Der Tropfen - Ein Roadmovie

Eine Filmkritik von Iskander Kachcharov

Eine Mopedfahrt durch "blühende Landschaften"

Wie wird ein unscheinbarer, vom Schicksal verzweifelter Mensch zu einer unkalkulierbaren Gefahr? Ist ein Amoklauf oder ein Terroranschlag die Folge systemischer sowie menschlicher Ausweglosigkeit? Was bringt das Fass zum Überlaufen? Das sind Fragen, die zur Zeit einige deutsche Filmprojekte beantworten wollen. Eines davon ist der zum Teil durch Crowdfunding finanzierte Film Der Tropfen – Ein Roadmovie von Matthias Kubusch und Robert von Wroblewsky.
Rainer (David Emig) steht vor den Trümmern seines Lebens. Seine Pläne, Hoffnungen und Träume sind nach der Wende jäh zerstört worden. Jetzt steht er neben sich und wird herumgestoßen, lebt von Sozialhilfe und trägt Pizzen aus. Zusätzlichen Kummer bereitet ihm seine demente und bettlägerige Mutter, um die er sich aufopferungsvoll kümmert. Doch irgendwann ist das Fass voll. Mit einer selbstgebauten Bombe im Transportbehälter seines Mopeds fährt er von Thüringen nach Berlin und legt unterwegs an Stationen seiner Vergangenheit Zwischenstopps ein. Sein Vater (Florian Martens), der ihn einst im Stich ließ, die frühere große Liebe (Winnie Böwe) und ein alter Klassenkamerad (Harald Schrott) bestärken ihn in seinem Vorhaben, mit einem großen Knall Schluss zu machen. Dann jedoch trifft er auf eine Frau (Maria Thomas), die ihm scheinbar alles geben kann, wonach er begehrt – und damit scheint die Katastrophe abgewendet zu sein – bis ein tragisches Missverständnis geschieht…

Die zu Beginn der Wiedervereinigung versprochenen „blühenden Landschaften“ liegen brach, Stillstand und Schwermut lähmen den Willen, den Teufelskreis zu durchbrechen. Das Risiko liegt nahe, sich in diesem Thema zu verfahren und pseudokritische Parolen aufzuwärmen, die schnell in filmische Hochnäsigkeit münden können. Tatsächlich läuft der Film anfangs auch Gefahr, sich ein Zuviel aufzuerlegen, dem er nicht standhalten kann. Zu oft gesehen und darüber hinaus zu einseitig sind die Motive und Charakterisierungen des vermeintlich „ostdeutschen Dilemmas“.

Doch zum Glück für Film und Zuschauer kriegt Der Tropfen – Ein Roadmovie noch früh genug die Kurve. In ruhig anmutenden und harmlosen Szenen baut der Film eine überzeugende Schwere auf, die in ihrer latenten Aggression und Ausweglosigkeit (im guten Sinne) quält. So hallt die einstige Heimat in der Gegenwart traurig nach, ohne Schuldige für die Notlage zu benennen. Dabei entsteht immer mehr der Eindruck, dass die systemische Schieflage für Rainer gar nicht der alles entscheidende Knackpunkt ist, sondern dass sein Fehlverhalten vielmehr aus menschlichem und emotionalem Unverständnis resultiert. Seit Jahren, wenn nicht gar Jahrzehnten von fundamentalen Ängsten begleitet und von jedem herumgestoßen, ist Rainer nicht mehr fähig, sich wirklich zu öffnen und mitzuteilen.

Der Film setzt auf Überraschungsmomente, die Rainers labilen Zustand deutlich machen. Nachdem er zuvor als unsicherer Pizzabote von der herumhängenden Dorfjugend drangsaliert wurde, sitzt er kurz darauf am Schreibtisch und bastelt an seiner selbstkonstruierten Bombe herum. Diesen Momenten gelingt es wirklich zu schockieren, weil sie schlagartig bewusst machen, welche Gefahr von Rainer tatsächlich ausgeht. Er tötet Menschen – sei es mit einer Schusswaffe oder durch die Manipulation von Autobremsen. Ansatzlos bricht die Gewalt aus ihm heraus, reflexartig, ohne mit der Wimper zu zucken. Dabei wird dieser hochriskante Schwebezustand zwischen Depression und Aussichtslosigkeit in das Innere von Rainer verlagert, der sich anscheinend nur entschärfen lässt, wenn er sich als Mensch akzeptiert und geliebt fühlt. In Berlin wird ihm dieses Glück für gewisse Zeit zuteil, doch trotz allem geht das Ticken weiter — weil er es so will.

Trotz seines geringen Budgets ist Der Tropfen – Ein Roadmovie ein atmosphärisch gelungener, überzeugend besetzter und zum Ende immer mehr Fahrt aufnehmendes Drama, das die Wurzeln der in ihm gezeigten Gewalt nicht in abgestandenen Phrasen und naheliegenden Motivationen sucht. Vielmehr benutzt der Film diese oberflächliche Polemik als Fassade und Täuschungsmanöver und enthüllt schrittweise die darunter liegenden Schichten und Abgründe menschlicher Entscheidungen und Verantwortungen. Der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt, ist also nicht stets zwangsläufig etwas, das von außen kommt — er kann auch in uns selbst entstehen.

Der Tropfen - Ein Roadmovie

Wie wird ein unscheinbarer, vom Schicksal verzweifelter Mensch zu einer unkalkulierbaren Gefahr? Ist ein Amoklauf oder ein Terroranschlag die Folge systemischer sowie menschlicher Ausweglosigkeit? Was bringt das Fass zum Überlaufen? Das sind Fragen, die zur Zeit einige deutsche Filmprojekte beantworten wollen.
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