I Want to Run - Das härteste Rennen der Welt

Eine Filmkritik von Kirsten Kieninger

Soweit die Füße tragen und weiter

„Das sind Extremisten, Grenzgänger, Borderliner — das ist Wahnsinn. Und ich denke, von denen kann man einiges lernen.“ Gerade hat die Röntgenmedizinerin wieder einen von ihnen in die Röhre geschoben und schaut, wie Knochen und Muskeln das Abenteuer durchhalten, auf das sich 2009 siebenundsechzig Extremläufer eingelassen haben, einige von ihnen sogar schon zum zweiten Mal: Diesmal geht es von Bari in Süditalien rauf nach Norwegen bis ans Nordkap. 4500 km in 64 Tagen. Zu Fuß, im Laufschritt. Der Startschuss fällt im Frühling, wenn die Läufer die Ziellinie erreichen, ist längst Sommer. Auf dem Weg gilt es 64 Tagesetappen von durchschnittlich 70 km zu bewältigen, es gibt keinen Ruhetag.
Der Trans-Europalauf ist der längste Dauerlauf-Wettbewerb der Welt und verlangt den Athleten einiges ab. Zunächst einmal rund 6000 Euro Startgebühr für Organisation, Unterkunft und Verpflegung. Aber ein Rundum-Sorglos-Paket gibt es dafür nicht. An der jeweiligen Zieletappe angekommen, ist nur die Herausforderung des Tages überstanden. Die der Nacht steht noch bevor: die Läufer und Läuferinnen müssen ihre Koffer in die örtliche Turnhalle schleppen, auf deren Boden sie sich mit Isomatte und Schlafsack ihr unruhiges Nachtlager bereiten. Schlafen wie im Flüchtlingscamp und Laufen bis zur totalen Erschöpfung, das geht auf die Dauer auf Körper und Nervenkostüm. Für die extrem belasteten Muskeln, Sehnen und Knochen interessieren sich die Röntgen-Mediziner, die das Rennen mit einem mobilen Tomografen begleiten, der Regisseur Achim Michael Hasenberg interessiert sich für die extremsportbegeisterten Menschen, die solche Strapazen freiwillig auf sich nehmen.

In seinem Dokumentarfilm I Want to Run – Das härteste Rennen der Welt begleitet er 7 Läufer und Läuferinnen mit der Kamera. Einige werden schon bei ihren Trainings-Vorbereitungen vorgestellt, andere kommen erst während des Rennens hinzu. Der Film enthält sich eines erklärenden oder wertenden Kommentars, die Teilnehmer sprechen für sich. Im Laufe des Films entsteht so ein kurzweiliges Mosaik aus verschiedensten Persönlichkeiten, Motivationen, Lebensgeschichten und Durchhaltestrategien, dramaturgisch eingebettet in den Verlauf des Rennens.

Für den Unterhaltungswert des Films am wichtigsten ist Achim Heukemes, der einzige Profiläufer, der auf die Strecke geht. Der alte Hase (Jahrgang 1951) mit Löwenmähne und sympathischer Wuppertaler Schnodderschnauze ist die kommunikative Seele des Films. Mit rheinischer Gelassenheit geht er gegen die jungen Burschen an, die von Anfang an heftig Tempo vorlegen und mit einem Schnitt von fast 13 km/h die Etappen bestreiten. Lebenserfahrung läuft hier gegen schnelle Regeneration an, am Ende wird sich zeigen, wer den längeren Atem hat. Achim hat ein gesponsertes Wohnmobil zur Verfügung: geruhsamer Schlaf und morgens lecker Schinkenbrot helfen ihm, die gute Laune zu behalten (und die benötigten 10-12 tausend Kalorien pro Tag zu sich zu nehmen).

Robert Wimmer dagegen geht als Asket ins Rennen. Schon im der Vorbereitung hat der Optikermeister auf dem kalten Boden seiner Terrasse geschlafen. Bei der Ernährung ist nicht wichtig, dass sie „besonders gut schmeckt, sondern dass sie besonders gut funktioniert“. Er isst sein Vollkornbrot ohne Belag und den Reis ohne Soße. Er will Geschichte schreiben, indem er wie schon 2003 abermals gewinnt.

Den härtesten Kampf hat Joachim Hauser auszufechten, er läuft nicht nur gegen die Schmerzen der Belastung an, sondern gegen den Muskelabbau. Er hat Multiple Sklerose, für ihn ein Ansporn noch härter zu trainieren, mehr Muskeln aufzubauen, denn „je mehr ich hab, desto länger dauert’s bis es weg ist“. Er läuft nicht nur dem Nordkap entgegen, sondern vor allem gegen sein Schicksal an. Auch er war schon 2003 mit dabei, dieses Mal jedoch stürzt er häufig, macht trotzdem weiter und redet vor der Kamera offen über seine Frustration.

Dann ist da noch die Bauingenieurin Elke Streicher, die „von der Partygurke zur Sportskanone“ mutierte, Stéphane Pélissier, der Vegetarier aus Frankreich, der wieder zum Fleischesser wurde, um den Wettkampf durchzuhalten, und die beiden schwedischen Soldaten, die mit dem Befehl zusammenzubleiben auf die Strecke geschickt wurden.
Auf sie alle wirft I Want to Run – Das härteste Rennen der Welt unterschiedlich intensive Schlaglichter. Schade dabei ist, dass der Film auf die lange Distanz kaum zu einem eigenen Erzähltempo findet. Manche Passagen mit Statements der Protagonisten kommen allzu atemlos montiert daher, während andere, musikuntermalte Montagesequenzen nur in Ansätzen ein Gefühl für Zeit, Strecke und Strapazen vermitteln können. In seiner unmittelbaren Machart wirkt der Film ein wenig wie ein Videotagebuch, das sich im Bestreben, möglichst viel mitteilen zu wollen, zu wenig erzählerisch fokussiert. Das tut dem Unterhaltungswert des Films zum Glück keinen Abbruch. Die gebotenen Einblicke in einen so extremen Mikrokosmos, der manch seltsame Blüte treibt, die es auch (und gerade) als Nicht- und Nicht-so-Extrem-Läufer zu entdecken lohnt, bringen den Film locker über die gesamte Distanz von 89 Minuten. Es wäre eben nur noch etwas mehr herauszuholen gewesen.

I Want to Run - Das härteste Rennen der Welt

„Das sind Extremisten, Grenzgänger, Borderliner — das ist Wahnsinn. Und ich denke, von denen kann man einiges lernen.“ Gerade hat die Röntgenmedizinerin wieder einen von ihnen in die Röhre geschoben und schaut, wie Knochen und Muskeln das Abenteuer durchhalten, auf das sich 2009 siebenundsechzig Extremläufer eingelassen haben, einige von ihnen sogar schon zum zweiten Mal: Diesmal geht es von Bari in Süditalien rauf nach Norwegen bis ans Nordkap.
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Meinungen

Jutta Rosseel · 05.07.2012

Wann kommt der Film auf DVD? Leider scheint er in Frankfurt am Main nicht zu laufen.

Günter Herbst · 04.06.2012

Wann kommt er auf DVD raus? Habe ihn mir angeschaut und bin sehr beeindruckt.

Stephan · 30.05.2012

Läuft der auch in NRW, Düsseldorf???

Michael Knipping · 13.05.2012

Freu mich drauf, darf ich nicht verpassen, Film ist besser als Lektüre.

Alexander Küntzler · 12.05.2012

Muss ich sehen...