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Filmgeschichte(n)

Die Frau mit der Kamera

Ein Beitrag von Katrin Doerksen

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Francelia Billington 1914 mit einer Filmkamera
Francelia Billington 1914 mit einer Filmkamera

Im Jahr 2018 war zum allerersten Mal eine Frau in der Sektion Beste Kamera bei den Academy Awards nominiert: Rachel Morrison für Mudbound. Für jemanden, der abseits der großen Preise nicht viel von den Personalfragen hinter Hollywoods Kulissen mitbekommt, mag es so ausgesehen haben, als hätten sich Frauen nun im 21. Jahrhundert endlich auch mal hinter eine Kamera gewagt. Dabei waren Frauen von Anfang an dabei. Und mit Anfang meine ich ganz am Anfang: Die Stummfilmära, die große Zeit der Pionier*Innen.

Francelia Billington? Dorothy Dunn, Louise Lowell, Marguerita La Barnette Archambault? Nie gehört? Keine Sorge, es geht den meisten so. Die Zeit der Stummfilme ist generell nur allzu unzureichend erforscht. Manchmal liegt das daran, dass Aufzeichnungen und viele Filme selbst im Laufe der Jahrzehnte Kriegen, Bränden, Naturkatastrophen oder schlicht dem schleichenden Verfall anheim fielen. Oft wurde in der frühen Aufbruchsstimmung auch einfach nicht richtig Buch geführt. Ausufernde Credits, lange Vor- und Abspänne wie wir sie heute kennen, waren im noch jungen Medium längst nicht etabliert. Und schon gar nicht für lediglich die kleinen Mitarbeiter*Innen hinter den Kulissen.

 

Zum Thema: Das bestgehütete Geheimnis der japanischen Filmgeschichte — Tazuko Sakane

 

Was wir wissen: In den Zehner und frühen Zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts stellten mehrere Studios in Hollywood, darunter etwa die Newsreels-Abteilung von Fox, Frauen ein, um Kameras zu bedienen. Erfasst wurden diese Angestellten unter der Berufsbezeichnung camera maids oder camera operator. Das klang hübsch ungefährlich — nach einer Assistentin vielleicht. Aus heutiger Sicht unterschlägt es die sachkundige (und oftmals körperlich harte) Arbeit, die Frauen an den frühen Filmsets ganz selbstverständlich leisteten. Kein Wunder, dass schon Ende der Zwanziger Jahre, als sich der Film vollständig professionalisiert und als rentable Männerbranche etabliert hatte, kaum noch jemand an Frauen in den entsprechenden Berufen erinnerte.

Mary Pickford mit Filmkamera; Library of Congress / Public Domain
Mary Pickford mit Filmkamera; Library of Congress / Public Domain

Dabei war es zu dieser Zeit paradoxerweise ein Trend, Filmfrauen (die zumeist, aber nicht ausschließlich Schauspielerinnen waren) bei Fotoshootings neben Kameras abzubilden. Eines der bekanntesten Porträts der frühen Hollywood-Ikone und Produzentin Mary Pickford zeigt sie neben einer Kamera mit aufgerichteter Sonnenblende, Kurbel in der Hand. Eben: Neben der Kamera. Tatsächliche Kamerafrauen wurden, wenn sie denn jemand ablichtete, hinter der Kamera gezeigt, den Blick durch das Objektiv gerichtet, in charge. So wie Francelia Billington (s.o.), die wie viele der frühen Kamerafrauen als Schauspielerin begonnen hatte und in einer 1914er Ausgabe des Photoplay Magazines mit folgenden Worten zitiert wird:

„Ich schätze, es ist immer noch etwas Neues eine Frau zu sehen, die sich mehr für ein mechanisches Problem interessiert als für Make-up.“

Billington hatte in jungen Jahren angefangen zu fotografieren und arbeitete sich schließlich bis zur Filmkamera vor. Zeitgenössische Artikel berichten, dass sie mit der Kamera dem Stummfilmregisseur Christy Cabanne „assistierte“, wohingegen die genaueren Beschreibungen ihrer Arbeit — wie sie die Kamera bedient und die Szene im Auge behält — deutlich machen: Es handelte sich keinesfalls um einen Job als Assistentin, sondern vielmehr um jenen, der später als „Kameramann“ bezeichnet werden sollte. Obwohl Billington die Arbeit mit der Kamera vorzog, entwickelte sich ihre Hollywoodkarriere zunehmend hin zur Schauspielerin, 1919 etwa übernahm sie eine Hauptrolle in Erich von Stroheims Romanze Blind Husbands. B-Movies und Genrefilme folgten in den 1920er Jahren, bevor sie 1934 starb.

 

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Billingtons Schicksal teilten die meisten ihrer Kolleginnen: Entweder sie hatten kurze Karrieren, weil sie nach wenigen Jahren heirateten und Kinder bekamen. Oder sie wechselten über ins Fach der Schauspielerin, so wie Grace Davison, die 1917 ihre eigene Produktionsfirma gründete um das Drama Wives of Men von John M. Stahl zu produzieren. In den folgenden Jahren schauspielerte sie nur noch gelegentlich für unabhängige Studios. 

Diese Entwicklung verwundert kaum, wenn man sich vor Augen hält, wie wohl die meisten Frauen an den Filmsets behandelt wurden. Für das Women Film Pioneers Project analysieren Jane Gaines und Michelle Koerner einen Artikel, der 1916 im Picture Play Magazine erschien und unter dem Titel “The Only Camera Woman” eben jene Grace Davison porträtierte. Darin imaginiert der Autor, bevor er am Set ankommt, unscharfe Aufnahmen, unter- und überbelichtete Negative. Vor Ort interview er nicht etwa die „schüchterne“ Ms. Davison selbst, sondern befragt ihre männlichen Vorgesetzten: “And does Miss Davison understand all about trick photography?” Die Antwort: Sie beherrsche sowohl die Doppel-, als auch die Dreifachbelichtung.

Seither haben wir ohne Zweifel einen weiten Weg gemacht. Doch die vielen Namen früher camera operators, deren historische Pionierarbeit nach wie vor nicht wasserdicht belegt werden kann, spricht Bände.

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