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Kolumnen

Ich zeig dir einen Weg und der heißt Gewalt

Ein Beitrag von Olga Galicka

Meinungen
Protest

Der Kampf geht weiter. Der Women’s March versammelte Ende Januar 2017 4,3 Millionen Menschen auf den Straßen der USA. Auch europaweit wurde demonstriert. Das Kampfzeichen des Feminismus, die Raised Fist im Venussymbol, erlebt eine Renaissance. Kampflosungen wie Make Feminism a Threat again runden die offensive Rhetorik der feministischen Bewegung ab. Selbst der 8. März wurde 2017 wieder politisch und war nicht bloß Anlass, am „Tag der Frauen“ eine Strumpfhose oder Lippenstift im Doppelpack zu kaufen. Spontane Demonstrationen säumten Frankfurt wie Paris und Sankt Petersburg, dort auch mit Gewaltanwendungen und Verhaftungen seitens der Polizei.

Warum das alles ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt? Die Frage ist leicht zu beantworten, wenn man auf politische Geschehnisse der vorherigen Monate zurückblickt. Donald Trump, der sich wiederholt abwertend über Frauen geäußert, nachweislich Frauen belästigt und seine Ex-Frau misshandelt hat, wurde zum Präsidenten der USA gewählt. Und nur wenige Tage nach seinem Amtsantritt entstand im Oval Office ein Foto, das sicher in die Geschichte eingehen wird – ein Dutzend Männer entschied über weibliche Reproduktionspolitik. Nur ein paar Wochen später wurden die Pläne der russischen Duma bekannt, häusliche Gewalt von einer Straftat auf eine Ordnungswidrigkeit herabzustufen. In einem Land, in dem jährlich 38.000 Frauen an häuslicher Gewalt sterben, sicherlich ein falsches Signal.

Der Frustrationsgrad der weiblichen Realität steigt. Während weibliche Kollegen oftmals immer noch doppelt und dreifach ihre Kompetenz den männlichen Vorgesetzten gegenüber beweisen müssen und derweil jüngere männliche Kollegen auf der Karriereleiter an ihnen vorbeiziehen, sie sich auf der Polizeiwache nach Belästigungsanzeigen immer noch ob ihres Outfits rechtfertigen müssen, müssen Frauen auch immer noch erklären, dass Sexismus kein Produkt ihrer Imagination ist. Und wenn Worte vermehrt auf taube Ohren treffen, wirkt ein physischer Kampf immer attraktiver.

Im Jahr 2016 entstanden auch Filme, die das weibliche Gewaltpotenzial umspielen. Man könnte darin gewissermaßen eine Fortsetzung der Tradition von Thelma und Louise oder Ziska Riemanns Lollipop Monster erkennen und doch gehen die aktuellen Filme weiter. Gewalt ist nicht mehr ein Beiprodukt, sondern der Mittelpunkt. Houda Benyaminas Divines, Park Chan-wooks Die Taschendiebin (The Handmaiden) und Tiger Girl von Jakob Lass bilden in diesem Zusammenhang ein schönes Triptychon. Dabei steht Divines als einziger Film einer weiblichen Regisseurin in seiner Mitte. In der Gegenüberstellung der drei Filme zeigt sich letztlich die eigentliche Problematik des Gewaltpotenzials. Sein Ursprung scheint den männlichen Regisseuren vermehrt unklar oder gar unwichtig. Ihnen geht es mehr um die Stilisierung der Gewalt als um ihren Hintergrund. Jakob Lass zeigt glamouröse Kampfszenen, Park Chan-wook die dahinterliegende sexuelle Spannung.


(Trailer zu Die Taschendiebin)

Wut, die Suche nach Selbstbehauptung und vor allem nach einer Strategie des Überlebens und auch des Dazugehörens treibt die beiden weiblichen Charaktere Dounia und Maimouna in Houda Benyaminas Divines an. Dounia (Oulaya Amamra) lebt in den Slums eines Pariser Vororts, ihre Mutter (Majdouline Idrissi) ist Alkoholikerin und wird von ihren stetig wechselnden Sexualpartnern zumeist ausgenutzt. Den einzigen Halt findet die junge Frau deswegen in der Beziehung zu ihrer besten Freundin Maimouna (Déborah Lukumuena). Ihre größte Bewunderung gilt hingegen der Anführerin der lokalen Drogenbande, Rebecca (Jisca Kalvanda), die für sie das einzige starke Frauenbild verkörpert.

„Du bist eine Frau, also kannst du das“, ruft Maimouna ihrer Freundin zu, als sie das Fahrradfahren lernt. Die Freundinnen halten ihr Leben mit einem Smartphone fest. Sie kommunizieren über Snapchat, nehmen Videos voneinander auf und unternehmen tägliche Streifzüge durch ihr Viertel. Dass sie in einer eigenen Welt leben, wird deutlich, sobald sie auf männliche Mitglieder der Drogengang oder andere Männer treffen. Frauen erfahren weniger Respekt und werden belästigt. Die Drogendealerin Rebecca wird dabei zu einem Ideal: sie ist von ihren Untergebenen gefürchtet und schlägt auch zu, wenn es sein muss. So zu sein wie sie, heißt an der Spitze einer Banlieu-Biographie zu stehen.

Daher wird es für die Mädchen der Mittelpunkt ihrer Sehnsüchte und der einzige Ausblick in die Zukunft, ein Teil von Rebeccas Drogengeschäft zu werden. Dafür müssen die Freundinnen jedoch lernen, Gewalt anzuwenden. Rebecca erzieht die Mädchen mit Härte – sie holt gerne nach ihnen mit der Hand aus oder zückt auch mal ihre Waffe. Für sie ist das normal. Eine „Frau mit Klitoris“ ist eben eine, die sich nicht einschüchtern lässt und ihre Angst niemandem zeigt. Genau das will sie in den Freundinnen herausfordern, sonst könnten sie sich in der modernen Welt nicht behaupten.

Die Realität, die jedoch für beide Mädchen aus ihrer Verbindung zu Rebecca folgt, ist ernüchternd und gruselig. Gewalt wird zwar als ein attraktiver Ausweg skizziert, am Ende ist der Weg jedoch vielmehr eine Sackgasse. Houda Benyamina zeigt, wie Banlieu-Biographien wie die von Rebecca entstehen. Sie skizziert eine Erfahrungswelt, in der Frauen keinen erstrebenswerten Platz haben. Einen Raum für weibliche Autorität bietet nur Rebecca und ihr Drogengeschäft. Als einziges starkes weibliches Vorbild zeigt sie den weiblichen Weg an die Spitze – mit Hilfe von Gewalt.


(Bild aus Divines; Copyright: Netflix)

„Ihr seid welche, die früher ständig eine in die Fresse bekommen haben und nun selbst austeilen“, sagt ein Passant in Jakob Lass‘ Tiger Girl, der von Margarete und ihren Handlangern grundlos angegriffen wird. Zu Beginn ist Margarete noch anders. In ihrer Freundlichkeit gegenüber anderen wird sie oft übergangen. Doch dann trifft sie Tiger, die ihr ein anderes Leben zeigt. Sie sei gar nicht nett, sagt Tiger zu ihr, sie sei höflich. Und Höflichkeit sei auch eine Gewalt, „eine Gewalt gegen dich selbst“. Tiger ist nicht höflich und lebt auch kein bürgerliches Leben. Wenn sie etwas braucht, dann holt sie es sich, auch auf illegalem Wege. Dabei verfolgt sie einen selbst erstellten Ehrenkodex, der ihre Opfer immer auch zu Verantwortlichen macht.

Tiger wird für Margarete zu einem Heldencharakter und während sie eine Ausbildung zur Securityfachfrau absolviert, lehnt sich die junge Frau immer mehr gegen Autorität auf. Zuvor noch regelmäßig übergangen, wird sie bald respektiert. Dabei gehen die Freundinnen ebenso auf gemeinsame Streifzüge, ihr Lieblingsaccessoire: gestohlene Securityuniformen. Sie verkleiden sich als Autoritätspersonen, um sich den mangelnden Respekt endlich einzuholen. Das anarchische Leben, in dem Gewalt mehr zählt als Worte, zeigt Margarete die schöneren Seiten ihres bisher frustrierenden Daseins. Ähnlich wie Dounia verliert sie dabei bald den Anschluss an die Realität. Alles und jeder muss bestraft werden, vielleicht für all die Jahre ihrer Unterdrückung. Bald lebt Margarete bloß noch von wiederholten Grenzüberschreitungen.

Der Missbrauch der Uniformen, um in der Gesellschaft respektiert zu werden, zeichnet recht präzise den weiblichen Anspruch auf Anerkennung. Und so wird auch das Beschaffen einer echten Polizeiuniform für Margarete zu einer fixen Idee. Endlich an der Spitze stehen, endlich Respekt einfordern. Für diesen Traum geht sie sogar soweit, eine andere Frau anzugreifen und zu erniedrigen. Doch die Gedanken und Erlebniswelt von Tiger und Margarete bleiben bis zum Ende irreal. Man erfährt nichts über sie und so bleiben ihre Handlungen, ja selbst ihre Freundschaft, wenig glaubwürdig. Lass interessiert nur die stilistische Stärke der Aktion. In einem Interview mit der Zeit sieht er die Gewaltdarstellungen in seinem Film zwar differenziert: es gebe Sequenzen, die „auch mal wehtun“, andere seien glamourös. Dabei scheint er jedoch die ästhetische Ausdifferenzierung mit der inhaltlichen zu verwechseln. Letztlich interessiert Lass vielmehr die Idee zweier auflehnender junger Frauen in Aktion. Tiger Girl verliert sich deswegen zunehmend in stilistischen Spitzen und lässt eine unbefriedigende Leere zurück. Die Figuren bleiben Ideen ohne Hintergrund, werden beinahe zum Fetisch.


(Trailer zu Tiger Girl)

Fetisch ist auch der Mittelpunkt von Park Chan-wooks Die Taschendiebin (The Handmaiden). Im besetzten Korea der 1930er Jahre wird der reichen japanischen Erbin Hideko (Kim Min-hee), die koreanische Magd Sookee (Kim Tae-ri) zur Seite gestellt. Hideko ist ihrem tyrannischen Onkel (Jo Jin-woong) versprochen, der sie vor wechselnder Gesellschaft erotische Literatur vorlesen lässt. Sookee wurde vom Hochstapler „Graf Fujiwara“ (Ha Jung-woo) in das Haus eingeschleust, um bei der Verführung Hidekos behilflich zu sein. Zwischen den Frauen entwickelt sich jedoch eine starke körperliche Anziehung. Bald entziehen sie sich den Machtspielen der Männer und übernehmen die Kontrolle. In Parks Film wird männliche Gewalt der weiblichen gegenübergestellt. Die Frauen sind körperlich schwächer und so ist auch die Gewalt, die sie anwenden, oft subtiler und oftmals psychologischer Natur. Auch Park Chan-wook geht es in erster Linie darum, die Frauen in Aktion zu sehen. Das Gewaltpotenzial der Frauen wird vor allem im gemeinsamen Sexualakt freigesetzt. Park wird dabei zum Voyeur, die Frauen Objekte, die zum Anschauen in ihrer Nacktheit und Elementen des Fetisches in ihrer Beziehung ausgestellt werden. Park möchte eine Geschichte der Befreiung, physisch und sexuell, erzählen. Dabei nutzt er jedoch die altbekannte Ästhetik von hochpolierten Pornofilmen, sodass die weibliche Befreiung am Ende selbst zum Fetisch wird.


(Bild aus Die Taschendiebin; Copyright: Koch Media)

Vielleicht handelt es sich bei weiblichen Verbindungen als Gewaltquelle im Film bloß um einen kurzzeitigen Trend, doch möglicherweise wird mit diesem Konzept eine neue Tradition begründet. Blickt man auf Ankündigungen für das Filmjahr 2017, so findet man auch weitere Filme, die sich mit dieser Thematik beschäftigen. Der Ende Juni 2017 erscheinende Rock that Body von Lucia Aniello sowie Tragedy Girls von Tyler MacIntyre und The Misandrists von Bruce LaBruce behandeln alle die weibliche Faszination mit Gewalt. Doch auch in ihrer Aufzählung findet sich schon wieder eine ähnliche Aufteilung, ein zwei zu eins im Verhältnis der männlichen und weiblichen Regisseure. Ob es auch in ihrer Gegenüberstellung zu einem ähnlichen problematischen Triptychon kommen wird, wird sich noch zeigen müssen. Es scheint jedoch regelrecht eine männliche Faszination mit der weiblichen Gewaltanwendung zu geben. Starke und selbstbewusste Frauen, die Gewalt anwenden, als männliche sexuelle Fantasie des progressiven 21. Jahrhunderts – oder doch eine weibliche Empowermentstrategie?

Die Erlebniswelten weiblicher und männlicher Regisseure, so scheint es, sind heute immer noch zu weit voneinander entfernt. Auch weibliche Regisseure verfehlen oftmals wichtige Perspektiven der männlichen Erfahrungswelt. Frauen und Männer sind auch soziale Konzepte. Sie könnten sich unter anderen Umständen ähnlicher sein. Doch ihre Erlebniswelten sind heute noch zu unterschiedlich und so ist auch die gegenseitige Darstellung ihrer Welten im Film immer noch problematisch. Das Gefühl, dass Gewalt jedoch eine attraktive Lösung vieler Probleme der weiblichen Realität sein könnte, scheint bei beiden Geschlechtern gleichermaßen angekommen zu sein. Bleibt bloß die Frage, ob es einen erfolgreichen Gegenentwurf zu dieser Strategie noch geben wird.

Olga Galicka – geboren 1990 in Riga, lebt in Frankfurt. Filmstudium in Frankfurt, Paris und Mailand. Mehrfach eingeladen zum Treffen Junger Autoren der Berliner Festspiele. Stipendiatin des Literaturlabors der Stiftung Niedersachsen. Hat geschrieben und gebloggt, unter anderem für ZDF-theaterkanal, Berliner Festspiele, FAZ und kino-zeit. Ließ sich blicken und las auch vor, zum Beispiel beim Internationalen Literaturfestival Berlin. Schreibt über Film und Politik, aber auch Lyrisches und Prosa, manchmal zusammen. Mag am liebsten Kakteen.

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