Die kleinste Armee der Welt

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Long Live Bavaristan!

Wie kann man pazifistischen Aktivismus leben? Mit einem ernsthaften, engagierten Leben zwischen antimilitaristischen Demos und Friedensvorträgen – oder mittels der Kunst. Der satirischen. Der ironisch affirmativen, der ambivalenten, der provozierenden, der durch Spaß zum Nachdenken bewegenden. Marcus und Hamon gehen diesen Weg, und Martin Gerner hat sie begleitet. Die kleinste Armee der Welt: Das sind die beiden Lederhosen-Taliban, die Marcus Hank und Hamon Tanin in ihren Kunstfiguren verkörpern. In Oberbayern und den benachbarten österreichischen Gebieten sind sie unterwegs, um den Einheimischen als Friedenstruppe Hilfe zur Selbsthilfe zu bieten, um in Heimatabenden ein paar Selbstmordattentate nachzuspielen und Holz zu sägen; und nicht zu vergessen: um die Bergstämme vom Hindukusch bis zum Watzmann zu vereinen.
Marcus ist Gewaltpräventions-Pädagoge, gibt Kurse in Selbstverteidigung und schreibt nebenbei eine Doktorarbeit in Theaterwissenschaft. Hamon ist als Neunjähriger aus Afghanistan nach Deutschland gekommen, befindet sich im geduldeten Aufenthaltsstatus, muss halbjährlich seine Aufenthaltsgenehmigung verlängern lassen und promoviert in Politikwissenschaften. Gemeinsam sind sie die bayrischen Taliban, in Lederhosen und mit Kalaschnikow, sie verkörpern die Verbindung von Heimat und Fremde. So weit auseinander sind die Afghanen und die Bayern gar nicht, Trachten haben sie beide, die Heimat lieben sie, gläubig sind sie, und schießen tun sie auch gern, die einen im Krieg, die anderen im Schützenverein. Mit Aktionen in Rosenheim und Umgebung verbreiten sie eine durchweg pazifistische Botschaft – indem sie die Insignien des Militärs, die Vorurteile gegenüber den Fremden, die Bereitschaft für Auslandseinsätze monströs vergrößern und vergröbernd ins Gegenteil verkehren. Ironie als Waffe gegen Waffen: Hamon tritt als Omar Müller auf, bärtiger Bösewicht, Unterhaltungsclown und leidender Afghane in einem, so das Konzept. In ausgeklügelter Choreographie vollziehen sie ihre Performances, die zwischen Quatsch und Zuschauerverstörung angesiedelt sind. Und die stets klare Kante zeigen.

Marcus kann ein Lied vom Militär singen, er hat nicht verweigert, sondern wollte die Organisation von innen zersetzen. An den Anti-Irakkriegsdemonstrationen Anfang der 1990er Jahre nahm er teil, hielt in Uniform pazifistische Reden, was ihm einige Tage Bau einbrachte. Hamon ist einer der Flüchtlinge, die die bayrische Bevölkerung derzeit so sehr bedrohen – vor 25 Jahren ist er angekommen, aber er ist noch nicht wirklich angenommen; er ist heimisch, aber nicht willkommen. Für Gerner ist das einer der wichtigen Aspekte des Films, der diesem auch bleibenden Wert sichern sollte: Die Frage, was aus Flüchtlingen wird, wie der Umgang mit Flüchtlingen sein wird, wenn diese mal einige Zeit hier gelebt haben. Wenn sie schon deshalb nicht zurückkönnen, weil das Herkunftsland keine Heimat mehr ist. Sie sich aber auch hier ständig mit Behörden, mit Regulierungen, mit Fragen und Vorurteilen der indigenen Bevölkerung herumschlagen müssen.

Der Einsatz deutscher Soldaten in Afghanistan und die Flüchtlinge aus dem arabischen Raum, die hierher nach Deutschland kommen: Zwischen diesen Polen spielt sich die Kunst, die Satire von Marcus und Hamon ab. In Performance-Abenden, „Terrorvideos“, mit Straßenkunst und gefakten Zeitungsartikeln wollen die beiden, so Marcus, zum Nachdenken darüber anregen, welche Kriege diese Gesellschaft führen will. Ab und an treten Himmler und Goebbels als Handpuppen auf, die sich über die Verteidigung der Heimat am Hindukusch auslassen. Überzogen? Immer gerne. Geschmacklos? Aber klar. Treffend? Mitten ins Ziel.

Die kleinste Armee der Welt

Wie kann man pazifistischen Aktivismus leben? Mit einem ernsthaften, engagierten Leben zwischen antimilitaristischen Demos und Friedensvorträgen – oder mittels der Kunst. Der satirischen. Der ironisch affirmativen, der ambivalenten, der provozierenden, der durch Spaß zum Nachdenken bewegenden. Marcus und Hamon gehen diesen Weg, und Martin Gerner hat sie begleitet. „Die kleinste Armee der Welt“: Das sind die beiden Lederhosen-Taliban, die Marcus Hank und Hamon Tanin in ihren Kunstfiguren verkörpern.
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