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Deutschlands vergessenes Genre-Erbe

Ein Beitrag von Markus Fiedler

Genre und deutscher Film: Eine leidenschaftliche Liebesbeziehung sieht anders aus. Zum Start von Aus meiner Haut werfen wir einen Blick den deutschen Genre-Film. Ist da gar nichts zu holen?

Meinungen
Aus meiner Haut
Nosferatu / Aus meiner Haut / Der Nachtmahr

Der deutsche Spielfilm Aus meiner Haut beschäftigt sich mit einem Science-Fiction-Thema: dem Körpertausch. Damit gehört er in diesem Land zu den wenigen Projekten pro Jahrzehnt, die sich zu den Genre-Filmen rechnen lassen – etwas, worin die deutsche Filmindustrie einst Weltmarktführer war. Heute sind solche Projekte die absolute Seltenheit, aber es gibt sie. Die Redaktion wirft zum Start von Aus meiner Haut einen Blick auf andere deutsche Filme der vergangenen Jahre, die sich trauen, mit vertrauten Realitäten zu spielen.

Etwa 100 Jahre ist es her, da war der deutsche Film auf Augenhöhe mit dem jungen Hollywood-Kino. Während der Weimarer Republik entstanden Meisterwerke, die heute noch als solche gelten. Vor allem beim sogenannten phantastischen Film hatten die deutschen Produktionen die Nase vorn. Während Hollywood erst in den 30er Jahren die großen Klassiker wie James Whales Frankenstein (1931) und Frankensteins Braut (1935) oder Tod Brownings Dracula (1931) mit Bela Lugosi und dem damals verschmähten Freaks (1932) hervorbrachte, hatten deutsche Regisseure bereits das Feld bestellt.

Die Goldenen 20er

Fritz Langs Metropolis (1927), der damals teuerste Film überhaupt, öffnete dem Science-Fiction-Film neue Themen, seine Dr. Mabuse-Filme aus den frühen 20er Jahren waren ebenfalls stilbildend. Robert Wiene bildete den damaligen Expressionismus als Kunstform in seinem brillanten Das Cabinet des Dr. Caligari (1920) ab. Erst 100 Jahre später griff mit Hinterland ein deutschsprachiger Film die Idee wieder auf und präsentierte damit einen inhaltlich durchschnittlichen, aber optisch spektakulären Film.

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Paul Wegener und Carl Boese drehten mit ähnlicher Optik Der Golem und wie er in die Welt kam (1920). Und Friedrich Wilhelm Murnaus Nosferatu – eine Sinfonie des Grauens von 1922 gilt vielen Kritikern bis heute als bester Vampirfilm überhaupt – auch wenn die Story ein dreistes Plagiat von Bram Stokers Dracula war; mit ein paar inhaltlichen Änderungen sollte das Geld für die Rechte gespart werden. Als Hitler an die Macht kam, vertrieb seine Regierung die meisten dieser großen Filmemacher nach Hollywood – der phantastische deutsche Film war damit am Ende. Nach dem Krieg standen Heimatfilme und Romanzen hoch in der Gunst des Publikums, Filme wie Alraune (1952) hatten absoluten Seltenheitswert. In Deutschland gab es offenkundig keinen Bedarf mehr am Grauen – auch nicht im Kino.

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Das Genre-Kino in Deutschland hat sich noch immer nicht wirklich erholt. Heutzutage lässt auch das Förderungssystem Projekte in der Regel links liegen, die zu viel Sci-Fi, Fantasy- oder Horrorelemente beinhalten. Horror, Fantasy und Science-Fiction – das hat in Deutschland keine Lobby. Dennoch haben ein paar deutsche Filmemacher sich getraut, ihre Visionen umzusetzen.

Roboter und Wassergeister

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Ein guter Versuch, Science-Fiction mit guter Story zu verbinden, gelang Maria Schrader, mit Ich bin dein Mensch. Die Dramödie, in der sich eine Frau zu einem Experiment mit einem humanoiden Roboter überreden lässt, der als Lebensgefährte fungieren soll, steckt voller kluger Momente. Und wie bei guten Science-Fiction-Filmen stellt Schrader in der nach einer Kurzgeschichte gedrehten Story die philosophischen Aspekte in den Vordergrund. Wann ist ein Mensch ein Mensch? Welche Bedürfnisse hat er? Und kann eine künstliche Lebensform lieben – oder das nur simulieren? Und reicht das nicht, um glücklich zu sein? Schrader gelang es darüber hinaus, den Genre-Aspekt ihres Films so weit im Hintergrund zu halten, dass ihr Projekt mit Fördermitteln verwirklicht werden konnte. Und beim Deutschen Filmpreis 2021 vier Preise gewann. Das Publikum war an dem Film leider weniger interessiert, nur gut 100000 Zuschauer:innen wollten Ich bin dein Mensch im Kino sehen.

Undine                                                                                                                                                                                          © piffl medien

Mit Undine (2020) wagte sich Regisseur und Drehbuchautor Christian Petzold an germanische Mythologie und erzählt mit Paula Beer und Franz Rogowksi die Geschichte um einen weiblichen Elementargeist, der in menschlicher Form dazu verdammt ist, untreue Partner zu töten und wieder ins Wasser zurückzukehren. Petzold hüllt diese Saga allerdings eher in einen Arthouse-Mantel, als die phantastischen Aspekte der Geschichte herauszuarbeiten. Dennoch ist sein Film geheimnisvoll und magisch genug, um die Grundidee zum Leben zu erwecken. Und gerade weil Petzolds Undine sich mit ihrem Schicksal nicht abfinden will, findet der Film eigene Botschaften in der mittelalterlichen Saga. Hauptdarstellerin Paul Beer holte sich für Undine einen Silbernen Bären sowie den Europäischen Filmpreis ab, der Film selbst war 2020 für den Deutschen Filmpreis nominiert.

Eine zu unbekannte Perle und der etwas andere Zombiefilm

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Ein anderes Kaliber in Sachen Horror und Fantasy ist Der Nachtmahr (2015) von Achim Bornhak, Künstlername AKIZ, der auch das Drehbuch verfasste. Denn der bringt alles mit, was einen Genrefilm ausmacht. Zwar hat auch AKIZ mit dem Mainstream-Kino nur wenig am Hut, aber sein starkes Drehbuch, mit beabsichtigten Unschärfen bei Handlung, einer Offenheit zur Deutung, kann aufgeschlossene Fans definitiv abholen. AKIZ stellt dabei so gut wie alles infrage, was er dem Publikum präsentiert. Welcher Teil der Handlung passiert wirklich, und welcher ist nur Traum oder Illusion? Ist der Nachtmahr real? Oder ist er nur eine unbewusste Seite der Hauptfigur? AKIZ spielt virtuos mit diesen Fragen und verweigert konsequent klare Antworten, bis zum starken Ende. Zudem gelingt ihm mit seinem Film eine ebenso emotionale wie spannende Mischung aus Horror- und Coming of Age-Film, steht doch die 17-jährige Tina als Protagonistin dem Horror gegenüber. Und für sein Mikro-Budget kann der Film durchaus auch tricktechnisch überzeugen, die namensgebende Kreatur sieht weit besser aus, als zu erwarten war.

Endzeit                                                                                                                                                                                     © ZDF/AnkeNeugebauer
 

Endzeit (2018) ist ein in mehrfacher Hinsicht interessanter deutscher Genre-Film. Denn die Zombie-Geschichte hat nicht nur zwei Heldinnen vor der Kamera, sondern in vielen wichtigen Positionen auch Frauen dahinter. Regie, Drehbuch, Kamera, Schnitt, Musik – alles lag in weiblicher Hand. Endzeit verlässt nach etwas holprigem Start schnell die gängigen Klischees der typischen Zombie-Reißer und erzählt ruhig, aber nicht ohne Spannung, eine deutlich andere Geschichte.

Trotz der Thematik beschäftigt sich der Film von Regisseurin Carolina Hellsgard wenig mit plattem oder blutigem Horror, auch wenn die eine oder andere Untoten-Attacke stark inszeniert ist, sondern geht ganz eigene Wege in Rahmen der bekannten Apokalypse. Außerdem bietet die Verfilmung einer Comic-Vorlage auch noch überraschende Parallelen zum aktuellen Serienhit The Last of Us, wenngleich Endzeit hier eine sehr viel sanftere Variante beschreibt. Dieser Film ist sicher nichts für Fans harter Zombiefilme wie die von George A. Romero, dennoch ist dieser weibliche Blick auf das Sub-Genre für Zuschauer:innen durchaus interessant.

Es geht auch Mainstream!

Rammbock                                                                                                          © Filmgalerie 451

Ganz anders zeigt sich Rammbock aus dem Jahr 2010. Die Geschichte des Protagonisten, der nach Berlin reist, um seine Beziehung zu retten, und dabei in die Zombieapokalypse gerät, orientiert sich stark an den großen Vorbildern, ohne jedoch auf deren Gewaltgrad zu setzen. Dem österreichischen Regisseur Marvin Kren gelingt mit Rammbock in seinem Langfilm-Debüt sowohl eine Hommage an den Romero-Stil als auch eine Annäherung an den moderneren Ansatz eines 28 Days Later. Dabei setzt das Drehbuch nie auf Ironie oder Humor, sondern bleibt immer ernsthaft und zeigt so einen emotional packenden Überlebenskampf der Menschheit anhand eines Berliner Blocks. Kren selbst legte drei Jahre später mit Blutgletscher, einer Art Alpin-Version von John Carpenters The Thing, in Sachen Horror noch einmal deutlich derber nach, hat sich seitdem aber von diesem Genre leider komplett verabschiedet.

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Unbedingt zu erwähnen ist auch Regisseur Tim Fehlbaum, der innerhalb von zehn Jahren mit Hell (2011) und Tides (2021) zwei interessante Dystopien drehte, und letzteren auch mit internationalen Stars wie Nora Arnezeder und Iain Glen für eine entsprechende weltweite Vermarktung besetzen konnte. Richtig durchgestartet sind beide Filme trotz guter Kritiken bedauerlicherweise nicht. Für Fans sind sie dennoch sehr sehenswert, weil es Fehlbaum gelingt, hier realistische Szenarien einer düsteren Zukunft zum Leben zu erwecken. Und auch Christian Alvarts Sci-Fi-Ausflug Pandorum (2009), mit Stars wie Dennis Quaid und Ben Foster besetzt und auf Englisch gedreht, ist als Alien-ähnlicher Thriller ein Beispiel dafür, dass in Deutschland durchaus gute Sci-Fi-Horrorfilme im Mainstream-Bereich entstehen können – wenn man nur will.

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Doch dieser Wille ist auch mehr als 100 Jahre nach den frühen Meisterwerken der Weimarer Ära kaum zu sehen und so bleibt der phantastische Film in Deutschland wohl weiterhin in einer Art unruhigem Dornröschenschlaf, der nur alle paar Jahre einmal kurz unterbrochen wird. Dabei ist der Weg vom Krimi, der Deutschen liebstes Kind, zu noch dunkleren Stoffen doch gar nicht so weit.

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