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Video on Demand: Couchperle: Swan Song

Ein Beitrag von Mathis Raabe

House of Gemini
Swan Song (2021) von Todd Stephens

Die schwedische Popsängerin Robyn gilt als wichtige Pionierin des Stils Dance Crying – Musik, bei der man zugleich weinen und tanzen möchte, im Idealfall gleich in der Disko, mitten auf der Tanzfläche. Kein Song steht dafür mehr als „Dancing On My Own“. Auch Udo Kier hat im unterschätzten queeren Indie-Drama Swan Song Grund zum Tanzen und zum Weinen, und seine Darbietung zu „Dancing On my Own“ im letzten Drittel des Films zählt zu den schönsten Musiknutzungen der jüngeren Filmgeschichte.

Kiers Figur Mister Pat wurde einst der „Liberace von Sandusky“ genannt. Sandusky ist zwar nur eine Kleinstadt in Ohio, aber immerhin eine Kleinstadt, in der es Drag-Shows und Friseursalons gibt. Das sind die Orte, an denen Pat früher seine Talente zeigen konnte. Inzwischen lebt er in einem Seniorenheim und darf nur einer betagten Zimmernachbarin noch gelegentlich die Haare auftürmen – ein ernüchternder Tapetenwechsel für einen Lebemann. Als eine alte Kundin stirbt und für ihre Beerdigung natürlich gut aussehen muss, sieht er den richtigen Zeitpunkt für einen Ausbruch gekommen. Bei einer letzten Ehrenrunde durch Sandusky trifft er alte Weggefährten und tauscht seinen grauen Trainingsanzug nach und nach durch Hut und Federboa aus. Dabei muss er aber auch feststellen, dass es manche Weggefährten nicht mehr gibt und ihn in seiner Lieblingsbar niemand mehr erkennt.

Diese spezifische Entfremdungserfahrung wird oft mit dem Begriff „queere Melancholie“ beschrieben und betrifft schwule Männer, die die AIDS-Epidemie miterlebt haben, im Besonderen. Diesen Männern setzt Todd Stephens mit Swan Song ein Denkmal, und zweien im Besonderen: Udo Kier, dem dieses Alterswerk wie auf den Leib geschrieben scheint, und dem realen Mister Pat. Der Regisseur ist selbst in Sandusky aufgewachsen und kannte dort einen selbstbewussten schwulen Friseur, der nicht nur für die Filmfigur, sondern auch für Stephens ein Vorbild war, als der noch ein junger Mann war. Auch wenn Mister Pat im Laufe des Films auf der Bühne seiner alten Lieblingsbar noch ein Comeback feiern darf, bleibt in diesem Kontext immer ein melancholischer Unterton.

Mit Swan Song bringt Todd Stephens seine „Sandusky-Trilogie“ zu Ende, und auch der Auftakt der Trilogie hatte schon einen Bezug zur Pop-Musik: In Gypsy 83 (2001) begeben sich zwei junge Goths auf einen Roadtrip auf den Spuren ihres Idols Stevie Nicks. Die Filme des Regisseurs, leider sind es nicht viele, hätten noch viel breitere Aufmerksamkeit verdient.

Swan Song ist diese Woche auf DVD und BluRay sowie zum Digitalkauf bei Amazon Prime erschienen.