Eastalgia

Eine Filmkritik von Lena Kettner

In Deutschland stinken die Flüsse nicht

Als der Morgen anbricht, tropft schwarzer Regen über die dreckigen Fensterscheiben einer Wohnung in Kiew. Die Erlebnisse der letzten Nacht sind bei Tageslicht betrachtet nicht mehr als ein flüchtiger Traum, eine Illusion von einer erfüllten Liebensbeziehung. Auch wenn an diesem Tag in München und Belgrad schöneres Wetter ist als in Kiew: in ihrem Liebeskummer, ihrem Schmerz und ihrer Verzweiflung stehen sich die Protagonisten des Films Eastalgia ganz nah.
Daria Onyshchenko begleitet in ihrem Debütfilm, der in diesem Jahr die 46. Internationalen Hofer Filmtage eröffnete, Menschen in drei europäischen Städten durch eine folgenschwere Nacht. Denn die Entscheidungen, die sie in dieser Nacht treffen, haben nicht nur für ihr Leben Konsequenzen.

Während sich in München die Ukrainerin Ruslana und ihr Nachbarn Vladan, ein ehemaliger serbischer Boxer, annähern, haben auch ihre Söhne Bogdan in Kiew und Zoran in Belgrad nachts eine unverhoffte Begegnung. Bogdan wird das Vorhaben, sein Land zu verlassen und zu seiner Mutter nach München zu ziehen, am nächsten Morgen auf unbestimmte Zeit verschieben. Und Elena — eine Frau, die Zoran während einer seiner Handwerkerjobs kennenlernt — sieht nach einer durchzechten Nacht mit Bogdan alles klarer als zuvor. Sie beschließt, ihren deutschen Mann allein in seine Heimat ziehen zu lassen. Anhand dreier aufkeimender Beziehungen zeigt Onyshchenko in Eastalgia die tiefen Risse, die immer noch zwischen West- und Osteuropa bestehen und die Verwirklichung des persönlichen Liebesglücks erschweren. Denn vor allem Ruslana kann sich nicht auf Vladan einlassen, solange sie die Sorge um ihren in Kiew lebenden Sohn umtreibt.

So sehr sich die Absolventin der Hochschule für Fernsehen und Film München auch in ihrem Spielfilmdebüt bemüht: Eastalgia bleibt bis zum Schluss ein Potpourri aus Einzelgeschichten, die sich nicht zu einer harmonischen Einheit fügen wollen. Das liegt vor allem daran, dass sich die Regisseurin nicht ausschließlich auf die Paarkonstellationen in den drei Ländern konzentriert, sondern zahlreiche Nebenschauplätze eröffnet. So treten in der Wohnung der jungen Mutter Elena und ihres deutschen Mannes plötzlich bewaffnete Schläger auf und fordern Geld, und in Kiew feiern Bogdan und seine Freunde ausgelassen auf der Straße, bis die Polizei ihr nächtliches Treiben stört. Schwer fassbar sind Onyshchenkos Figuren in ihrer Rastlosigkeit und in ihrem Hang zu übersteigerten Gefühlsausbrüchen. Die unruhige Kameraführung und der schnelle Wechsel zwischen den verschiedenen Schauplätzen des Films machen es beinahe unmöglich, sich auf alle drei Geschichten gleichermaßen intensiv einzulassen.

Und doch finden sich immer wieder leise, bewegende Momente in Eastalgia, in denen die Verzweiflung und der Schmerz der Protagonisten wirklich spürbar werden. Als Elenas Mann Günther dem Handwerker Zoran beispielsweise erklärt, warum seine Frau nicht mit in seine Heimat Deutschland kommen kann. Dort stinken die Flüsse nämlich nicht wie in Belgrad – und genau das liebt sie so sehr. Oder als Ruslana zum ersten Mal ihre Sorgen vergisst und mit Vladans Hilfe vollkommen gelöst im Hof ihres Hauses Fahrrad fährt. Wie Nina Nizherade als Ruslana und Karl Markovis als Vladan sich in dieser Nacht Stück für Stück von ihrer Vergangenheit befreien, wie sie ihre anfängliche Scheu voreinander durch zärtliche Gesten, Humor und ein wenig Alkohol überwinden, ist nicht nur berührend, sondern erzeugt auch ein Gefühl tiefer Traurigkeit. Denn mit dem Beginn ihrer Liebe wird die Distanz zu ihren Kindern im Osten Europas größer als jemals zuvor. Nizherade und Markovis sind das Kraftzentrum dieses hauptsächlich mit serbischen und ukrainischen Schauspielern besetzten Ensembles, der Motor eines Films, der es oft nicht wagt, den Zuschauer hinter die Oberfläche seiner Figuren blicken zu lassen.

Eastalgia

Als der Morgen anbricht, tropft schwarzer Regen über die dreckigen Fensterscheiben einer Wohnung in Kiew. Die Erlebnisse der letzten Nacht sind bei Tageslicht betrachtet nicht mehr als ein flüchtiger Traum, eine Illusion von einer erfüllten Liebensbeziehung. Auch wenn an diesem Tag in München und Belgrad schöneres Wetter ist als in Kiew: in ihrem Liebeskummer, ihrem Schmerz und ihrer Verzweiflung stehen sich die Protagonisten des Films „Eastalgia“ ganz nah.
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Meinungen

egc · 22.09.2013

So wie der Film endet, hätte er auch nach spätestens einer halben Stunde abbrechen können ...
Wie im Artikel schon gesagt: es gibt wenige geglückte Momente in dem Film.

Kirin · 04.11.2012

Hab den Film in Hof bei den Filmfestspielen gesehen und bin ein wenig enttäuscht. Mich interessiert die osteuropäische Kultur und deren Konflikte sehr, aber ich empfand diesen Film klischeehaft und behauptet. Er erzählt eine Geschichte, die so ähnlich wie Babel oder so sein soll, hat aber leider nicht im Ansatz verstanden, wie das geht. Dieser Film ist ein bisschen peinlich und vor allem eins: vorhersehbar, platt und langweilig. Da retten auch drei unterschiedliche Orte nichts dran. Sehr Schade.