Meine Cousine Rachel (2017)

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Mörderin oder unabhängige Frau?

„Did she? Didn’t she? Who is to blame?“, fragt Philip (Sam Clafin) am Anfang von Meine Cousine Rachel aus dem Off zu den Bildern der weiten Landschaft von Cornwall – und verweist damit zum einen auf die zentrale Frage dieses Films: Hat seine Cousine Rachel (Rachel Weisz) seinen Cousin und Ziehvater Ambrose ermordet? Denn davon ist Philip anfangs überzeugt. Zum anderen wird deutlich, dass Regisseur und Drehbuchautor Roger Michell auf eines der beliebtesten Mittel einer Literaturverfilmung zurückgreift, der allerdings allzu oft einer filmischen Umsetzung im Wege steht, weil er das Wort über das Bild stellt: den Erzähler aus dem Off.

Angesichts der gleichnamigen Romanvorlage von Daphne Du Maurier liegt die Entscheidung für einen Erzähler sicherlich nahe. Auch in ihr schildert Philip die Ereignisse im Rückblick, die nun auch Eingang in den Film finden: sein Aufwachsen bei seinem Cousin, seine enge Bindung zu ihm und dessen Landgut, schließlich dessen Abreise nach und plötzlichen Tod in Italien, der einhergeht mit großem Misstrauen und Eifersucht gegen Cousine Rachel, die Ambrose in Italien geheiratet hat. Deshalb ist Philip anfangs von Rachegedanken beseelt, er ist überzeugt, Rachel habe Ambrose ins Verderben gerissen. Mit Rachels Ankunft in England ändert sich indes alles: Philip in hingerissen von ihr, er verliebt sich, ohne dass er dieses Gefühl benennen könnte, verbrachte er doch sein bisheriges Leben in dem Glauben, Frauen brächten nur Ärger und er würde nie heiraten. Und Rachel bezaubert nicht nur ihn, sondern auch die Angestellten und Pächter, sie erscheint als würdige Herrin des Landsitzes – und ist im Prinzip eine mittellose Witwe. Denn zum allgemeinen Erstaunen hat Ambrose sein Testament nicht geändert, so dass Philip weiterhin sein Alleinerbe ist und für Rachel gar nichts bleibt. Anfangs fühlt sich Philip damit wohl; er glaubt, dies sei sein gutes Recht, als Ambroses engstes Familienmitglied. Aber nachdem er Rachel kennengelernt hat, ändert er dies – und versorgt sie anfangs mit einer üppigen monatlichen Zahlung, der nach und nach immer mehr Gelder und Geschenke folgen. Entgegen der besorgten Warnungen seiner Anwälte und Treuhänder, die sehen, dass der junge Mann sich Hals über Kopf in die ältere Rachel verliebt hat und völlig kopflos agiert, ist er bereit, alles für Rachel aufzugeben. Jedoch bleibt ein letztes Fünkchen Misstrauen gegenüber dieser Frau, das von Eifersucht und Besitzdenken allzu leicht genährt wird.

Bereits in dem Roman von Daphne Du Maurier stellen sich immer wieder leise Zweifel an Philips Erzählung ein: Ist Rachel wirklich eine Femme fatale im ländlichen England des 19. Jahrhunderts, der die Männer reihenweise verfallen? Oder ist sie vielmehr eine Projektionsfläche für die Gefühle, die Männer ihr entgegenbringen – und schlichtweg nicht in der Lage, diese allumfassenden männlichen Ansprüche an sie zu erfüllen, weil sie eigentlich nur ein selbständiges und selbstbestimmtes Leben führen will? Diese Ambivalenz bringt Rachel Weisz wunderbar auf die Leinwand: Sie ist hübsch, aber gleichermaßen bodenständig, verfügt über Charme und Intelligenz. Ihrer Rachel ist anzusehen, dass sie weiß, welche Rolle von ihr erwartet wird, zugleich aber sehnt sie sich auch nach der Freiheit, die ihr die Männer bisher verwehrt haben. Immer wieder passen sich Rachel Weisz und der Film Philips Perspektive an, die sie als trauernde Witwe, verführerische Frau und schließlich eine berechnende Mörderin sieht. Jedoch zeigt sich hier die größte Schwäche der Inszenierung: Sam Clafin weiß als Philip zu wenig entgegenzusetzen; er bleibt der kopflose 25-Jährige, der nicht weißt, was er tut. Ihm fehlt die Intensität, die Richard Burton dieser Rolle in einer älteren Verfilmung des Stoffes verliehen hat (an der Seite von Olivia de Havilland). Ihm fehlt die Hitze, der Wahnsinn, aber auch die Unschuld, die Philip braucht, um als Gegenpart zu funktionieren. Deshalb ist Meine Cousine Rachel immer gut, wenn Rachel Weisz zu sehen ist, aber er kehrt allzu oft zu Philip zurück, der wie ein enttäuschter „Welpe“ ist – was Rachel einmal bemerkt. Daher kommt man nicht umhin sich zu vorzustellen, was mit einer freien Adaption möglich gewesen wäre. Mit einer Verlagerung der Perspektive, mit mehr Raum für Iain Glen, der als Philips Onkel Nick Kendall über so viel mehr Charisma verfügt, oder mit mehr Konzentration auf Rachel. Zumal sich auch die kleinen Abweichungen im Inhalt eher irritieren. Hier wird durch Zusätze Eindeutigkeit suggeriert, wenn Zweifel angebracht werden – zumal sie dann wenig später unterlaufen werden.

Darüber hinaus fehlt dieser Verfilmung auch die Düsternis, die Mauriers Werk und die gelungenen Verfilmungen – vorne weg natürlich Hitchcocks Rebecca – auszeichnet. Mitchell gelingen zwar tolle Landschaftsaufnahmen und ein überzeugendes Setting, aber ihm fehlt ein psychologischer Unterbau, eine Tiefe, die diesen Film tatsächlich zwingend machen würde. Vielmehr bleibt er stets auf der sicheren Seite – und liefert dann auch noch ein unnötiges Ende hinzu. Es ist schade, dass er ausgerechnet im letzten Drittel nicht auf die Schauspielkunst seiner sensationellen Hauptdarstellerin vertraut. Denn sie hätte diese Drehbucheinschübe nicht gebraucht.
 

Meine Cousine Rachel (2017)

„Did she? Didn’t she? Who is to blame?“, fragt Philip (Sam Clafin) am Anfang von „Meine Cousine Rachel“ aus dem Off zu den Bildern der weiten Landschaft von Cornwall – und verweist damit zum einen auf die zentrale Frage dieses Films: Hat seine Cousine Rachel (Rachel Weisz) seinen Cousin und Ziehvater Ambrose ermordet? Denn davon ist Philip anfangs überzeugt.

  • Trailer
  • Bilder

Meinungen