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Ein 8-jähriger Junge überlebt als Einziger einen Autounfall. Das Schicksal seiner Familie beeinflusst das einer anderen. Stefan Haupt hat Lukas Hartmanns Roman „Finsteres Glück“ verfilmt.

Finsteres Glück (2016)

Eine Filmkritik von Falk Straub

Zu viel Metapher, zu wenig Gefühl

Bislang schrieb Stefan Haupt die Bücher seiner Dokumentar- und Spielfilme selbst. Der Drang, eigene Themen und Stoffe zu entwickeln, sei zu groß. Für eine Romanfigur seines Landsmanns Lukas Hartmann machte der Schweizer Regisseur nun eine Ausnahme. Das Schicksal des kleinen Yves rührte ihn. Haupts Drama berührt das Publikum indes kaum.

Noé Ricklin spielt diesen 8-jährigen Jungen, an dessen Krankenbett die Zürcher Psychologin Eliane Hess (Eleni Haupt) spätnachts eilt. Das Unfallauto ist bis zur Unkenntlichkeit entstellt, Yves selbst hat keinen Kratzer. Vater, Mutter und Schwester sind tot, Bruder Maurice erliegt kurz darauf seinen Verletzungen. Yves weiß zunächst nichts davon und plappert munter drauf los, breitet vor Eliane sein ganzes Wissen über Himmelskörper aus. Schon hier ist klar, dass hinter diesem heiteren Gespräch über Sonnen dunkle Wolken aufziehen. Wie Debütant Noé Ricklin diese Szene mit Leben füllt, seinen traumatisierten Charakter mal quirlig, mal zerbrechlich erscheinen lässt, ist eine Offenbarung.

Das kann man vom Film nicht behaupten. Gegen den natürlich agierenden Ricklin fällt der Rest des Ensembles ab. Stefan Haupts Ehefrau Eleni kommt vom Theater. Vor Tobias Denglers Kamera macht sie vor allem große Augen und ein langes Gesicht. Zu ihrer Verteidigung sei angemerkt, dass das Drehbuch ihres Mannes den Figuren kaum Raum lässt. Lukas Hartmanns Roman ist aus Elianes Perspektive geschrieben. Aus der Ich-Erzählerin der Vorlage, die Einblicke in ihr Innerstes gewährt, macht Stefan Haupt eine Verschlossene, an deren verhärtetem Panzer das Publikum abprallt. Die Alleinerziehende spricht viel über die Bedürfnisse anderer, aber fast nie über ihre eigenen.

Eliane hat zwei Töchter von verschiedenen Vätern. Den ersten hat sie begraben, den zweiten verlassen. Betrogen wurde sie von beiden. Diese doppelte Enttäuschung sitzt tief. Ihr Liebesleben ist nicht existent. An ihren seelisch angeknacksten Kindern Helen (Elisa Plüss) und Alice (Chiara Cara Bär) lebt sie vorbei, weil sie statt eines Familienlebens lieber ihren Beruf lebt. Die Begegnung mit Yves lässt die Grenzen zwischen Beruf und Privatem verschwimmen. Weder Yves Großmutter (Suly Röthlisberger) noch Tante (Alice Flotron) scheinen als Erziehungsberechtigte geeignet. Ein schrecklicher Unfallhergang deutet sich an. Also nimmt Eliane den Jungen wider jegliche Professionalität bei sich auf. Eine der vielen Unglaubwürdigkeiten, die nachhaltig irritieren und einzig der Handlungsentwicklung dienen: Ein Traumatisierter aus einer verkorksten Familie soll eine andere verkorkste Familie kitten.

Wie der Roman hat auch dessen Adaption einen metaphorischen Überbau, an dem sie schwer trägt. Das anfängliche Unglück ereignet sich während einer Sonnenfinsternis. In Elianes Arbeitszimmer hängt eine Reproduktion von Matthias Grünewalds Christi Menschwerdung des Isenheimer Altars, den der Maler in ekliptisches Licht getaucht hat. Eliane hat einen Bildband darüber verfasst. Wie die Madonna mit Kind auf der Reproduktion hält auch Eliane Yves einmal im Arm. Und als sie den Altar schließlich gemeinsam mit ihren Töchtern und Yves im Elsass besucht und die Stationen des tödlichen Unfalls noch einmal abfährt, dringt die Wahrheit an die Oberfläche. Hier Verkündigung, Menschwerdung, Kreuztod und Auferstehung, dort Erlösung durch Tod und Wiedergeburt in einer neuen, besseren (?) Familie. Selbst der Unfallort wird noch einmal durchfahren. Nur ist dieses Mal ist Licht am Ende des Tunnels.

Stefan Haupts Drama leidet an dieser bedeutungsschwangeren Unglaubwürdigkeit. Während vergleichbare fremdsprachige Produktionen ihren kolportagehaften Plot zumindest schwungvoll, mit Lust an Übertreibung und Gefühl auf die Leinwand werfen, wirkt deutschsprachiges Kino wie Finsteres Glück furchtbar dröge und verkopft. Und auch zu sehen gibt es viel zu wenig. Obwohl in Cinemascope gedreht, schwenkt Dengler lieber uninspiriert durch Räume, anstatt sie elegant zu durchmessen. Der Kontrast zu Grünwalds visueller Pracht und Kraft ist eklatant. Von der emotionalen Wucht seiner Dokufiktion Der Kreis, der das Premierenpublikum der Berlinale 2014 zu Tränen rührte, ist Haupts Nachfolger Lichtjahre entfernt.

Finsteres Glück (2016)

Spät in der Nacht wird die Psychologin Eliane Hess ins Krankenhaus an das Bett des achtjährigen Yves gerufen. Der Junge hat als einziger seiner Familie einen Autounfall überlebt und weiß noch nichts davon, dass niemand von seinen Eltern und Geschwistern mehr zurückkehren wird. Eliane ist gleichzeitig erschüttert und gebannt vom Schicksal des Jungen. Und so kann und will sie bald schon nicht mehr länger Berufliches vom Privaten trennen.

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