zurück zur Übersicht
Specials

Nachflimmern: Here we come

Ein Beitrag von Christian Neffe

Meinungen
Here We Come
Here We Come

Jede Woche erscheinen auf den bekannten Streaming-Plattformen Unmengen von Filmen. Wir können uns vor Geschichten, Filmen und Serien, ja vor Bildern gar nicht mehr retten. Doch wenngleich es so scheint, als wäre alles nur einen Klick entfernt, gibt es am Rande dieser Masse immer noch Filme, die kurz vor dem Vergessen stehen und dabei so schön hell und verlockend flimmern. Manche werden wahrgenommen, aber nicht angerührt, weil Vorurteile bestehen. Gründe dafür können Inhalt, Ästhetik oder Gattung sein. Unser Autor sah kürzlich den Mockumentary-Dokumentar-Mix This ain’t California über die Skate-Szene in der DDR — und erinnerte sich im Zuge dessen an eine andere, aber doch ganz ähnliche Doku, die ihm in seiner Jugend viel gegeben hatte: Here we come über Hip-Hop in der DDR.

Ein Vorwort

Es ist 2004, ich bin 14 Jahre alt, wachse in einer sächsischen Kleinstadt auf. Meine musikalischen Vorlieben beschränken sich auf das, was monatlich auf der Bravo-Hits-Doppel-CD landet. Dann verändert ein Song alles: Drop it like it’s hot von Snoop Dogg und Pharrell Williams. Diese krasse Reduktion, in der Musik wie auch im dazugehörigen Video, diese puristische, unerreichbare Coolness, die beide ausstrahlen, und ja, auch das, was man zu Recht als sexistischen Mist bezeichnen kann, sprechen den Pubertierenden in mir auf allen Ebenen an. Wo ich ein paar Monate zuvor noch davor gekniffen hatte, im Musikunterricht eine Rap-Passage vorzutragen, weil mir das alles so blöd vorkam, werde ich von einem Tag auf den anderen zum Rap-Fan.

Und das so richtig hardcore. Weniger mit Baggy-Pants, Cap und bunten Hoodies (da gab es lediglich so eine halbjährige Phase …), vielmehr das, was die Musik und die Hip-Hop-Kultur selbst betrifft. Das Fachmagazin Juice (R.I.P., Printausgabe) wird zu meiner Standardlektüre, ich verschlinge jedes neue und alte Album, das mir zwischen die Finger kommt, und lerne alles über die Geschichte des Hip-Hop in den USA und Westdeutschland. Nur nicht über die in der DDR, das Land also, in dem ich zumindest auf dem Papier geboren wurde, mit dem ich aber bis heute emotional so gar nichts verbinde. Dass es dort so etwas wie Hip-Hop überhaupt gegeben haben soll, daran kommt mir nicht mal der Gedanke. Erst ein paar Jahre später zeigt mir eine Doku diesen blinden Fleck auf.

 

Eine Überraschung

Here we come heißt das gute Stück, das 2006 erscheint. Ich komme einige Zeit später durch eine dubiose Internetquelle an den Streifen heran, denn schon damals ist die Sache mit der Verfügbarkeit schwierig: Der Film geht in der öffentlichen Wahrnehmung nahezu komplett unter. Vielleicht weil die Tatsache, dass es in der Deutschen Demokratischen Republik Breakdance und eine rudimentäre Form von DJing gab, für Zeitzeugen doch nicht so ungewöhnlich ist und meine Überraschung nur der Gnade meiner späten Geburt zu verdanken ist (obwohl man sich in meinem familiären Umkreis erstaunt bis ungläubig zeigt). Vielleicht aber auch nur, weil es bisher bloß wenige interessiert.

Die Kultur der DDR, die nehme ich in meiner Jugend vor allem als gefühlsduselige, eklig-ostalgische Rock-Schlager-Mischung war. Nur Herricht und Preil, die waren ziemlich lustig. Nun verändert sich dieser Blick.

Externen Inhalt ansehen?

An dieser Stelle möchten wir Ihnen ein externes Video von YouTube präsentieren. Dafür benötigen wir Ihre Zustimmung in die damit verbundene Datenverarbeitung. Details in unseren Angaben zum Datenschutz.

Zustimmen und ansehen

 

Dabei ist die Doku nicht einmal sonderlich herausragend inszeniert: klassische Talking Heads, ein bisschen Archivmaterial, alles in qualitativ wenig hochwertiger Aufmachung, dunkel, krisselig, ohne Auge für besonders hübsche Bilder gedreht. Was zugleich aber für einen gewissen untergrundigen, dem Thema entsprechenden Look sorgt. Regisseur Nico Raschik und die zu Wort kommenden Personen ordnen das Ganze überdies auch politisch ein, denn diese neue Jugendkultur brachte die Staatsführung in ein gewaltiges Dilemma: Einerseits war der Hip-Hop eines dieser seltsamen Kulturexporte aus dem Westen, andererseits Kunstform der unterdrückten Schwarzen Bevölkerung. Nach anfänglicher Duldung förderte man diese Bewegung sogar – freilich hauptsächlich, um es (wenig erfolgreich) in geordnete sozialistische Bahnen zu lenken.

 

Eine Abrechnung

All das war für mich aber wenig mehr als ein „Bonus“ – die eigentliche, positive Kraft dieser Dokumentation bestand für mich ganz persönlich darin, mich in meiner Identität zu bestärken, allem voran gegenüber meinem Stiefvater. Als Orchestermusiker war der jeglicher Form von Musik ohne klassische Komposition abgeneigt; jahrelang musste ich mir anhören, Rap sei ja gar keine Musik, sondern nur Gewummer.

Er war aber auch Ostalgiker, und als solchem konnte ich ihm dann (durchaus ein wenig selbstgefällig) unter die Nase reiben, dass es Hip-Hop ja schon in der DDR gab – und dass er damals von Menschen seines Alters gelebt und gefeiert wurde. Das brachte ihn zwar nicht von seiner Position ab (oder dazu, den Film mit mir zu schauen), aber ihn zumindest ein bisschen ins argumentative Wanken. Und das ist es ja schließlich, was Jugendkultur ausmacht: die Kultur der Erwachsenen herauszufordern und sich eine neue Identität zu erschließen.

 

Ein Abschluss

Leider ist Here We Come nach mehreren Jahren der Verfügbarkeit auf YouTube inzwischen von der Plattform verschwunden, zumindest in einer anschaubaren Version. Eine visuell kaum erträgliche Fassung ist aber nach wie vor online. Auf Streaming-Plattformen wird man nicht fündig, die einzige Option ist aktuell die DVD-Leihe über Videobuster. Das gilt es, zu ändern!

Meinungen