine Figur wie Dominic Kearney (Barry Keoghan) aus dem bereits erwähnten The Banshees of Inisherin bietet mehr an: Auch  er ist skurril, doch der Film gesteht ihm neben seiner narrativen Funktion ein Innenleben zu. So können sich Zuschauer*in sowohl in den Weiten der Insel als auch in der Enge der Charaktere verlieren. Holy Island dagegen fällt geradelinks in das Motiv des retrospektiven Erinnerns an sein Leben: Als müsse man aus einem Traum erwachen, dringen immer wieder kurze Schnipsel durch. Dieses Motiv wurde zuletzt doch recht häufig verwendet, nahm etwa bei Don’t Worry Darling eine große Rolle ein. Die auf der Insel verteilten Assoziationsfragmente, die wie in einem Videospiel gesammelt werden müssen, dienen als Erinnerungsfetzen, um die Zeit vor der Filmhandlung zusammenzusetzen.

Auf den Irrfahrten wird ein Taxifahrer zum Äquivalent des mythologischen Fährmanns, der die Protagonist*innen auch ohne Münze unter der Zunge über die Insel kutschiert. Einige parabelhafte Skizzen erinnern an symbolstarke Träumereien a la Ingmar Bergman. Das verlorene Umherirren auf einer Insel, die ihre Insassen nicht gehen lassen will, lässt auch an die Fernsehserie Lost denken, platziert die Figuren hier aber vielmehr in einer Suche nach ihrer eigenen Identität. Figuren sind im Bild und einen Augenblick später wieder verschwunden – gefressen von den tiefen Schwarztönen der Bilder. Diese Scharade der Metaphysik lässt sich nicht ewig aufrechterhalten. So schön die surrealen Momente auch sein mögen, fehlt es Manson am nötigen Fingerspitzengefühl, um die Zuschauenden vollends in seine Mythologie zu hüllen. Wenn der Film seinen Kreis schließt, verlaufen vorherige Erkundungen im Sande.

In einigen Momenten blitzt der Bildschirm plötzlich voller Farbe auf – ein Stilbruch, die Tristesse des Fegefeuers besiegend. Was diese Momente miteinander verbindet, darf das Publikum selbst entscheiden. Der in Berlin lebende Ire Robert Manson hat großes Potential. Auch wenn Holy Island nicht vollends überzeugt, sollte man nach der nächsten Vision des Regisseurs die Augen offen halten.

Holy Island (2021)

„Holy Island“ erzählt die Geschichte von zwei verlorenen Seelen, Rosa und David, die im Fegefeuer in Form einer heruntergekommenen Hafenstadt gefangen sind. Sie treffen sich, während sie auf ein Boot warten, um die Insel zu verlassen, beide sehnen sich danach, nach Hause zurückzukehren. Zusammen müssen sie durch ein ungewöhnliches Labyrinth gehen und ihre vergangenen Leben durch gemeinsame Gespräche und Erinnerungen rekonstruieren. Am Ende kann nur einer von ihnen gerettet werden. Der andere muss fallen.

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