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Features: Sympathizing With Shelley - Opfer im Namen der Kunst

Ein Beitrag von Katrin Doerksen

Warner Bros.
Shelley Duvall in "Shining"

Vor zwei Tagen feierte Shelley Duvall ihren 70. Geburtstag. Allzu präsent war sie zu diesem Anlass nicht. Stattdessen wird immer wieder ein Video geteilt, in dem sie 2016 in einer Episode der Psychologie-Unterhaltungsshow Dr. Phil auftrat und eindeutig nicht im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte war. Ein lautstarker Backlash und Boykott-Aufrufe kamen nach der Ausstrahlung aus Richtung Hollywood und Vivian Kubrick begann für die psychische Behandlung von Duvall öffentlichkeitswirksam Spenden zu sammeln.

Diese Verbindung kam nicht von Ungefähr. Nicht Wenige sahen und sehen einen Auslöser von Duvalls labilem Zustand in ihrer Zusammenarbeit mit Vivian Kubricks Vater an The Shining. Stanley Kubrick hatte darauf bestanden die junge New-Hollywood-Darstellerin in der Rolle der Wendy Torrance zu besetzen. Doch während den Regisseur am Set mit ihrem Co-Star Jack Nicholson schon bald eine enge Freundschaft verband, behandelte er Duvall mit Verachtung und Ignoranz. Im Buch The Complete Kubrick erinnerte sich die Schauspielerin:

“From May until October, I was really in and out of ill health because the stress of the role was so great. Stanley pushed me and prodded me further than I’ve ever been pushed before. It’s the most difficult role I’ve ever had to play.”

Mit 127 Takes steht die Baseballschläger-Szene aus The Shining im Guinnessbuch der Weltrekorde als am häufigsten wiederholte Dialogszene. Duvall, die währenddessen ununterbrochen weinen und zittern sollte, verlor unter dem Stress ganze Haarbüschel und war nach 12 Stunden ununterbrochenen Weinens nicht selten völlig dehydriert. Mit Mitleid durfte sie jedoch nicht rechnen — Kubrick isolierte seine Hauptdarstellerin und setzte sie unter psychischen Druck, wies sogar Crewmitglieder an ihr gegenüber keine Empathie zu zeigen. „Don’t sympathize with Shelley,“ hört man ihn an einer Stelle im Dokumentarfilm Stanley Kubrick: A Life in Pictures sagen.

 

Es ist davon auszugehen, dass Kubrick all dies mit einem künstlerischen Hintergedanken tat. Und tatsächlich wirkt Duvalls Performance in The Shining beinahe unheimlich authentisch, jeden Moment dem endgültigen Nervenzusammenbruch nahe. Dennoch stellt sich dabei die Frage, wie weit ein Filmemacher im Namen der Kunst gehen darf. Noch dazu, wenn zweifellos Abhängigkeitsverhältnisse vorliegen: Kubrick war nach Welterfolgen wie 2001: Odyssee im Weltraum oder Uhrwerk Orange 1980 bereits auf dem Zenit seiner Karriere; seine Arbeitsmethoden wurden von niemandem in Frage gestellt.

Obwohl The Shining zunächst gemischte Kritiken erhielt und sich mit Stephen King auch der Autor der Romanvorlage gegen die Verfilmung aussprach, galt alle Aufmerksamkeit wie immer Kubrick selbst. Während Schauspieler_Innen Oscars gewinnen, weil sie für ihre Rollen Kilos ab- und wieder zunehmen oder unter besonders aufwändigen Masken performen, wird psychische Verausgabung und Überforderung selten preisgekrönt. So empfand es auch Shelley Duvall, die nach der Veröffentlichung des Films in einem Interview mit Roger Ebert betonte:

„During the day I would have been absolutely miserable. After all that work, hardly anyone even criticized my performance in it, even to mention it, it seemed like. The reviews were all about Kubrick like I wasn’t there.”

Bis heute hält sich — wenn auch glücklicherweise nicht mehr völlig unhinterfragt — das Bild des Genies, das es sich erlauben kann im Namen der großen Kunst Opfer in erster Linie auf Kosten seiner Untergebenen zu bringen. Der patriarchalen Strukturen wegen, die bis heute die Filmwirtschaft dominieren, gehen diese Machtmissbräuche in den meisten Fällen mit den immer gleichen Geschlechterdynamiken einher: Männliche Regisseure und/oder Produzenten verfügen nach Belieben über jüngere weibliche Darstellerinnen.

 

Als Mädchen, nicht als Schauspielerin

Wie häufig den Stimmen der Frauen dabei kaum Gehör, geschweige denn Gewicht gegeben wurde, zeigt unter Anderem der Fall Maria Schneider. Bereits im Jahr 2007 hatte die Schauspielerin in einem Interview mit der Daily Mail darüber berichtet, dass die Butterszene aus Bernardo Bertoluccis Der Letzte Tango In Paris weder im Drehbuch stand, noch im Detail mit ihr abgesprochen war.

Maria Schneider und Marlon Brando in „Der letzte Tango in Paris“; MGM Home Entertainment

„Marlon said to me: ‚Maria, don’t worry, it’s just a movie,‘ but during the scene, even though what Marlon was doing wasn’t real, I was crying real tears. I felt humiliated and to be honest, I felt a little raped, both by Marlon and by Bertolucci. After the scene, Marlon didn’t console me or apologise. Thankfully, there was just one take.“ Schneider habe damals nicht gewusst, dass sie ohne weiteres das Recht gehabt hätte ihren Anwalt zu konsultieren:

„I was too young to know better. Marlon later said that he felt manipulated, and he was Marlon Brando, so you can imagine how I felt.“

Für ein Medienecho sorgten Maria Schneiders Äußerungen nicht. Der Backlash kam erst, als das feministische spanische Medium El Mundo de Alycia 2016 ein Video teilte, das bereits seit Jahren öffentlich zugänglich war. Darin gibt Bernardo Bertolucci zu Maria Schneider überrumpelt zu haben. Es habe ihm leid getan, doch er sei an ihrer gedemütigten Reaktion als Mädchen interessiert gewesen, nicht als Schauspielerin. 

 

Wie weit ist zu weit?

Diese Ansicht scheint in manchen Regisseuren regelrecht festzustecken: Dass Schauspielerinnen nicht in der Lage seien, extreme Emotionen als Teil ihrer professionellen Arbeit entstehen zu lassen oder glaubhaft vermitteln zu können. Dass man ihnen vielmehr eine Reaktion als Privatperson, als vermeintlich verletzliche Frau, als Mädchen entlocken müsse. So ähnlich argumentierte jedenfalls auch Abdellatif Kechiche, der für die Methoden am Set seines Films Blau ist eine warme Farbe nicht nur von seinen Hauptdarstellerinnen Léa Seydoux und Adèle Exarchopoulos öffentlich kritisiert wurde:

“For me, the scenes as they are in the film don’t go far enough,“ suchte sich Kechiche zu rechtfertigen. „It’s true that we did start them over often, but for very evident reason. I couldn’t ask Adele and Lea to make desire last, they had to want to do the scene.” Wie hart die Schauspielerinnen insbesondere für die Sexszenen tatsächlich arbeiteten, beschrieb Seydoux derweil in aller Deutlichkeit für den Independent:

„Of course it was kind of humiliating sometimes, I was feeling like a prostitute. Of course, he uses that sometimes. He was using three cameras, and when you have to fake your orgasm for six hours… I can’t say that it was nothing…“

 

Später relativierte Seydoux ihre Aussagen. Sie habe nur Abdellatif Kechiches Methoden kritisieren wollen, nicht den Film an sich. Unmut war aber auch von anderer Stelle laut worden. Noch vor der Weltpremiere in Cannes hatte die französische Gewerkschaft der Filmschaffenden Beschwerde eingelegt: Die Arbeitsbedingungen am Set von Blau ist eine warme Farbe seien für die Crew unzumutbar gewesen, von nicht bezahlten Überstunden und Schikane von Seiten des Regisseurs war die Rede gewesen.

 

„Der arme Harvey…“

Wie schnell es um Leib und Leben geht, wenn die einfachsten Arbeitsschutzgesetze nicht eingehalten werden, demonstrierte auch eindrucksvoll Uma Thurman, die im Februar 2018 einen kurzen Clip auf Instagram teilte, in dem zu sehen ist, wie sie beim Dreh eines Stunts aus Kill Bill mit dem Auto verunglückte. Thurman hatte zunächst nicht selbst fahren wollen, Regisseur Quentin Tarantino überzeugte sie jedoch davon, dass Auto und Straße sicher seien. Unter anderem trug die Schauspielerin eine Gehirnerschütterung und Verletzungen an den Knien davon, über Jahre hinweg litt auch ihre Beziehung zu Tarantino.

Erst in einem Interview mit der New York Times im Zuge der #MeToo-Enthüllungen berichtete Thurman, dass die Produktionsfirma Miramax ihr angeboten habe ihr die Aufnahmen lediglich im Austausch gegen eine Unterschrift zu überlassen, die die Firma von jeglicher Verantwortung für ihren Unfall und etwaige Folgeschäden freigesprochen hätte. Thurman weigerte sich. Erst 15 Jahre später, ermutigt durch die Aussagen gegen Weinstein, wandte sie sich an die Polizei und baute genügend Druck auf, der Tarantino schließlich dazu bewegte ihre das Material zu geben.

Bei der Gelegenheit sprach sie auch über Harvey Weinsteins unangemessene Annäherungsversuche, sowie die Bemühungen der Männer in seinem Umfeld sein Verhalten kleinzureden. „Oh, poor Harvey, trying to get girls he can’t have“, meinte sie sich an Tarantinos Aussage zu erinnern. Überhaupt waren es in erster Linie die Vertuschungsversuche, die Thurman empörten. Unter dem Instagram-Video ihres Unfalls schrieb sie: „THE COVER UP after the fact is UNFORGIVABLE. for this i hold Lawrence Bender, E. Bennett Walsh, and the notorious Harvey Weinstein solely responsible. they lied, destroyed evidence, and continue to lie about the permanent harm they caused and then chose to suppress. the cover up did have malicious intent, and shame on these three for all eternity.“

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Erst dank der Aufmerksamkeit gegenüber der #MeToo-Bewegung, des Engagements von Aktivistinnen weltweit verschieben sich langsam die Geschichtsschreibungen, die Reflexe, die Urteile, die Narrative. Weg von halbherzigen Rechtfertigungen toxischen männlichen und vermeintlich genialen Verhaltens hin zu Aufmerksamkeit für die Stimmen der betroffenen Frauen. Diesen vorsichtig optimistischen Schluss zieht auch Uma Thurman. Der New York Times gegenüber sagte sie:

„Personally, it has taken me 47 years to stop calling people who are mean to you ‘in love’ with you. It took a long time because I think that as little girls we are conditioned to believe that cruelty and love somehow have a connection and that is like the sort of era that we need to evolve out of.“