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Schaut hin!

Ein Beitrag von Sonja Hartl

Whitewashing, Inclusion Rider und Repräsentation sind in aller Munde – bezogen auf US-amerikanische Produktionen. Aber wie sieht es eigentlich im deutschen Film aus? Eine erste Bestandsaufnahme.

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Willkommen bei den Hartmanns von Simon Verhoeven
Willkommen bei den Hartmanns von Simon Verhoeven

Diversität ist das Wort der Stunde, glücklicherweise wird immer genauer bei internationalen Produktionen hingeschaut, wie es mit der Besetzung aussieht, gelegentlich wird mittlerweile sogar bei der Crew geguckt, ob nun wieder nur weiße Männer arbeiten. Aber sowohl vor als auch hinter der Kamera ist der Weg noch lang – und noch länger erscheint er bei deutschen Produktionen. Wo ist sie, die Diversitätsdebatte für den deutschen Film? Brauchen wir sie gar nicht?

Bevor ich zum deutschen Film komme, muss ich kurz etwas zum Begriff Diversität sagen. Diversität wird gerade im Zuge von #Metoo gerne benutzt, um auf die Teilhabe von Frauen zu verweisen. Aber dieser Begriff umfasst mehr, Geschlecht ist lediglich ein Aspekt. Er bezieht sich auch auf Ethnie, Alter, sexuelle Orientierung, Behinderung und Religion. Mehr Diversität im Film bedeutet also, dass diese Gruppen im Film vorkommen. Das sind bezogen auf den Film verschiedene Fragestellungen, um die wir uns hier bei Kino-Zeit nach und nach kümmern wollen. Den Anfang macht eine Bestandsaufnahme zu der Repräsentation von Menschen mit Migrationshintergrund im deutschen Film.

Werfe ich einen Blick auf die erfolgreichsten Filme der vergangenen drei Jahre, sieht die Bilanz gar nicht mal so schlecht aus – allerdings nur dank eines Namens: Elyas M’Barek, Österreicher mit tunesischen Wurzeln. Er spielt in der Fack Ju Göhte-Reihe den Aushilfslehrer Zeki Müller und damit in den kommerziell erfolgreichsten Filmen 2017 und 2015. In Dieses bescheuerte Herz verkörpert er den Arztsohn Lenny. Ein möglicher Migrationshintergrund wird in diesen Filmen nicht thematisiert. Das ist vorbildlich – und leider ein absoluter Ausnahmefall. Auch innerhalb dieser Filme, die dann doch in der Darstellung des Lehrerkollegiums und der Schülerschaft bzw. der sonstigen Besetzung eher weiß bleiben. Ein M’Barek macht es also noch nicht besser.

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(Trailer zu Dieses bescheuerte Herz)

Tatsächlich bleibt gerade bei Filmen, die sich an ein junges Publikum richten, das Milieu tendenziell sehr bürgerlich und weiß. Das wurde im Kinderfilm gerade erst anlässlich der Besetzung in der Verfilmung von Liliane Susewind diskutiert: Deren bester Freund Jesaja wird nämlich in den Büchern als Schwarz identifiziert, ohne dass das explizit thematisiert wird. Im Film aber wird er nun von einem weißen Schauspieler gespielt (zur Debatte und den Problemen hat Kollege Rochus Wolff hier geschrieben). Das ist im deutschen Kinderkino keine Ausnahme, auch in Ostwind oder sogar in Andreas Dresens Timm Thaler oder das verkaufte Lachen gibt es keine Figuren mit sichtbarem Migrationshintergrund. Denn auch das ist ein wichtiger Aspekt: Nicht nur Migranten, die sich im Aussehen wenig von – sagen wir einmal: mir – unterscheiden, sind Teil unserer Gesellschaft.

Gibt es sie doch, die Figuren mit sichtbaren Migrationshintergrund, wird ihre Herkunft oft thematisiert, um sich schematisch an Vorurteilen abzuarbeiten oder sie gleich zu bedienen. Adea in Bibi und Tina – Tohuwabohu Total kommt aus Albanien und flieht vor einer Zwangsheirat. Aber sie hat keine Manieren, sie schmatzt, spuckt, rotzt und gibt sich als Syrerin aus. Das wiederum missfällt zwei syrischen Jungs, die sich als Mini-Machos gerieren – und dazu sorgt eine Tanzgruppe aus Mali mit Hüftschwung und Trommelmusik für ein wenig Abwechslung. Das ist keine Diversität, das ist eine Inszenierung von Klischees und Vorurteilen, die schwer zu ertragen ist.

Bibi & Tina: Tohuwabohu total von Detlev Buck
Copyright: DCM Film Distribution

Vielleicht verbirgt sich dahinter sogar eine wohlmeinende Haltung, der Film formuliert sie zumindest aus. Aber eine gute Absicht reicht nicht aus. Erweist man sich in der Inszenierung also als tontaub und schafft es noch nicht einmal, die Vorurteile als solche zu entlarven oder überzeugende Lösungen anzubieten, dann ist die Absicht dahinter unerheblich. Zumal die Gratwanderung zwischen der Inszenierung und Bedienung von rassistischen Klischees in Filmen regelmäßig schiefgeht, da muss man sich nur einmal französische Komödien der vergangenen Jahre ansehen.

Aber zurück zum deutschen Film: Mindestens genauso ärgerlich ist Willkommen bei den Hartmanns – der erfolgreichste deutsche Film des Jahres 2016. Allein das erste Plakat hat schon fast alles gesagt, was man zu dem Film wissen muss: Sechs Schauspieler*innen waren dort zu sehen, aber nur fünf Namen waren gut sichtbar angegeben. Es fehlt Eric Kabongo. Erst nachdem die Aufregung darüber groß war, gab es eine neue Version mit dem Zusatz „introducing Eric Kabongo“. Und das passt so gut zu einem Film, der von der Flüchtlingskrise erzählen will, ohne über Geflüchtete zu erzählen. Vielmehr ist die Aufnahme eines nigerianischen Geflüchteten in einer gut situierten Arztfamilie nur Anlass, um über deren Probleme zu erzählen und sich über Alt-Hippies und Gutmenschen lustig zu machen.

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(Trailer zu Willkommen bei den Hartmanns)

Aber ich will gar nicht nur auf die erfolgreichen Filme schauen, auch ein Blick ins Arthouse-Kino fällt nicht wesentlich besser aus. Von den vier deutschen Beiträgen bei der diesjährigen Berlinale hatte lediglich Christian Petzolds Transit einen diversen Cast und dieser Film thematisiert Ausgrenzung, Rassismus und Immigration. Es wäre fraglos möglich gewesen, in den anderen Filmen Schauspieler*innen mit Migrationshintergrund zu besetzen, genau genommen geht es ja gerade darum: Sie sind nicht das „Besondere“, das „Andere“, sondern selbstverständlicher Teil der Gesellschaft, des Wir.

Stattdessen bleibt eine diverse Besetzung eine Ausnahme: Thematisiert der Film die „andere“ Herkunft oder spielt er in einem kriminellen Milieu, wird die Besetzung diverser. Und es gibt einen weiteren Faktor. Denn schauen wir uns einmal ein paar Filme der vergangenen Jahre an, deren Besetzung divers war: Nur Gott kann mich richten von Özgur Yildirim. Plan B von Ufuk Genc und Michael Popescu. 45 Minuten bis Ramallah von Ali Samadi Ahadi. 300 Worte Deutsch von Züli Aladag. Alle Filme von Fatih Akin. Wird klar, worauf ich hinauswill? Denn auch Fack Ju Göhte wurde von Bora Dagtekin geschrieben und inszeniert. Es sind Filme von Menschen, deren Name zumindest darauf hindeutet, dass es einen Migrationshintergrund in der Familie gibt. Und hier zeigt sich ein weiterer wichtiger Aspekt der Diversität: Je mehr verschiedene Menschen an einem Film beteiligt sind, desto vielfältiger werden die Geschichten, desto diverser wird der Cast, desto besser wird die Repräsentation.

  • Nur Gott kann mich richten von Özgür Yildirim
    Nur Gott kann mich richten von Özgür Yildirim

    Nur Gott kann mich richten von Özgür Yildirim

  • Plan B - Scheiß auf Plan A von Ufuk Genc und Michael Popescu
    Plan B - Scheiß auf Plan A von Ufuk Genc und Michael Popescu

    Plan B — Scheiß auf Plan A von Ufuk Genc und Michael Popescu

  • 45 Minuten bis Ramallah von Ali Samadi Ahadi
    45 Minuten bis Ramallah von Ali Samadi Ahadi

    45 Minuten bis Ramallah von Ali Samadi Ahadi

  • 300 Worte Deutsch von Züli Aladag
    300 Worte Deutsch von Züli Aladag

    300 Worte Deutsch von Züli Aladag

  • Fack Ju Göthe von Bora Dağtekin
    Fack Ju Göthe von Bora Dağtekin

    Fack Ju Göthe von Bora Dağtekin

  • Aus dem Nichts von Fatih Akin
    Aus dem Nichts von Fatih Akin

    Aus dem Nichts von Fatih Akin

Solange das aber nicht verwirklicht wird, transportiert man damit eine Botschaft: Ihr gehört nicht dazu. Ihr seid speziell. Ihr seid nicht selbstverständlicher Teil der Gesellschaft. Nicht repräsentiert zu sein, ist eine Form der Ausgrenzung. Denn es gibt sie ja, Schauspieler*innen, Drehbuchautor*innen, Regisseur*innen, die Filmschaffenden und auch Zuschauer*innen, die diese Filme machen und sehen wollen. Aber wo sind die afrodeutschen, asia-deutschen oder arabisch-deutschen Figuren, die keine Klischees sind? Keine Taxifahrerin, kein Drogendealer, keine Restaurantbetreiberin, kein kleinkrimineller Teenager aus einer Unterschichtsfamilie. Wo sind die Rollen, in denen ihr Aussehen, ihre Herkunft keine Rolle spielt? Sie bleiben Ausnahmen – wie Fahri Yardim in Jugend ohne Gott als Lehrer – und zumeist begrenzt auf bestimmte Schauspieler*innen.

Jugend ohne Gott von Alain Gsponer
Copyright: Constantin Film Verleih GmbH/die film gmbh/Marc Reimann

Es wird also Zeit, dass auch wir eine ernsthafte Diversity-Debatte führen. Dass ein Bewusstsein dafür geschaffen wird, dass es hier Probleme gibt. Mit Schweigen – wie auch in der #Metoo-Debatte – werden diese Probleme nur ignoriert, aber nicht bewältigt. Und man darf es auch nicht einzelnen Akteur*innen überlassen, auf diese Missstände hinzuweisen. Repräsentation ist wichtig, Diversität ist wichtig. Denn eines ist mal klar: Im deutschen Film gibt es keine ethnische Vielfalt – und vielen wird das gar nicht bewusst sein. Also, los geht’s!

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