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Interviews

Interview mit Kelly Reichardt zum Mubi-Start von „First Cow"

Ein Beitrag von Patrick Heidmann

Von der Premiere auf der Berlinale 2020 direkt in die Versenkung – so lief es platt ausgedrückt für Kelly Reichardts „First Cow“. Denn nahezu weltweit verhängte Lockdowns verhagelten der ungewöhnlichen Geschichte einer Freundschaft den Kinostart. Im Interview spricht Reichardt darüber, wie der Film trotzdem sein Publikum gefunden hat und ihre Liebe zu Tieren sowie ihrer Wahlheimat Oregon.

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Kelly Reichardt im Interview zu "First Cow"

Die Coronapandemie traf Kelly Reichardts First Cow besonders hart. Der Weg vom Festival-Liebling zum (Programm-)Kino-Hit blieb erst mal versperrt. Jetzt ist der Film, den Reichardt selbst als Heist-Movie bezeichnet, endlich auch in Deutschland zu sehen – bisher exklusiv bei Mubi. Patrick Heidmann hat mit der Regisseurin gesprochen.
 

Miss Reichardt, Ihr Film „First Cow“ war gerade in den US-Kinos angelaufen, als im Frühjahr 2020 der erste Lockdown kam. Wie hart hat Sie das damals getroffen?

Im Rückblick staune ich, dass wir selbst anlässlich unserer Berlinale-Premiere damals noch alle dachten, der Film könne ganz normal starten. Eigentlich hätte uns ja klar sein müssen, dass die Kinos geschlossen werden, da führte kein Weg dran vorbei. Aber so lief der Film dann an – und keine Woche später waren die Säle zu. Ich habe das eigentlich ganz gut weggesteckt. So gut sogar, dass sich meine Freunde schon zu wundern begannen. Aber es war einfach so offensichtlich, dass meine Sorgen völlig unbedeutend waren verglichen damit, was auf der Welt passierte. Erst nach und nach hielt dann eine kleine Depression Einzug und ich verbrachte viel Zeit auf meiner Couch. Trotzdem bin ich froh, dass First Cow dann nach und nach und je nach Land auf den unterschiedlichsten Wegen noch sein Publikum gefunden hat.

Der Film basiert auf dem Roman The Half-Life von Jonathan Raymond, mit dem Sie auch wieder gemeinsam das Drehbuch schrieben. Die Veränderungen, die Sie für den Film vorgenommen haben, sind ziemlich erheblich. Die Vorlage einfach über Bord zu werfen war keine Option?

Nein, damit hat schließlich alles angefangen. Und zwei Dinge ließen wir ja unangetastet: das Setting, also Oregon in den 1820ern, und die Hauptfigur Cookie. Der zweite Protagonist, King-Lu, ist eine Mischung aus zwei anderen Figuren im Roman und eine Kuh gibt es in Jonathans Geschichte gar nicht. Aber Cookie entstammt direkt der Vorlage und er war der Grund warum ich schon vor über zwölf Jahren, als ich die Geschichte das erste Mal las, gleich über eine Verfilmung nachzudenken begann. Er ließ mich nie los, dieser irgendwie so besondere Mann, der eben kein Jäger, sondern Sammler ist und mit Kochen und Backen für sich und andere das Überleben sichert.
 

First Cow
First Cow (c) A24


King-Lu ist ganz anders und angesichts der Freundschaft zwischen diesen unterschiedlichen Männern könnte man „First Cow“ durchaus als Buddy Movie der etwas anderen Art bezeichnen, oder?

Wenn Sie das möchten, sicherlich. Ich habe auch schon die Bezeichnung Road Movie gehört, wobei der Fluss hier die Straße ist. Aber ich würde den Film eigentlich eher als Heist-Movie bezeichnen. Schließlich geht es auch um eine Reihe von Raubüberfällen, wenn man so will. Wahrscheinlich ist es kein Zufall, dass ich während der Arbeit am Drehbuch ziemlich viele Filme von Jean-Pierre Melville geguckt habe.

Bevor hier jetzt jemand auf falsche Gedanken kommt: „First Cow“ ist trotzdem ein typischer Reichardt-Film und lebt von dem Ihnen eigenen Realismus. Wie weit geht der eigentlich? Müssen zum Beispiels Cookies Gebäcke originalen Rezepten aus dem frühen 19. Jahrhundert entsprechen oder nehmen Sie sich auch künstlerische Freiheiten heraus?

Im Fall dieser Rezepte wollte ich tatsächlich akkurat sein und stieß auf einige Kochbücher aus jener Zeit. Und natürlich haben wir auch sonst viel recherchiert, nicht nur Jonathan Raymond und ich, sondern auch die Kostümdesignerin oder die Ausstatterin. Die Mäntel und Hüte etwa, die unsere Protagonisten tragen, entsprechen denen jener Zeit. Und gerade bei den indianischen Elementen oder auch der Sprache haben wir uns größte Mühe gegeben, alles korrekt darzustellen. Aber ich bin sicher, dass uns auch immer mal wieder Fehler unterlaufen sind und es irgendwo Expert*innen gibt, die mir das alles gerne unter die Nase reiben würden. Wobei ich auch dazu sagen muss, dass es in meinen Filmen auch Momente gibt, in denen ich die historische Korrektheit hintan stelle. In Meek’s Cutoff gibt es zum Beispiel eine Szene, in der Meek Popcorn macht, auch wenn das damals noch nicht wirklich üblich war.

In Ihren Filmen spielen immer auch Tiere eine große Rolle, „First Cow“ ist da keine Ausnahme. Was reizt Sie daran eigentlich?

Die ganz banale Antwort ist einfach: Ich liebe Tiere. Ich bin mit Hunden aufgewachsen und kann mir ein Leben ohne sie nicht vorstellen. Früher hat oft meine eigene Hündin in meinen Filmen mitgespielt. Da habe ich schnell gemerkt, wie ausdrucksstark Tiere vor der Kamera sein können. Und wie sehr ihre Spontanität dabei hilft, dass auch die Schauspieler*innen spontan und wachsam bleiben.

Wobei die Arbeit mit einer Kuh sicherlich noch einmal etwas anderes ist als die mit einem Hund…

Das ist wohl wahr. Ich habe mir viele Kühe angeguckt bevor ich mich für Evie als unsere Titelheldin entschieden habe. Wir mussten sie trainieren, damit sie sich an so viele Menschen um sie herum gewöhnt und vor allem damit wir mit ihr auf einer Fähre drehen konnten. Kühe schwimmen ja nicht und anfangs war ihr das spürbar unbehaglich. Normalerweise bin ich allerdings kein Fan von Tiertrainern. Bei Hunden etwa arbeite ich nach Möglichkeit nur mit privaten Hunden, die keine Kameraerfahrung haben – selbst wenn das mitunter Nerven kostet. Filmhunde verhalten sich nie unerwartet oder spontan, die reagieren immer nur auf Kommandos und Leckerlis. Das hat nicht den wahrhaftigen Effekt, um den es mir geht.
 

First Cow
First Cow (c) A24


Ein anderer roter Faden, der sich durch Ihr Werk zieht, ist das Setting. Die meisten Ihrer Filme spielen in Oregon, auch die zeitgenössischen wie „Wendy & Lucy“ oder „Night Moves“. Hat Sie nie die Großstadt als Setting interessiert? Immerhin haben Sie bis vor nicht allzu langer Zeit selbst in New York gelebt.

Um in New York einen Film zu machen, braucht man ziemlich viel Geld – und das habe ich für meine Filme nie. Und man hat mit unglaublich vielen Auflagen sowohl seitens der Behörde als aus seitens der Gewerkschaften zu tun. Das macht wirklich sehr wenig Lust, vor Ort eine Low Budget-Produktion zu drehen. Geschichten wären mir für die Stadt sicherlich eingefallen, aber die praktische Umsetzung reizte mich eben nicht. Abgesehen davon gefiel es mir immer gut, für einen Dreh die Stadt hinter mir zu lassen und mit meiner Crew weit weg vom Trubel einer Metropole in die Welt meines Films abzutauchen.

Inzwischen sind Sie ja allerdings selbst nach Oregon gezogen.

Stimmt, nicht lange vor Beginn der First Cow-Dreharbeiten. Und ich muss sagen: Es hatte auch etwas für sich, abends nach Drehschluss nach Hause kommen und im eigenen Bett schlafen zu können. Bei meinem neuen Film Showing Up kann ich jetzt sogar zu fast allen Locations laufen. Das ist besonders verrückt.

Für „Showing Up“ steht wieder einmal Michelle Williams vor Ihrer Kamera, auch John Magaro aus „First Cow“ ist mit dabei, ebenso Ihr Schreibpartner Jonathan Raymond oder Kameramann Christopher Blauvelt. Sind vertraute Mitstreiter*innen essentiell für Ihre Art des Filmemachens?

Es hilft auf jeden Fall, wenn man miteinander vertraut ist. Schon allein, weil man sich nicht erst kennen lernen und auf einen gemeinsamen Nenner kommen muss. Auch mit den Produzenten Neil Kopp und Anish Savjani zum Beispiel arbeite ich jetzt schon lange zusammen. Und die wissen entsprechend natürlich ganz genau, wie ich arbeite. Das hilft schon sehr, gerade wenn Zeit und Geld knapp sind. Gleiches gilt ganz besonders auch für die beiden Menschen, mit denen ich am Set am engsten kollaboriere, Chris Blauvelt als Kameramann und meinem Regieassistentin Chris Carroll. Letzterer ist nun bei Showing Up erstmals nicht mit dabei, weil er etwas anderes dreht – und mir ist es fast unvorstellbar, einen Film ohne ihn an meiner Seite umzusetzen. Gleichzeitig ist es aber auch nicht so, dass ich nicht jedes Mal auch neue Leute mit im Team habe. Und gerade vor der Kamera finde ich Abwechslung gar nicht schlecht. Wenn ich meinen Blick monatelang auf Michelle gerichtet habe – erst am Set und dann im Schnitt – dann kann es sehr erfrischend sein, beim nächsten Mal jemand Neues zu entdecken. Nur um dann wieder zu Michelle zurückzukehren.

 

Das in der Artikelbild-Collage benutzte Porträtfoto von Kelly Reichardt stammt von Harald Krichel und wurde unter der CC BY-SA 3.0-Lizenz verwendet.

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