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Locarno 2017: "Freiheit" von Jan Speckenbach

Ein Beitrag von Patrick Holzapfel

Meinungen

„Die Freiheit ist ein wundersames Tier

Und manche Menschen haben Angst vor ihr

Doch hinter Gitterstäben geht sie ein

Denn nur in Freiheit kann die Freiheit Freiheit sein.“ (Georg Danzer-Die Freiheit)

Wenn das deutsche Kino in Filmen wie Western, Toni Erdmann oder Der traumhafte Weg in letzter Zeit so etwas wie einen Lauf mit starken Beiträgen auf großen internationalen Festivals hatte, dann zeigt Jan Speckenbachs Freiheit, was man eigentlich sowieso wissen sollte: Ein solcher „Lauf“ hat weniger mit nationalen Gegebenheiten, als mit individuellen Ansätzen und gegebenenfalls Verbindungen innerhalb einer Filmkultur zu tun. Speckenbachs Freiheit treibt im Nichts seiner eigenen Anmaßung und findet weder im bemühten Aufbau seiner Handlung noch im intensiven Spiel der Darsteller seine eigene Freiheit.  


(Bild aus Freiheit; Courtesy: Filmfestival Locarno 2017)

Der Film agiert wie ein eingesperrtes Tier, das versucht, sich mit großspurigen Gesten zu befreien. Das beginnt beim Titel, auf den man nicht gerade kommt, wenn man sich in Bescheidenheit üben möchte und zieht sich fort über Plot und Gestaltung, denen jederzeit anzumerken ist, wie sie gedacht sind, wobei sie ständig so tun wollen, als wären sie unmittelbar und spontan. Wie schon in seinem Die Vermissten stellt Speckenbach das Verschwinden in seine Überlegungen zu dem Status der Gesellschaft und philosophischen Ergüssen. Wir folgen Nora (Johanna Wokalek), eine dieser Drifterinnen des deutschen Kinos (man denke an die Filme von Angela Schanelec, Christian Petzold oder den tollen Valerie von Birgit Möller) durch Wien und Bratislava. Sie stürzt sich in sexuelle Abenteuer und wird von etwas Unsichtbarem verfolgt, wobei mehr und mehr klar wird, dass das mit Philip (Hans-Jochen Wagner), einem alleinerziehenden Vater zweier Kinder und Anwalt in Gewaltdelikten (gegen Flüchtlinge, was ein nie schlüssiges und immens großes Fass öffnet) zu tun hat. Schließlich wird klar, dass sie ihn und ihre Familie aus heiterem Himmel verlassen hat. Bevor Speckenbach erzählt, wie es dazu kommt, wirft er den Zuseher mitten ins Geschehen.

Obwohl der Film von Anfang an keine klare Position zu den Figuren und deren existenziellen Krisen bezieht, sondern sich nur um die Wirkung dieser Konstellationen auf den Zuseher sorgt und ihn dadurch wieder und wieder für dumm verkauft, erreicht der Film eine gewisse Präsenz, zum Beispiel in seiner Darstellung des städtischen Lebens in Wien und Bratislava, einigen spannenden Bildern wie während einer Busfahrt oder in der Art und Weise, in der Erinnerungen als Projektionen im Bild erscheinen. Auch einige prinzipielle Gedanken, wie zum Beispiel, dass die mögliche Freiheit einer Person die Unfreiheit einer anderen Person bewirkt oder dass Identität nicht so leicht neu wiederherstellbar ist, sind anregend umgesetzt. Ein besonderes Lob ist auch der Maske des Films zuzusprechen. Selten war eine Frisur so passend zu einer Figur gewählt wie bei Nora. Von der einen Seite sieht sie aus wie ein Punk, unabhängig, wild und von der anderen Seite wirkt sie klassisch, gesetzt und gefangen.

Nun könnte Speckenbach aus diesen Elementen einen guten Film machen, gar keine Frage. Aber er leidet unter anderem am Turmbau-zu-Babel-Problem. Dieses Problem, das einem insbesondere im Festivalkino immer wieder begegnet, bezeichnet das Aufeinandertreffen von klischeehaftem Authentizitätsbestreben und einer aufgesetzten Erhöhung durch Referenzen oder auch nur die kühle Grammatik eines Kinos, das angeblich kunstvoll ist. Der Turmbau zu Babel von Pieter Brueghel d.Ä. kommt gleich zu Beginn des Films vor, als Nora an einer Führung im Kunsthistorischen Museum in Wien teilnimmt. Das Bild zeigt bekanntermaßen opulent ein Projekt, das von vornherein zum Scheitern verurteilt war. Vielleicht liegt in Babel auch der Ursprung einer Unfreiheit. Am Ende des Films taucht der Turm als Spezialeffekt am Horizont nochmal auf, als Nora in einer nächtlichen Stimmung auf das Gebäude aus dem Gemälde zuschwimmt. Der Turm, das Gemälde und sein Bau haben außer der Tatsache, dass sich das Werk tatsächlich in Wien befindet, nichts mit dem Rest des Films zu tun. Speckenbach inszeniert gar nicht opulent. es geht ihm um Schlichtheit und Direktheit. In schlampigen, in ihrer Arbeitsweise nicht immer gelungenen Schnitten springt er zwischen den Schauplätzen und findet wie die meisten Filmemacher, dass Sexszenen in farbigem Licht besser aussehen. Dazu gesellt sich ein mit Ausnahme von Wokalek etwas steifes Spiel, ein mal wieder katastrophale Kinderschauspiel (vor allem, weil die Kinder so spielen sollen, als wären sie Kinder) und dieser westliche Blick, der unbedingt nach Osteuropa reisen muss, um Sexarbeiterinnen zu finden (als hätte man dafür nicht gleich in Wien bleiben können).


(Bild aus Freiheit; Courtesy: Filmfestival Locarno 2017)

Nun ist es so, dass der Maler des Turmbaus zu Babel eine unheimliche Akribie in die Details seines Werks gelegt hat. So ist es zum Beispiel beim Betrachten auch architektonisch absolut schlüssig, dass der Turmbau nicht gelingen wird. Die Ideen des Malers manifestieren sich in seiner Beobachtung und Wiedergabe der Welt. Speckenbach nimmt davon nur die Ideen und weil er kaum Details oder Beobachtungen in seinem Film zulässt, erstickt sein Film in einem Hochmut theoretischer Ansätze, aus denen man nie ganz schlau werden kann, weil hier kaum etwas wirklich zu Ende gedacht wird und vor allem nichts in der von ihm betrachteten Welt angelegt ist. So verkommt Freiheit zu einem Film über eine Weltsicht, die man besser schriftlich formuliert hätte, als sie in jederzeit einfallslosen und erwartbaren Szenen (das beste Beispiel ist die obligatorische Szene, in der Nora Philip anruft aber dann nicht spricht) aufzulösen. Es entstehen Fragmente eines Films, in denen viele Szenen unheimlich viel zu bedeuten scheinen. Zum Beispiel findet sich relativ zu Beginn des Films eine Einstellung, in der der weiße Finger des Anwalts die schwarze Haut eines Patienten im Krankenhaus berührt. Später kommt ein ambivalenter Rassismus in einem Tischgespräch zum Vorschein. Warum dem so ist oder warum das Warum nicht wichtig ist, wird nie greifbar. 

An anderen Stellen versucht Freiheit sehr spürbar nachvollziehbar zu sein. Das ist an sich kein Problem, jedoch widerspricht es dem eigentlich auf Erfahrung und Unausgesprochenen fokussierten Plot des Films schon sehr, wenn etwa plötzlich Philip in einer TV-Schau auftritt und der Zuseher dort alles erfahren kann, was er will und viel mehr hört, als es dem Film gut tut.

„Du hast nen richtig schönen Schwanz.“, sagt Nora einem feschen Österreicher nach dem Sex. Er hatte sie im Supermarkt am Rande der absoluten Peinlichkeit angemacht und nun liegen sie zusammen in seiner Wohnung. Frei wirkt das sicher nicht, vielmehr bemüht und irgendwie unbequem. Es ist erstaunlich, dass ein Film, der eine solche Szene enthält und die Unfreiheit der Freiheit reflektiert, das eigene Vorgehen mit der gleichen aufgesetzten Nonchalance und aus dem Fenster hängenden Coolness inszeniert wie seine scheiternde oder zumindest strauchelnde Protagonistin. 

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