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Mit Martin Scorsese als Host begibt sich David Hinton auf Spurensuche nach den cineastischen Hinterlassenschaften des Regie-/Drehbuch-Duos Michael Powell und Emeric Pressbruger. Das Ergebnis ist ein Liebesbrief ans Kino und zwei seiner größten Schöpfer.

Made in England: The Films of Powell and Pressburger (2024)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Ein Liebesbrief ans Kino

Solange das Kino solche Freunde wie Martin Scorsese hat, muss einem nicht bange werden um dessen Zukunft und die Bewahrung des kinematografischen Erbes. Seit vielen Jahren ist der mittlerweile 81-jährige Regisseur fast schon so etwas wie ein Schutzpatron aller Filme und ihrer Macher*innen, sei es auf dem Regiestuhl wie bei „Martin Scorsese: Eine Reise durch den amerikanischen Film“ (1995) oder „Meine italienische Reise“ (1999), als Kämpfer für den Erhalt und die Restaurierung filmhistorisch bedeutsamer Filme oder wie in diesem hier vorliegenden Fall als kenntnisreicher Host und Kommentator. In einer Zeit des disruptiven Wandels auf dem Markt (beziehungsweise den Märkten) der bewegten Bilder ist Scorsese neben seinen unbestreitbaren Qualitäten als Regisseur auch ein wohltuender und dringend benötigter Bewahrer, ein cineastischer (Wert-)Konservativer, der sich um das Kino sorgt, für es kämpft, es erklärt und es leidenschaftlich verteidigt. 

Und so ist jeder Film, der mit ihm als Gast aufwarten kann und der das Kino zum Thema hat, von vornherein eine sehenswerte Filmgeschichtsstunde ganz ohne abgehobene Schlaumeierei, eine Liebeserklärung, in diesem Fall: eine tiefe Verneigung vor dem Schaffen eines ikonischen britischen Duos und letztendlich auch ein gänzlich uneitler Blick in die eigene Biografie.

Für Scorsese begann die Verbindung zu den Filmen Michael Powells und Emeric Pressburgers, wie er es selbst beschreibt, als an Asthma erkrankter Junge in Brooklyn in der elterlichen Wohnung, in der ein kleiner Fernseher stand. Selbstverständlich zeigte das Gerät nur Schwarzweißbilder, doch das tat der Faszination keinen Abbruch, die vor allem die Filme von Powell und Pressburger (neben jenen von Carol Reed und David Lean) in ihm hervorriefen. Eine seiner frühesten Seherinnerungen gilt dabei dem Abenteuerfilm Der Dieb von Bagdad (1940), bei dem Powell gemeinsam mit Ludwig Berger und Tim Whelan Regie führte.

Im gleichen Jahr begann mit Contraband die erste Zusammenarbeit mit dem aus Ungarn stammenden Emigranten Emeric Pressburger, die bis ins Jahr 1972 reichen und 24 gemeinsame Filme umfassen sollte, darunter solche Meisterwerke wie The Life and Death of Colonel Blimp (1943), A Canterbury Tale (1944), I Know Where I’m Going! (1945), A Matter of Life and Death (1946), Black Narcissus (1947), The Red Shoes (1948) und The Tales of Hoffmann (1951). Das Logo ihrer Produktionsfirma The Archers wurde nicht nur für den späteren italo-amerikanischen Regisseur zu einem Synonym für episches Kino, das sich über die gesamte Zeit ein großes Maß an Freiheit und Unabhängigkeit von den Hollywood-Produktionen der großen Studios erhalten konnte und das keinen Vergleich mit deren Werken zu scheuen brauchte. 

David Hinton hält sich als Regisseur spürbar zurück und vertraut ganz und gar auf die Überzeugungskraft Martin Scorseses und die Bildausschnitte aus den Filmen von Powell und Pressbruger, die selbst Zuseher*innen, die mit deren Werk nicht vertraut sind, einen exzellenten Eindruck vermitteln. Und mehr noch: Begleitet durch die warmen Worte des Regiegroßmeisters und angezogen von sympathischen Interviewpassagen und Archivaufnahmen der beiden will man am liebsten jeden einzelnen ihrer Filme sofort auf der großen Leinwand sehen. 

Dass Scorsese dem Leben und Wirken Michael Powells dabei spürbar mehr Platz einräumt als jenem Emeric Pressbrugers, ist die vielleicht einzige Schwäche dieses grandiosen Liebesbriefes an das Kino, zugleich aber durch die enge Freundschaft, die ihn und Michael Powell in späteren Jahren verband, auch verständlich: 1984 heiratete Michael Powell Thelma Schoonmaker, die Editorin, ohne deren Arbeit eine Karriere wie die Scorseses vermutlich überhaupt nicht möglich gewesen wäre. Die Pionierarbeit dieser herzerwärmenden Hommage an eines der Traumpaare des Kinos indes schmälert diese leichte Unwucht nicht. 

Made in England: The Films of Powell and Pressburger (2024)

Martin Scorsese kam schon als Kind mit den Filmen von Michael Powell und Emeric Pressburger in Berührung. Wenn er vor dem Familienfernseher saß und das bekannte The-Archers-Logo erschien, „wusste ich, dass mich Fantasie, Wunder und Magie – wahre Filmmagie erwarten“, sagt er. In diesem Dokumentarfilm erzählt er von seiner lebenslangen Liebe zu Filmen wie Leben und Sterben des Colonel BlimpDie schwarze NarzisseDie roten Schuhe und Hoffmanns Erzählungen. „Manche Filme guckt man einfach immer wieder, man verbringt sein Leben mit ihnen … Je älter man wird, desto tiefgründiger werden die Filme. Ich weiß nicht genau, wie das funktioniert, aber es ist so. Für mich haben die Filme von Powell und Pressburger eine wundersame Präsenz, sie sind eine ständige Quelle der Energie und eine Erinnerung daran, worum es im Leben und in der Kunst geht.“ Anhand einer Fülle von Archivmaterial erforscht Scorsese die Zusammenarbeit des Engländers Powell und des aus Ungarn stammenden Pressburger, die während des Zweiten Weltkriegs trotz aller Widrigkeiten erfolgreich waren, dann aber von der Filmindustrie der 1950er-Jahre in die Knie gezwungen wurden. Scorsese feiert ihre Fähigkeit, „subversive kommerzielle Filme“ zu schaffen, und beschreibt, wie stark ihre Filme seine eigene Arbeit beeinflusst haben. (Quelle: Berlinale)

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