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Jahresrückblick: Zeiten des Wandels, damals wie heute

Ein Beitrag von Christian Neffe

In turbulenten Zeiten kann der ein oder andere Film schon mal untergehen. Das galt für 2020 wie auch für die Wendejahre. Sechs DEFA-Jugendfilme aus dieser Epoche stehen nun in restaurierter Fassung auf DVD und im Stream zur Verfügung.

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Defa-Jugendfilme im Stream: Biologie! / Banale Tage / Abschiedsdisco
Defa-Jugendfilme im Stream: Biologie! / Banale Tage / Abschiedsdisco

Es ist eine verrückte Zeit — eine Zeit der Veränderung, des Wandels. Und das nicht unbedingt zum Besseren. Anders sah das vor drei Jahrzehnten aus: Auch da war vieles im Wandel, und zwar durchaus hin zum Positiven, so muss man (trotz einiger gegenteiliger Unkenrufe) konstatieren. Unter normalen Bedingungen hätten die Feierlichkeiten zum 30-jährigen Jubiläum deutscher Einheit in 2020 wohl auch wesentlich größer, pompöser, auffälliger ausgesehen. So blieben sie eher eine Randnotiz innerhalb eines Jahres, in dem ein anderer Themenkomplex dominierte (und wir alle wissen, welcher…).

Doch zumindest auf filmischer Ebene lässt der Verleih Absolut Medien dieses Jubiläum zum Jahresende noch einmal aufleben: mit sechs DEFA-Jugendfilmen aus der Wendezeit, von denen fünf derzeit im Stream bei Amazon verfügbar sind. Auch diesen Werken erging es ähnlich wie so manchem Film des Jahres 2020: Im Angesicht der turbulenten gesellschaftlichen Entwicklungen gingen sie in der öffentlichen Wahrnehmung unter.

Zugleich zeigt ihr Entstehungskontext, dass besondere Zeiten besondere Filme hervorbringen: In der Tradition gesellschaftskritischer DDR-Gegenwartswerke stehend, wurden die nun erneut verfügbar gemachten Produktion erst in der Wendezeit möglich. Dieser thematische Wandel ging allerdings auch — noch eine Parallele zu heute — mit wirtschaftlicher Verunsicherung einher. Oder, wie es im Begleittext von Absolut Medien heißt: „Waren es vorher politische Gründe, die die Künstler an der Realisierung ihrer Projekte hinderten, fürchteten sie nun wirtschaftliche Beeinträchtigungen. Tatsächlich waren ihre Expertise und ihre Ideen im wiedervereinigten Deutschland oftmals nicht mehr gefragt. Für viele endete mit der DEFA auch die künstlerische Laufbahn.“

Folgende sechs sehenswerte Filme wurden zuletzt durch die DEFA-Stiftung digital restauriert und sind nun für ein breites Publikum verfügbar:

 

Abschiedsdisco (1989, von Rolf Losansky)

Obwohl das Ende der Kohleförderung in Deutschland bereits beschlossen ist, sollen nach wie vor Dörfer und Wälder zugunsten weiterer Tagebaue weichen — was für immer größere Proteste sorgt (Stichwort #Hambibleibt). In der DDR war das anders: Zwar wurden auch hier immer wieder Ortschaften plattgemacht, um an die darunterliegenden fossilen Energieträger zu kommen, öffentlich wurde diese Problematik aber nur vorsichtig bis gar nicht thematisiert. Rolf Losanskys Abschiedsdisco von 1989 greift es dennoch — beziehungsweise gerade deshalb - auf, erzählt vom fiktiven Dorf Wussina, in dem der Großvater von Protagonist Henning lebt. Ausgerechnet dessen Vater ist zugleich für die Räumung des Dorfes zuständig. 

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Henning, der zudem den Unfalltod seiner Freundin verarbeiten muss, beginnt zu reflektieren, begehrt allmählich gegen seinen Vater auf. „Man muss nicht immer machen, was die Alten für richtig erklären“, stellt er bald fest. Gefolgt von der Frage: „Machen wir unsere Welt nicht kaputt?“ Angesichts des zunehmenden ökologischen Engagements vieler junger Menschen sind die Parallelen zu heute offensichtlich. Abschiedsdisco jedenfalls zeigt, dass dieser Geist schon länger existiert und keine reine Erscheinung des 21. Jahrhunderts ist. Auch wenn sich die Protestkultur — und auch die Dringlichkeit ihres Anliegens — verändert haben mögen.

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Biologie! (1990, von Jörg Foth)

Die 15-jährige Ulla bestreitet ihr letztes Schuljahr an der Oberschule und unternimmt dabei eine Exkursion in ein Landschaftsschutzgebiet. Sie entdeckt, dass dort eine Forellenzucht betrieben wird — ein Eingriff in die Natur, den das Mädchen nicht hinnehmen will. Auch andere Schüler*innen, darunter der computerbegeisterte Winfried, in den sich Ulla verliebt, engagieren sich zunehmend für den Umweltschutz und begehren gegen die Elterngeneration auf. Im Kampf für ihre Ideale setzen die Schüler*innen ihre eigene Zukunft aufs Spiel.

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Biologie!, die Verfilmung der literarischen Vorlage Die Wasseramsel von Wolf Spillner, wurde ab 1982 bei der DEFA mehrfach zurückgewiesen. Erst als der Generaldirektor Hans Dieter Mäde wich, wurde die Adaption bewilligt, die — ähnlich wie Abschiedsdisco — die rebellischen Strukturen einer Jugend porträtiert, die sich gegen etablierte Machtstrukturen und eine umweltpolitisch resignierende Elterngeneration auflehnt und ihre Zukunft innerhalb des Systems aufs Spiel setzt, um sie letztlich zu retten.

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Verbotene Liebe (1989, von Helmut Dziuba)

Eines schwierigen Themas nimmt sich Helmut Dzuibas Verbotene Liebe an: Im Zentrum steht der 18-jährige Georg, eigentlich ein Musterschüler, der sich nun einer Anklage wegen sexuellen Missbrauchs einer Minderjährigen gegenübersieht. Der Grund ist seine Romanze zur fünf Jahre jüngeren Barbara, eine zarte, ehrliche Liebe auf beiden Seiten, die jedoch gesetzlich verboten ist.

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Verbotene Liebe ist nicht nur eine Quasi-Adaption des Romeo-und-Julia-Motivs im Kontext der DDR, sondern auch eine präzise Beschreibung des drotigen familiären Alltags kurz vor dem Fall der Mauer: Jugendweihefeiern, Wohnungsinterieur, Fernsehprogramm aus dem Westen (Dallas) — all das prägte das Leben in der Deutschen Demokratischen Republik im Privaten, abseits des Politischen. Zugleich legt der Film Generationskonflikte schonungslos offen. Inhaltlich universell — und doch spezifisch auf den Kontext seiner Entstehungszeit bezogen. 

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Banale Tage (1990, von Peter Welz)

Ein Film, der zur falschen Zeit kam: Peter Welz‘ Banale Tage dreht sich um zwei Jugendliche im Ost-Berlin der späten 1970er-Jahre, ihre — trotz aller Unterschiede und Widrigkeiten — enge Freundschaft zueinander sowie den gemeinsamen Drang, der Banalität des Alltags zu entfliehen. Ausgezeichnet beim Max-Ophüls-Festival 1991 und gezeigt auf der Berlinale 1992, stieß Banale Tage mit seinem Thema beim Publikum auf wenig Resonanz. Wen interessierte kurz nach dem Mauerfall schon die Probleme der DDR-Jugend in den 1970ern?

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30 Jahre später steht der eigenwillig und vom Surrealismus inspirierte Film jedoch als interessantes Zeitdokument da, das sich am Konflikt zwischen der bevormundenden Eltern- und der nach freier Entfaltung strebenden Jugendgeneration abarbeitet

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Vorspiel (1987, von Peter Kahane)

Zwischen Liebe und Kunst bewegen sich sowohl der Titel als auch der Inhalt dieses Films von Peter Kahane, in dem es um eine Gruppe Jugendlicher in einer DDR-Kleinstatdt geht, die den tristen Alltag durch Streiche und zwischenmenschliches Miteinander zu vergessen versucht.

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Eine zarte Romanze, ein Theaterstück, ein schwieriger Selbstfindungsprozess: Auch in Vorspiel stehen Generationenkonflikte im Mittelpunkt, insbesondere der Wunsch der jungen Corinna, Schauspielerin zu werden, was bei ihrem Vater auf Missgunst stößt. Das Theater und, ja, auch das Kino sind hier Orte der Sehnsucht, in denen Hoffnung, Optimismus und vor allem Perspektiven entdeckt werden können, deren Umsetzung in der Realität allerdings mit vielen Hindernissen verbunden ist. 

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Tanz auf der Kippe (1991, von Jürgen Brauer)

Als der 17 Jahre alte Gerat auf einer Müllkippe überfallen und sein Gesicht in eine ätzende Lauge gedrückt wird, erblindet er. Parallel dazu - am 7. Oktober 1989 — feiert die DDR ihr 40-jähriges Bestehen. Wie es zu dem Überfall kam, das erzählt Tanz auf der Kippe in mehreren Rückblenden und dabei von einem jungen Mann, der mit der Zeit, seinem Umfeld und den Bedingungen nicht zurechtkommt. Ein Außenseiter, wie sie damals und auch heute nur ungern gesehen werden. Kurzum: ein aufstrebender junger Mensch, der sich nicht an die Normen anpassen will. Und dafür einen schmerzlichen Verlust hinnehmen muss.

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Noch ein Jahr vor der Wende wurde das Drehbuch nicht zur Verfilmung freigegeben, erst nach dem Fall der Mauer wurde das Projekt realisiert. Nach seiner Premiere wurde Tanz auf der Kippe von der Kritik zwiespältig aufgenommen, das Thema erschien damals einfach nicht en vogue. Heute ist der Film — wie auch Banale Tage — ein sehenswertes Dokument seiner Entstehungszeit. Manchmal braucht es eben ein enig Distanz, bis ein Werk seine wahre Wirkung entfalten kann. Und bis man erkennt, welche Auswirkungen Zeiten der Veränderung, des Wandels für eine Gesellschaft und die in ihr lebenden Menschen wirklich haben. Das war 1989/90 so — und wird mit Sicherheit auch für 2020 gelten.

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