Ins Blaue

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Italienische Reise

Am Anfang, als man noch nichts weiß von diesem Film, da spürt man dennoch die Stimmung, die sich von der Leinwand überträgt: Obwohl es „nur“ nach Italien geht, ist es ein Aufbruch, sind die jungen Frauen und die Männer, die sie in einer Wagenkolonne begleiten, dabei, Neuland zu betreten. Heiter wirken sie, gelöst, ein wenig aufgeregt, aber nichts kann ihre Stimmung trüben.
Glaubt man zunächst daran, dass Nike Rabenthal (Alice Dwyer), die offensichtlich im Mittelpunkt des Unternehmens steht, vielleicht nach Italien umzieht, wird dann schnell klar, dass hier ein Film gedreht werden soll, dessen Titel wir auch ganz nebenbei erfahren: Er soll Ins Blaue heißen – genauso also wie der Film, den wir gerade sehen. Produziert wird der Film von Nikes Vater Abraham (Vadim Glowna), der am Rande des Bankrotts balanciert, weil die erhoffte Filmförderung ausbleibt. Doch Nike, jung und voller Energie, will sich dadurch nicht entmutigen lassen. Ohne Drehbuch, ohne ausgearbeitete Dialoge, schickt sie ihre drei Protagonistinnen Eva (Esther Zimmering), Josephine (Janina Rudenska) und Laura (Elisabeth-Marie Leistikow) auf die Reise, die Kamera immer mit dabei. Und natürlich kommt es wie immer bei Thome zu Liebesgeschichten – beiläufigen, traurigen, unmöglichen und absurden. Solche, die einen lächeln lassen und ein bisschen still werden. Weil sie so sind, wie das Leben manchmal und das Kino viel zu selten ist.

Dass Thomes Film und der Film-im-Film, von dessen Entstehen Ins Blaue berichtet, den gleichen Titel tragen, ist nicht die einzige schlitzohrige Vertracktheit, die sich Rudolf Thome für sein neues Werk ausgedacht hat. Eine weitere liegt in der Verschränkung von Realität und Inszenierung. Und die hat – wie so vieles in Thomes 28. Film – nicht nur einen doppelten Boden, sondern gleich mehrere. Werkimmanent durchdringen sich die Dreharbeiten zu dem Film und die Szenen aus dem Film (also jenem, der von Nike realisiert wird), ergänzen sich, kommentieren sich im einen und widersprechen sich im nächsten Moment und sind auf den ersten Blick von der „Realität“ (also jener der ersten Ebene) kaum unterscheidbar, was immer wieder für die herrlichsten Irritationen seitens der Zuschauer sorgt. Die zweite Ebene deutet sich ja schon in der Parallelität der beiden Filmtitel an.

Und nicht zuletzt könnte man Ins Blaue (und zwar sowohl den Titel als auch den so bezeichneten Film selbst) auch als Beschreibung, als Motto des gesamten bisherigen filmischen Schaffens von Rudolf Thome begreifen. Zum einen ganz wörtlich, weil dieser Mann seit vielen Jahren immer wieder den Mut besitzt, sich nicht anzupassen, nicht stets die gleichen Filme zu drehen, sondern immer wieder Neuland zu betreten – einfach so, „ins Blaue“ hinein. Und zum anderen natürlich, weil der Film von nichts anderem handelt als vom Filmemachen selbst – und zwar vom Filmemachen auf diese unvergleichliche Art, wie sie seit langem nur Thome selbst hinbekommt. Wenn man nun bedenkt, dass Thomes Tochter Joya im realen Leben ebenfalls Filme dreht – und man darf vermuten, dass sie das ebenfalls mit Hilfe ihres Vaters tut –, dann wird schnell klar, dass Vadim Glowna in seiner vorletzten (Doppel)Rolle niemand Geringeres ist als ein filmisches Alter Ego von Rudolf Thome.

Im Film, also im Film-im-Film spielt Glowna, eher widerwillig und aus Geldmangel, den erfundenen Sohn des genialen Philosophen Ludwig Wittgenstein. Und als der sagt er an einer Stelle zu seiner Angebeteten Laura, dass eine Menschenliebe wohl nie dazu ausreichen wird, die volle Bedeutung von Heraklits berühmtem Satz „Pantha Rei“ („Alles fließt“) zu ergründen. Das mag stimmen, doch andererseits vermittelt gerade Thomes Film eine Ahnung davon, welche enorme Verführungskraft, welcher Zauber und welche Schwierigkeiten gerade darin liegen: Im Fließen. Selbst wenn wir die Bedeutung nicht vollständig begreifen werden: Beim Betrachten von Ins Blaue bekommt man eine fast schon körperliche Ahnung davon, wie sich dieses Fließen anfühlt. Und spürt, dass Fiktion und Realität, Gemacht-sein und Da-sein keine Gegensatzpaare sind, sondern in manchen magischen Momenten ineinanderfließen und sich vereinigen und dann zu einem machtvollen Strom werden, der unsere Vorstellungen vom Leben, der Liebe und der Kunst hinweg spült.

Überhaupt Glowna: Als besäßen er und Thome hellseherische Kräfte, ist diese Rolle fast schon so etwas wie ein Vermächtnis des Schauspielers, der am 24. Januar diesen Jahres verstarb. Am Ende von Ins Blaue verschwindet er einfach im Nirgendwo und allein in diesem Schlussbild liegt so ungeheuer viel Tröstliches. Vielleicht ist er ja gar nicht tot, sondern irgendwo an einem Ort, wo es besser ist. Das Leben, das Lieben und das Filmemachen.

Ins Blaue ist ein echtes Geschenk – ein Film (eigentlich nicht einer, sondern ganz viele), der ganz einfach aussieht und der doch unendlich kompliziert und raffiniert ist, ohne dabei im Geringsten anzustrengen. Vielleicht, nein, ziemlich sicher ist Thome ja damit etwas gelungen, von dem seine Filmtochter Nike nur träumen konnte – eine Kombination aus den Qualitäten der Nouvelle Vague mit den Gegebenheiten des 21. Jahrhunderts zu realisieren.

Ins Blaue

Am Anfang, als man noch nichts weiß von diesem Film, da spürt man dennoch die Stimmung, die sich von der Leinwand überträgt: Obwohl es „nur“ nach Italien geht, ist es ein Aufbruch, sind die jungen Frauen und die Männer, die sie in einer Wagenkolonne begleiten, dabei, Neuland zu betreten. Heiter wirken sie, gelöst, ein wenig aufgeregt, aber nichts kann ihre Stimmung trüben.
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Meinungen

ne Kölnerin · 16.09.2012

Wir fanden den Film auch stinklangweilig und überflüssig...

Hollywoodverschmäher · 13.09.2012

Wir fanden den Film so langweilig, dass wir nach 45 Min. rausgegangen (!) sind. Ich hab nur zwei Ebenen (Film und Film-im-Film) wahrgenommen, beide einfach - langweilig. Manchmal dachte man "mein Gott, wie schlecht ist das denn gespielt!?" - ach so, war ja nur der Film im Film... tja aber der eigentliche Film - auch nicht spannender. Ist wohl Kunst, die im Kopf des Betrachters entsteht - bei uns nicht. Vielleicht hatten die anderen beiden Besucher außer uns mehr Freude dran...