Kommentar

Kommentar: Oppenheimer wins. Cinema loses.

Ein Beitrag von Sebastian Seidler

„Oppenheimer“ ist der große Gewinner der diesjährigen Oscarverleihung. Gut für den Film. Schlecht für das Kino. Das findet zumindest Kino-Zeit-Redakteur Sebastian Seidler.

Universal / KinoZeit

Oppenheimer“ ist der große, alles überstrahlende Gewinner der diesjährigen Oscarverleihung. Dabei könnte man es belassen. Oder? Schließlich ist dieser Preis auch nur einer unter vielen: Was sagt das schon aus? Haken dahinter und weitermachen. Es werden weiter Filme gedreht. Heute und morgen. Als Filmjournalist:In kann man sich ohnehin nicht lange damit aufhalten, weil bereits die nächste Pressevorführung angekündigt ist, weitere Texte und Kritiken geschrieben werden müssen.

Auch wenn ich mich selbst regelmäßig dabei ertappe, zu dieser Haltung zu neigen, scheint mir dies doch ein großer Fehler zu sein. Erstens: Wir müssen darüber streiten, was ein Preis bedeutet und die Maßstäbe reflektieren. Die Kunst des Films darf nicht einfach zu Geschmack verkommen. Zweitens: Selbstverständlich haben die Oscars weiterhin eine enorme Strahlkraft und vor allem einen ökonomischen Wert: Die Gewinner:Innen legen ordentlich an kulturellem Kapital zu, was Türen öffnet und einen nachhaltigen Schatten auf mögliche Projekte wirft. Aus Hollywood kommt der Großteil der Filme, die im Kino starten. Das amerikanische Kino prägt weiterhin die Vorstellungen darüber, was Kino überhaupt ist und wie große Filme auszusehen haben.

Ich hatte bereits bei der Bekanntgabe der Nominierungen eine Diskussion mit einer Kollegin, die behauptete, dass Das Lehrerzimmer zu klein sei. Das Thema sei nicht wichtig genug und der Film, in seinem Look und seiner Dramaturgie, doch eher für das Fernsehen gemacht. Gut möglich, dass ich falsch liege, aber: Das Lehrerzimmer ist in seiner Form ebenso virtuos, wie der strenge und sich selbst reflektierende The Zone of Interest oder der sich ins Epische streckende Killers of the Flower Moon. İlker Çataks Film zieht alles in eine Enge, komprimiert, bis das kleine Detail wächst und sich eine Paranoia ausbreitet. Das Lehrerzimmer erfindet seine eigene Größe, aus seinem Thema heraus leitet es die Komposition der Bilder ab. Wir müssen über die Kategorien sprechen. Was ist groß? Was ist ein kleiner Film? Wann lassen wir uns blenden?  

Mit Oppenheimer hat also nicht einfach nur ein Film gewonnen. Es wurde eine Idee vom Kino ausgezeichnet, eine ästhetische Haltung, die man häufig euphemistisch unter dem Begriff des Events zusammenfasst. Ohnehin ist Event das Zauberwort, mit dem man glaubt, das Kino retten zu können. Überwältigungsästhetik, die im Windschatten des nachlassenden Superhelden-Kinos folgerichtig erscheint.

 
Die Zuschauerzahlen geben diesem falschen Glauben auch noch recht, was weniger an der Qualität von Barbie, Dune oder Oppenheimer liegt, als vielmehr am enormen Marketingbudget oder dem Glück, dass der Hype um Barbenheimer eine virale Erregung ausgelöst hat: Diese Filme muss man gesehen haben, damit auch jeder mitreden kann.  

Erneut: Mit Oppenheimer hat nicht nur ein Film gewonnen. Schließlich gehen auch wichtige, eher technische Preise – Beste Kamera, Bester Schnitt und Beste Filmmusik – an das Biopic über den Vater der Atombombe. All der mit ausladender Geste inszenierte Bombast täuscht geschickt darüber hinweg, dass es sich letztlich um einen ziemlich altbackenen Film handelt, der sein Publikum kaum irritiert: Die Geschichte wird von großen Männern gemacht, die auch ihre Zweifel und Probleme haben. Was die Bombe jedoch auf einer abstrakten Ebene und im Kontext kapitalistischer Produktionsweisen (Arbeitsteilung usw.) bedeutet hat, klingt nur in wenigen Momenten an. Die weiblichen Figuren tauchen nur im Hintergrund auf. Dafür aber ist in jeder Bewegung der manieriert verschachtelten Erzählweise das Ego von Christopher Nolan zu spüren.

Der Triumph von Oppenheimer erfolgte zweifellos mit Ansage. Daraus werden die Produzent:Innen und Studios ihre Schlüsse ziehen. Eine Auszeichnung des verspielt-anarchischen Poor Things, der clever-bösartigen Satire American Fiction oder der rätselhaften Versuchsanordnung Anatomie eines Falls hätte ganz andere Möglichkeitsräume eröffnet. Da hätte sich eine Mehrheit der Branche hinter gewagte Filme gestellt, die ein Risiko eingehen und eine aufregendere Zukunft versprechen. Nun geht es also weiter. Business as usual. Filme von Gewicht müssen groß sein.

Dass American Fiction von Amazon Prime ohne große Ankündigung einfach in den Stream geworfen wurde, keine Kinoauswertung erfahren hat, sagt alles über den Zustand der Filmbranche aus. Ich hoffe, dass ich falsch liege und die Spielräume für die kleineren Filme nicht noch enger werden. Im ständig voranschreitenden Prozess der Homogenisierung durch Streaminganbieter – man muss das Publikum gewinnen – kommt diese Auszeichnung für einen sehr biederen, durch und durch männlichen Film zur Unzeit. Alter Wein in alten Schläuchen scheint auszureichen. Und Bella Baxter weint.