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Where Are They Now? – Fortsetzungen im Arthouse-Kino

Ein Beitrag von Andreas Köhnemann

Mit „15 Jahre“ setzt Chris Kraus sein erfolgreiches Drama „Vier Minuten“ (2006) fort. Wie unterscheiden sich (deutlich seltenere) Arthouse-Fortsetzungen von den üblichen Blockbuster-Sequels?

Meinungen
Before Midnight / 15 Jahre / 2046
Before Midnight / 15 Jahre / 2046

Mehr als anderthalb Dekaden ist es her, dass sich Hannah Herzsprung als damals 20-jährige Protagonistin Jenny von Loeben in Chris KrausVier Minuten bei einem Musikwettbewerb die Seele aus dem Leib spielte. Die 1981 geborene Schauspielerin avancierte mit dieser Rolle einer unkonventionellen jungen Pianistin in Gefangenschaft zu einem Star des deutschen Kinos. Sie verkörperte eine Frau, die (bereits vor Beginn der Handlung) wegen eines Mordes verurteilt worden war, den ihr Freund begangen hatte, und die zudem unter den schlechten Haftbedingungen ihr Kind bei der Geburt verloren hatte. Der Film zeigte uns im Finale einen Augenblick der künstlerischen Befreiung, bei dem sich wiederum schon erahnen ließ, dass es ein flüchtiger Moment bleiben wird.

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Wenn der Autorenfilmer und seine Hauptdarstellerin nun mit 15 Jahre ab dem 11. Januar 2024 auf die Leinwand zurückkehren, erfahren wir, wie es der rebellischen Jenny seither ergangen ist. Wir begleiten sie dabei, wie sie nach ihrer Entlassung aus dem Gefängnis wieder Fuß zu fassen versucht – wie sie allmählich einen Weg finden muss, sich (erneut) ein Leben und einen geordneten Alltag aufzubauen. Rasch wird erkennbar, dass der kurze emotionale Höhepunkt am Ende von Vier Minuten keine dauerhafte Heilung ihrer seelischen Wunden gebracht hat.

Zorn und (Selbst-)Zerstörung sind noch immer die wesentlichen Züge der (Anti-)Heldin – und doch ist vieles anders. Jenny sitzt nicht mehr hinter Gittern; sie verfügt über andere Möglichkeiten als im Vorgängerfilm. Sie ist keine hilflose Jugendliche mehr, die einen fatalen Fehler begangen und daraufhin mit dem ihr gerade erst widerfahrenen Unrecht zu kämpfen hat, sondern eine erwachsene Frau, die das inzwischen schon länger Vergangene endgültig hinter sich lassen und Verantwortung für die Gestaltung ihrer Zukunft übernehmen muss. Herzsprung bringt all die Wut und Wucht aus Vier Minuten abermals auf; sie wiederholt oder variiert ihren Part von damals indes nicht einfach. Stattdessen lässt sie uns spüren, dass diese Figur in all den Jahren, die wir als Zuschauer:innen nicht mitbekommen haben, weitergelebt hat – mit sämtlichen Schmerzen und Konflikten.

More of the same

Fortsetzungen, auch Sequels genannt, sind seit langer Zeit ein fester Teil der Filmindustrie. Bei den meisten von ihnen handelt es sich um „Anschlussprodukte“, deren Ziel schlicht ist, den Gewinn zu vergrößern: Der (finanzielle) Erfolg eines Werks soll mit einem Sequel wiederholt beziehungsweise weitergetrieben werden. Überwiegend geschieht dies, indem die Hauptfigur oder eine zentrale Figurengruppe und/oder prägnante Nebenfiguren erneut auftreten, wodurch eine Reihe, ein Kino-Franchise entstehen kann.

Die Abenteuer von Dr. Mabuse, von Tarzan (und Jane), von dem detektivischen Duo Nick und Nora (in den Dünner-Mann-Krimis), von Sherlock Holmes (und Dr. Watson), von Dr. Kildare (und Dr. Gillespie), von James Bond, von Ethan Hunt und nicht zuletzt von einer Vielzahl von Kämpfer:innen im All, Superheld:innen und Fabelwesen lassen sich (theoretisch) stets weiterspinnen, sobald sie beim Publikum zu einer etablierten Marke geworden sind – bis sich dann irgendwann klare Ermüdungserscheinungen einstellen.


The nightmare isn’t over…

Häufig basieren die fortsetzungstauglichen Figuren der Verbrecher:innen, Ermittler:innen, Ärzt:innen, Agent:innen, Weltenretter:innen und Fantasiegestalten auf beliebten Roman-, Comic- oder Fernsehserienvorlagen. Darüber hinaus sind Sequels im Horror- und Actionbereich überaus populär. „Just when you thought it was safe to go back in the water…“, tauchte Der weiße Hai (1975), der freilich ebenso auf einem literarischen Bestseller beruht, nach drei Jahren im zweiten Teil prompt noch gefräßiger wieder auf – und dann 1983 noch mal (in 3D!), und 1987 ein weiteres Mal (mit persönlicher Rachemission!). „The Boogieman is back“, hieß es wiederum ebenfalls drei Jahre nach dem Original Halloween (1978) bedrohlich beim Start von Halloween II (1981), der entschieden blutiger daherkam und beileibe nicht die letzte Rückkehr des Killers Michael Myers präsentierte.

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Die Weiterführung des Grauens lebt von der Devise „bigger, meaner, louder, faster“. Das Spektakel muss mit jedem Mal gesteigert werden. Eine echte Entwicklung des Plots und des Personals ist hingegen eher Nebensache; der Kern einer Reihe bleibt unberührt. Eine Formel, die sich bewährt hat, muss nicht grundlegend verändert werden. Soap-artige Auswüchse wie in der Fast&Furious-Reihe oder das bemühte Herumwühlen in Backstorys wie im Saw-Franchise können nicht darüber hinwegtäuschen, dass es auch bei denjenigen Action- und Horror-Sequels, die sich tendenziell figurenzentrierter geben, in erster Linie darum geht, immer spektakulärere Set Pieces zu entwerfen, um darin vom immer Gleichen erzählen zu können.

Vertiefungen und Veränderungen

Zu den wenigen Fällen von Fortsetzungen im Blockbuster-Segment, die tatsächlich ein ernstes Interesse an einem dramaturgisch stimmigen Ausbau, an einem großen Bogen erkennen lassen, zählen der zweite und dritte Teil der Der-Pate-Trilogie von Francis Ford Coppola. Die Familiensaga wurde sowohl durch den Blick zurück (via Flashbacks in die Jugend von Don Vito Corleone) als auch durch das Weiterverfolgen der Schicksale des Mafia-Clans tatsächlich komplexer. Statt nur immer mehr in die Breite zu gehen, wie es sich bei einigen Filmuniversen, von Marvel über DC bis hin zum Conjuring-Universum, zunehmend beobachten lässt, gehen insbesondere Der Pate – Teil II (1974), aber auch der unterschätzte dritte Teil (1990) in die Tiefe und finden einen angemessenen Schlusspunkt.

Im Arthouse-Kino sind Fortsetzungen vergleichsweise selten. Der Nouvelle-Vague-Mitbegründer François Truffaut lieferte jedoch mit dem Antoine-Doinel-Zyklus ein bemerkenswertes Beispiel dafür, wie sie funktionieren können. Der von Jean-Pierre Léaud verkörperte adoleszente Held aus Sie küssten und sie schlugen ihn (1958), der als Alter Ego des Regisseurs interpretiert werden kann, kehrte in der Episode Antoine und Colette des Omnibusfilms Liebe mit zwanzig (1962) zum ersten Mal zurück. Geschildert wird darin Antoines romantische Anziehung zur Gymnasiastin Colette (Marie-France Pisier); auch ein Schulfreund aus dem Vorgängerfilm ist erneut zu sehen.

"Geraubte Küsse von Truffaut"
Still aus „Geraubte Küsse“; © Studiocanal

In Geraubte Küsse (1968) ist Antoine dann als junger Erwachsener in einer Beziehung mit Christine (Claude Jade), die im Nachfolger Tisch und Bett (1970) bereits seine Gattin ist. Die Ehe der beiden kriselt – aber erst in Liebe auf der Flucht (1978) steht die Trennung an. Dafür gibt es nun endlich ein (kurzes) Wiedersehen mit Colette aus der Episode Antoine und Colette. Begann Antoines Geschichte in Sie küssten und sie schlugen ihn einst recht dramatisch in melancholisch anmutenden Schwarz-Weiß-Bildern, entfalten die späteren Werke um seine Person in ihren oft witzigen Alltagsbeobachtungen mehr Leichtigkeit. Der juvenile Zorn weicht einem humorvolleren Blick auf das Leben, der dem Tragischen gleichmütiger begegnet.

Die Liebe im Laufe der Zeit

Während Blockbuster-Sequels dem (ABBA-)Motto „Here We Go Again“ zu folgen scheinen, indem nach vertrautem Schema noch ein Fall gelöst, noch eine Gefahr bekämpft, noch eine Schreckens- oder Hochgeschwindigkeitsrunde gedreht wird, gehen gute Arthouse-Fortsetzungen den Weg nicht noch einmal, sondern weiter. Antoine wird im Verlauf des nach ihm benannten Filmzyklus nicht zwangsläufig reifer – doch dieser Mangel an Reife sorgt in den unterschiedlichen Abschnitten seines Daseins, vom Leben als junger Mann in einer Beziehung bis zur Situation als untreuer Gatte, stets für neue Dynamiken und Probleme, die indes auf dem bisher Geschehenen fußen.

Ähnlich verhält es sich in der Trilogie von Cédric Klapisch über den Franzosen Xavier (Romain Duris). Dessen unbeständige Art ändert sich vom ersten Teil L’auberge espagnole – Barcelona für ein Jahr (2002) über den Nachfolger Wiedersehen in St. Petersburg (2005) bis zum Abschluss Beziehungsweise New York (2013) kaum. Seine Lebensumstände und sein soziales Umfeld, darunter diverse wiederkehrende Figuren, befinden sich allerdings in einem permanenten Wandel – wodurch für Xavier alles zunehmend komplizierter wird, insbesondere in amourösen Angelegenheiten.

Auch Richard Linklaters tragikomische Indie-Trilogie mit Ethan Hawke und Julie Delpy, bestehend aus Before Sunrise (1995), Before Sunset (2004) und Before Midnight (2013), spielt mit einem Wechsel der Schauplätze, von Österreich über Frankreich nach Griechenland, und einem Liebes-Parcours, dessen Hindernisse nicht zuletzt deshalb immer herausfordernder werden, weil die unweigerlich schwerer werdende Last der bisherigen Konflikte vom zentralen Paar Jesse und Céline von Hürde zu Hürde mitgeschleppt werden muss.

To be or not to be continued…

Sein Drama In the Mood for Love (2000), das durch den von Tony Leung Chiu-wai gespielten wiederkehrenden Protagonisten Chow Mo-wan bereits eine Art Sequel zu Days of Being Wild (1990) ist, setzte Wong Kar-Wai vier Jahre später indirekt mit 2046 als Science-Fiction-Erzählung fort – und übertrug dabei auf spannende Weise die traumverlorene Atmosphäre auf ein anderes Genre.

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Aber nicht immer gelingt es, einen Arthouse-Hit sinnvoll weiterzuführen. So enttäuscht etwa Wim WendersIn weiter Ferne, so nah! (1993) als Sequel zum modernen Klassiker Der Himmel über Berlin (1987), obwohl viele Cast-Mitglieder (darunter Otto Sander, jetzt in der Hauptrolle) erneut auftreten – womöglich weil die ursprüngliche Story in ihrer Ausgestaltung zu einzigartig ist, um passend daran anknüpfen zu können. Ebenso ist Shock Treatment (1981) als Fortsetzung zum Midnight-Movie-Dauerbrenner The Rocky Horror Picture Show (1975) trotz identischem Autor (Richard O’Brien) und Regisseur (Jim Sharman) zu Recht weitgehend in Vergessenheit geraten. Die sehr spezielle Grusical-Magie lässt nicht einfach wieder aufnehmen. John Kortys Oliver’s Story (1978), der Arthur Hillers Love Story (1970) fortzusetzen versucht, wurde seinerzeit vom Publikum gar als Affront und Entwertung des Vorgängers empfunden, da sich der Protagonist Oliver (Ryan O’Neal) darin auf eine potenzielle neue Lebenspartnerin einlässt, nachdem seine junge Ehefrau Jenny (Ali MacGraw) im ersten Teil verstarb.

Alles steht und fällt mit den Figuren

Figuren wie Antoine, Xavier, Jesse und Céline mögen in ihren Eigenheiten oft festgefahren sein; sie sind jedoch komplex genug, damit wir ihnen weiter neugierig folgen wollen. Reizloser sind Sequels zu Filmen, deren Personal bewusst klischeehaft angelegt ist. Wenn Philippe de Chauverons Culture-Clash-Komödie Monsieur Claude und seine Töchter (2014) mit Monsieur Claude 2 (2019) und Monsieur Claude und sein großes Fest (2021) fortgeführt wird, werden Gags eher nach dem Blockbuster-Prinzip wiederholt: mehr vom Gleichen. Etwas charmanter passiert dies auch in Dany Boons Die Sch’tis in Paris – Eine Familie auf Abwegen (2018) als Nachfolger von Willkommen bei den Sch’tis (2008) sowie im zweiten und dritten Teil (aus den Jahren 2016 und 2023) des RomCom-Überraschungserfolgs My Big Fat Greek Wedding (2002). Besser funktioniert die Rückkehr wiederum bei John Maddens Best Exotic Marigold Hotel 2 (2015), weil schon der Vorgänger Best Exotic Marigold Hotel (2011) das Potenzial der reisenden Senior:innen erkennen ließ.

Die Komplexität der Protagonistin ist es nun auch, die 15 Jahre zu einer interessanten Fortsetzung macht. Vielleicht wird der Film dazu führen, dass weitere Figuren aus dem Arthouse-Bereich ihr Wiedersehen auf der Leinwand feiern – etwa die Polizisten Marc (Hanno Koffler) und Kay (Max Riemelt) aus Stephan Lacants Drama Freier Fall (2013), dessen zweiter Teil seit langer Zeit angeregt diskutiert wird.

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