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Ryuichi Sakamoto - Der Klangzauberer

Ein Beitrag von Joachim Kurz

Ryuichi Sakamoto gilt als einer der wichtigsten zeitgenössischen Musiker Japans und hat auch im Bereich der Filmmusik Bemerkenswertes geleistet. Zum Kinostarts von „Ryuichi Sakamoto: Coda“ würdigt Joachim Kurz im Rahmen unserer Reihe „Film/Musik“ den Ausnahmekünstlers.

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Filmstill zu Ryuichi Sakamoto: Coda (2017)
Ryuichi Sakamoto: Coda (2017) von Stephen Nomura Schible

Vom Jazz-Schüler zum Miterfinder elektronischer Popmusik

Bereits als Schüler spielte der 1952 in Tokyo geborene Ryuichi Sakamoto in verschiedenen Jazzformationen und studierte ab 1970 an der Tokyo National University of Fine Arts and Music. Dort kam er mit klassischer Musik in Berührung, die zuvor in seinem Leben kaum eine Rolle gespielt hatte. Sein Hauptinteresse aber galt der Komposition und der Musikethnologie, die ihm neben der traditionellen japanischen Musik auch mit den überlieferten Klängen der amerikanischen und afrikanischen Ureinwohner in Berührung brachte. 

Zudem weckte das Studium auch sein Interesse an elektronischer Musik, wobei sich vor allem der Einfluss des 2016 verstorbenen japanischen Elektropioniers Isao Tomita als prägend erwies, der seit den 1960er Jahren mit dem Moog-Synthesizer und einer Unmenge an Effektgeräten, Oszillatoren, Filtern, Verstärker und einem Mellotron-Keyboard experimentiert hatte. 

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Beeinflusst von diesen kühnen Experimenten und der seltsamen Maschinenmusik deutscher Provenienz von einer Formation namens Kraftwerk formte er 1978 gemeinsam mit seinem Studienkollegen Yukihiro Takahashi und dem Musiker Haruomi Hosono das Yellow Magic Orchestra (ursprünglich von Hosono als Ein-Mann-Studioprojekt ins Leben gerufen), das zudem noch als eher inoffizielles Mitglied den Soundtüftler Hideki Matsutake führte, der Isao Tomita als technischer Assistent gedient hatte. 

Rasch avancierte das YMO, wie seine Fans die Formation abkürzten, zu einer Kult-Combo, die in Asien ungefähr den gleichen Stellenwert hatte wie in Europa Kraftwerk. Mit Computer Game aus dem Jahre 1979 drangen sie sogar in die Top 20 der britischen Charts vor, ihr größter Erfolg aber war Behind the Mask.

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Bis 1984 währte die Formation, die sich im Laufe ihres Bestehens neben Kraftwerk und Yello als einer der größten Einflüsse auf die später entstehende Techno-Musik erwies. Superstars der Popmusik wie David Bowie und David Byrne von den Talking Heads sowie David Sylvian von der Progressive-Rock-Formation Japan wurden durch den Erfolg von YMO angezogen und suchten immer wieder die Nähe zu der Band und zu Sakamoto, so dass im Laufe der 1980er Jahre ein sich immer weiter verästelndes musikalisches Werk entstand, bei dem der Klangzauberer häufig als Gastmusiker auftrat. Ab Mitte der 1980er Jahre widmeten sich die Musiker des YMO vor allem ihren Solokarrieren, traten aber immer wieder gemeinsam auf und veröffentlichten 1993 das Album Technodon, das allerdings unter dem Namen YMO auf den Markt gebracht wurde. Für die darauf folgende Tour wurden sie als Not YMO angekündigt. 

 

Die gleich zweifache Filmkarriere Ryuichi Sakamotos

Das niemals öffentlich vollzogene Ende hängt vermutlich auch und vor allem mit Ryuichi Sakamotos unbändiger Neugier auf neue Formen der Musik zusammen, die ihn seit Anfang der 1980er Jahre immer häufiger zum Komponisten von Filmscores werden ließ. Den Auftakt zu dieser nicht minder erfolgreichen Facette seines Schaffens bildete Furyo — Merry Christmas, Mr. Lawrence von Nagisa Oshima aus dem Jahre 1983, bei dem Sakamoto nicht nur die mittlerweile zum Klassiker avancierte Filmmusik schrieb, sondern zudem mit seinem musikalischen Weggefährten David Bowie auch vor der Kamera stand. 

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1987 und 1990 folgten mit den Filmmusiken zu Bernardo Bertoluccis Der letzte Kaiser und Himmel über der Wüste zwei weitere Höhepunkte seines filmkompositorischen Werks.

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Danach kamen weitere Kollaborationen – vor allem mit Nagisa Oshima und Bernardo Bertolucci, aber auch mit Pedro Almodovar (High Heels; 1991), Ryū Murakami (Tokyo Dekadenz; 1992), Peter Kosminsky (Stürmische Leidenschaft; 1992), Brian De Palma (Femme Fatale), Juni Ichikawa (Tony Takitani; 2004) und Shirin Neshat (Women without Men; 2009).

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Neben diesen größeren Werken schrieb Sakamoto die Filmmusiken zu zahlreichen Kurz- und Dokumentarfilmen, wobei sich dabei insbesondere die Schaffensphase nach 2011 als besonders fruchtbar zeigt.

Die ungeheure Produktivität Sakamotos in den vergangenen Jahren lässt sich womöglich auch durch ein einschneidendes Ereignis erklären, das den Komponisten im Jahre 2014 ereilte: Bei einer Untersuchung wurde bei ihm Mundrachenkrebs diagnostiziert, worauf sich Sakamoto zunächst zurückzog, um gegen die Krankheit anzukämpfen. Schon ein Jahr später meldete er sich mit gleich zwei guten Nachrichten zurück: Zum einen vermeldete er, dass die Krankheit überwunden sei, zum anderen präsentierte er eines seiner eindrucksvollsten filmmusikalischen Werke, den Score zu Alejandro G. Iñárritus The Revenant, den er gemeinsam mit dem Deutschen Alva Noto aka Carsten Nicolai und Bryce Dessner erschaffen hatte:

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Homo politicus

Wie für viele seiner Landsleute, bedeutete auch für Ryuichi Sakamoto die Dreifachkatastrophe vom 11. März 2011 (das Tōhoku-Erdbeben, der darauffolgende Tsunami und die durch die beiden Ereignisse ausgelöste Nuklearkatastrophe von Fukushima) einen grundlegenden Einschnitt. Seither engagiert sich der sonst eher zurückhaltende Sakamoto leidenschaftlich für den Atomaussteig Japans. Er ist einer der prominentesten Unterstützer der Kampagne Sayōnara Genpatsu Senmannin Akushon („Tschüss Atomkraft – 10.000.000-Menschen-Aktion“), mit der nach dem Reaktorunfall zu landesweiten Protesten und einer Unterschriftensammlung für den Atomausstieg geworben wurde. 

Zudem organisierte er ein Jahr später ein Benefizkonzert für die Opfer der Dreifachkatastrophe, das auch im Fernsehen und in seiner eigenen Radioshow übertragen wurde. Dabei trat unter anderem auch Kraftwerk auf, die sich mit Sakamoto wegen seiner Band Yellow Magic Orchestra seit jeher stark verbunden fühlen. Dabei nutzt Sakamoto sicherlich auch seine herausragende Position als Künstler mit hoher internationaler Reputation und seinen doppelten Wohnsitz in Tokyo und New York.

Doch damit scheint Sakamotos erwachtes politisches Bewusstsein noch keine Ruhe gefunden zu haben. Als die japanische Regierung im Jahr 2015 ein neues Sicherheitsgesetz zur kollektiven Selbstverteidigung plante, das von Beginn an als gegen die eigentlich pazifistisch orientierte Verfassung Japans kritisiert wurde, gehörte Sakamoto zu den öffentlichen Kritikern des Gesetzes, das dennoch 2016 implementiert wurde. 

Zugleich setzt sich Sakamoto gegen das geltende Urheberrecht ein, das er als antiquiert und nicht angemessen für das digitale Zeitalter begreift, wie er in einem Interview mit dem Guardian bekannte: 

„For the last 100 years, only a few organisations have dominated the music world and ripped off both fans and creators. But this is an exceptional circumstance that has only existed in the last century. It started at the end of the 19th century, so if we look at human history it is a very exceptional point.“

Und weiter heißt es dort: 

„In the old days people shared music, they didn’t care who made it; a song would be owned by a village and anyone could sing it, change the words, whatever. That is how humans treated music until the late 19th century. Now with the internet we are going back to having tribal attitudes towards music.“

Ryuichi Sakamoto ist ein Wandler zwischen den Welten, ein wahrer musikalischer Kosmopolit zwischen Ost und West, bei dem Stille und Schweigen einen beinahe ebenso großen Platz einnehmen wie die Macht der Töne. Sein Schaffen speist sich heute aus der Suche nach Harmonie und Einheit und ist dennoch niemals eskapistisch, sondern stets voller Bewusstsein von der Zerbrechlichkeit der eigenen wie der universellen Existenz und dem Wunsch, diese fragile Balance musikalisch wiederherzustellen. Stephen Nomura Schibles Dokumentarfilm Ryuichi Sakamoto: Coda reflektiert dies, zeigt einen Ausnahmekünstler von globaler Bedeutung und lädt dazu ein, dessen Schaffen neu zu entdecken. 

Wer dies rein musikalisch tun will, dem sei dieser Mix empfohlen, bei dem der unlängst verstorbene Jóhann Jóhannsson dem Meister aus Japan eine musikalische Hommage zuteil werden lässt.

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