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Kolumnen

Sex für die Massen

Ein Beitrag von Olga Galicka

Fifty Shades of Grey bescherte der Welt nicht nur lauwarmen Fetischsex und falsche Rollenbilder, sondern auch das Konzept von Sex im Kino als kollektives Erlebnis. Warum dieses Konzept wichtig ist und was der Mainstream in Sachen Sex noch besser machen kann, erzählt Olga Galicka in ihrer Kolumne.

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Christian Grey mit Augenbinde
Fifty Shades of Grey 3 - Befreite Lust von James Foley

Die Premiere von Fifty Shades of Grey am Valentinstag 2014 war der Advent eines neuen cinemato-sozialen Eventkonzepts. Denn plötzlich ging man an diesem Tag nicht mehr einfach ins Kino, um sich eine romantische Komödie anzusehen, wie es die liberale Marktwirtschaft einem zuvor als Programmpunkt nahelegte. Stattdessen strömten am Valentinstag 2014 Menschen ins Kino, um gemeinsam mit Partner, Freundinnen oder auch alleine vermeintlich schmutzigen Sex auf der Leinwand zu sehen.

Mit Fifty Shades of Grey hat Sex im Film(saal) nicht nur Eventcharakter bewiesen, sondern auch den Mainstream erreicht. Die Diskussionen und der Ärger rund um Geschlechterrollen, das ungesunde Verständnis von der BDSM-Szene und Sexualität in Fifty-Shades of Grey-Filmen und respektive Büchern, sind heute genauso notwendig wie vor vier Jahren. Doch der Hype um Fifty Shades of Grey hat auch den Weg für eine neue Erfahrbarkeit von Sex als kollektives visuelles Erlebnis freigemacht.

Kurz vor dem Valentinstag 2014 berichteten Medien über international ausverkaufte Tickets und besondere Events rund um die Premiere des Films. Mit einer Haltung zwischen Kichern und Süffisanz fragten Journalisten, welche schmutzigen Dinge die Zuschauer, von den Sexszenen angeregt, im Kinosaal anstellen würden. Als positives Beiprodukt wurde jedoch Sex im Kino als shared experience ganz kurz zu einem gesellschaftlich diskutierten Konzept. Leider schaffte diese Diskussion nie den Absprung, und so blieb der Austausch rund um den Film zumeist bloß bei dem pubertären und etwas beschämten Narrativ. Man bediente sich der verruchten Aura, die das Thema umgab, als seien Sex und seine Darstellung ein subversiver Akt. Auch dass ausgerechnet ein Film diese Diskussion auslöste, der in Fragen von Gender und Sex absolut problematisch ist, half kaum einer ernsthaften Auseinandersetzung. Kritiker und Wissenschaftler arbeiteten sich an den Problemen des Films rund um Rollenbilder und Sexualität ab. Die Fans beeindruckte das jedoch kaum.

 

  • Fifty Shades of Grey - Trailer 2 (deutsch)
  • Fifty Shades of Grey - Gefährliche Liebe - Trailer 2 (deutsch)
  • Fifty Shades of Grey 3 - Befreite Lust - Trailer (deutsch)

 

Gerne wollte ich damals am Valentinstag eine Fifty Shades of Grey-Sabotageaktion organisieren. Ich hatte viele Ideen, doch in meiner Umgebung stießen sie auf keinerlei Interesse. In meiner hilflosen Frustration postete ich deswegen am Valentinstag eine Parodie des Fifty Shades of Grey-Trailers, zusammengeschnitten aus unterschiedlichen Szenen mit Steve Buscemi, auf Facebook. Ich rief die Menschen in einer völlig leeren Geste dazu auf, sich doch lieber einen Steve-Buscemi-Film anzusehen, der viel dreckiger und sinnlicher sei, als alles, was Fifty Shades of Grey jemals erreichen könnte. Leer war die Geste, weil mein Umfeld ohnehin derselben Meinung war und Steve Buscemi ebenso toll fand.

 

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Dabei war nicht nur der Film selbst das Problem, sondern auch das, was man aus ihm gemacht hatte. Denn Sex im Film ist keine Sensation, nichts Neues für den Kinosaal. Den ersten weiblichen Orgasmus auf der Leinwand gab es schon 1933 in Ekstase mit Hedy Lamarr in der Hauptrolle zu sehen. Und dass sich eine große gesellschaftliche Gruppe dazu verabredete, sich gemeinsam vermeintlich hoch sexualisierte Bilder anzusehen, war ja eigentlich etwas Schönes. Anstatt sich Sex im schwummrigen Licht der aussterbenden Pornokinos anzusehen, konnten wir das nun, am Valentinstag 2014, auch im Cineplex tun.

 

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Sex auf der Leinwand hat vielleicht immer noch die Chance, sich als Mainstreamprodukt zu etablieren. Man könnte zwar behaupten, dass die liberale Marktwirtschaft damit den letzten Winkel des subversiven Kulturlebens erschlossen hätte. Aber warum muss Sex im Film als kollektive Kinoerfahrung subversiv bleiben? Freilich gibt es bisher nur ein Problem: Es fehlen die richtigen Filme. Zwar gibt es im Autorenkino mannigfaltige Beispiele von wunderschönen und sehr reizvollem Sex. Die Wassermelonen-Szene in Tsai Ming-liangs Das Fleisch der Wassermelone ist ein sinnliches Meisterwerk, das man nicht beschreiben kann, sondern sehen muss. Das gleiche gilt für die vierzehn Minuten lange Sexszene am Anfang von Paris 05:59: Théo & Hugo, einer Symbiose von Stimmen, Geräuschen und Farben, deren Mittelpunkt stets die beiden Männer bleiben. Es gibt zahlreiche äußerst erotische und ästhetische Szenen, die man an dieser Stelle erwähnen könnte.

 

  • Théo und Hugo - Trailer (OmdU)
  • Théo und Hugo von Olivier Ducastel und Jacques Martineau
    Théo und Hugo von Olivier Ducastel und Jacques Martineau

 

Doch Autorenkino ist nun mal nicht Mainstream. Dabei sind Mainstream und Popkultur inhärente Teile unserer Gesellschaft. Deswegen braucht auch der Mainstream-Film dringend guten Sex. Denn guter Sex in seinen unterschiedlichsten Ausführungen sollte kein Produkt für die intellektuelle Nische bleiben. Im Mainstream gab es in den vergangenen Jahren auch Ansätze, die über die codifizierten Bilder von zusammengekniffenen Bettlaken hinausgingen. An dieser Stelle hätten nun einige positive Beispiele folgen sollen, die nicht aus den 1990er Jahren stammen. Leider lässt sich nach meiner Prüfung von etwa fünfzig Sexszenen aus dem Hollywood/Mainstreamsegment nur bedingt etwas empfehlen.

Sex ist natürlich Geschmackssache, doch Mainstream-Magazine mit völlig unterschiedlichen Zielgruppen wie Cosmopolitan, Esquire oder Refinery 29 griffen in ihren Toplisten der besten Sexszenen auf dieselben Filmtitel zurück. Die meisten von ihnen bedienten entweder das Harrison-Ford-Paradigma: Die Frau wird vom Mann zum Sex „überredet“ – nachdem sie sich einige Minuten gewehrt hat, gibt sie sich meist dann doch leidenschaftlich dem Sex hin. (Wie in fast allen Harrison-Ford-Filmen). Oder sie zeigten eigentlich gar keinen Sex, sondern nur von romantischer Musik untermalte Bilder, oder endeten da, wo der Sex erst anfing.

Ein gut gemeinter Versuch war die Sexszene zwischen dem Betriebssystem Samantha (Scarlett Johansson) und Theodore (Joaquin Phoenix) in Spike Jonzes Her. Theodore erzählt Samantha wie er sie sexuell berühren würde, wäre sie ein Mensch. Eine Frau muss jedoch beim Anblick der Szene fast zwingend peinlich berührt werden, wenn Scarlett Johansson bereits in Sekunde 30 ungehemmt zu stöhnen beginnt. Besser hat es Regisseurin Sarah Polley in Take this Waltz gemacht. Gleiches Konzept, nur mit zwei Menschen, einem öffentlichen Raum und viel mehr Zeit.

Empfehlenswert ist ebenso, das mag den einen oder anderen überraschen, Magic Mike XXL, der beeindruckend kompromisslos die Schönheit und Sexualität des männlichen Körpers zelebriert. In Call Me By Your Name, der auf dem gleichnamigen Roman von André Aciman basiert, wird ebenso die zarte romantische Anziehung zwischen dem siebzehnjährigen Elio und Oliver beschrieben, einem Studenten, der Elios Vater, einem emeritierten Professor, in den Sommermonaten in der italienischen Familienvilla bei seiner Arbeit unterstützen soll.

 

Die Jungs aus "Magic Mike XXL" zeigen ihre Körper

 

In Acimans Roman gibt es eine Szene, in der Elio auf seinem Bett liegt und in einen erotischen Traum abdriftet. Darin betritt Oliver beinahe geräuschlos sein Zimmer und zieht ihn langsam aus. Die darauffolgende leidenschaftliche Sexszene ist voller Zärtlichkeit, Lust und jugendlicher Fantasie. Regisseur Luca Guadagnino entschied sich jedoch gegen die Szene im Film. Und hier wird leider ein weiteres Problem deutlich. Mit queeren Sexszenen hat der Mainstream noch ein viel größeres Problem. Die Sexszene in Brokeback Mountain ist beinahe beschämt und endet, bevor etwas Wirkliches anfängt. Die exerzierende und fetischisierende Sexszene in Blau ist eine warme Farbe wurde gerade in der lesbischen Community mit Ärger und Bestürzung rezipiert. Doch das ist ein Thema für eine eigene Kolumne.

Was den aktuellen Sexszenen im Mainstreamfilm jedoch fehlt, ist vielleicht einfach die Lust. Vielleicht fehlt dem Mainstream auch das Interesse an fluider Sexualität und ganz einfach an menschlichen Körpern und ihren Bedürfnissen, die sich nun mal nicht wie Abziehbilder behandeln lassen. Möglicherweise löst auch die Konstruktion von Sexszenen heute noch Unbehagen in der Filmproduktion aus. Da jetzt weibliche wie männliche Sexualität immer mehr zur Diskussion gestellt werden, lassen sich auch Nervosität und Ungeduld in vielen Szenen erkennen. Man müsste sich einfach mehr Zeit für diese Sequenzen lassen. Die Kamera einfach drehen lassen, anstatt immer wieder beschämt wegzusehen. Aber vielleicht ist der Mainstreamfilm noch nicht soweit.

In der wunderschönen Stadt Gorizia, durch die die Grenze zwischen Italien und Slowenien verläuft, findet jedes Jahr das Film Forum statt. Ein Event, das europäische Film- und Medienwissenschaftler, aber auch Künstler für eine Woche voller Vorträge, Workshops und gemeinsamer Kinobesuche zusammenbringt. Eine große und sehr wichtige Sektion des Forums ist Pornographie. Und so versammeln sich vor der Kulisse des italienischen Frühlings Akademiker und Künstler, um abends gemeinsam unterschiedliche Pornofilme zu sehen. Es ist ein bemerkenswertes Konzept. Dabei steht jedoch ein großes Problem im Raum: das wissenschaftliche Dilemma, seine Forschungsobjekte gleichzeitig theoretisch erschließen und sinnlich erfahren zu wollen. Diese Erfahrung spielt sich in einem merkwürdigen Oszillieren zwischen Nähe und Distanz ab. Vielleicht wäre es durchaus interessant, das erwähnte Setting mit dem von der Fifty Shades of Grey-Community in einem Cineplex zu vergleichen. Möglicherweise liegt ja der Reiz des Films nicht in den Sexszenen selbst, sondern im kollektiven Erlebnis. Sex auf der Leinwand als kollektive Erfahrung könnte und sollte eine Zukunft haben. Dafür fehlen bloß noch die richtigen Filme.

 

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