Die Reste meines Lebens

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Glück im Unglück?

Wie kann das sein? Eben noch war man der glücklichste Mensch auf Erden und im nächsten Moment liegt das ganze Leben in Trümmern vor einem. Das ist zugegebenermaßen keine schöne Vorstellung und vielleicht sogar als Damoklesschwert, das ständig über einem und der Brüchigkeit der eigenen Existenz schwebt, ein Gedanke, den man sonst eher zu vermeiden versucht.
Von genau solch einer Situation und deren Auswirkung auf das Leben eines jungen Mannes erzählt Jens Wischnewski in seinem Film Die Reste meines Lebens — und er tut dies auf eine so bewegende Weise, dass man sich eine ganze Weile lang trotz allen Leides auf der Leinwand buchstäblich im falschen Film glaubt, um dann festzustellen, dass das vermeintlich Falsche genau das Richtige ist.

Schimon May (Christoph Letkowski) kann sich glücklich schätzen — er hat seine kindliche Passion, das Hantieren mit dem Mikrofon und einem Aufzeichnungsgerät, das Jonglieren mit Worten, Tönen und Musik zu seinem Beruf gemacht, hat in San Francisco gelebt und dort ein Tonstudio aufgebaut, hat seine Frau Jella (Karoline Bär) kennengelernt und ist mit dieser in seine süddeutsche Heimat zurückgekehrt. Die beiden sind gerade erst angekommen, das erste Kind ist unterwegs — und dann passiert das Unfassbare: Durch eine Verkettung unglücklichster Umstände und Zufälle sieht sich Schimon von einem Moment auf den anderen all seiner Gewissheiten beraubt. Sein Leben ist auf den Kopf gestellt — und ausgerechnet in dieser schwersten Zeit seines Lebens lernt er die hinreißende Milena (Luise Heyer) kennen. Aber: Kann man das überhaupt — sich mitten im größten Unglück Hals über Kopf verlieben? Ist angesichts der frischen Trauer so etwas Umwerfendes wie Liebe überhaupt möglich? Oder ist es nicht vielmehr eine Illusion, eine emotionale Übersprunghandlung, die versucht, die Schockstarre durch etwas anderes zu ersetzen?

Wie die Schalen einer Zwiebel entfaltet Die Reste meines Lebens die verschiedenen Handlungsstränge, Episoden, Zeitschichten und Perspektiven auf ein traumatisches Ereignis und bleibt dabei stets überraschend und bewegend. Bemerkenswert daran ist nicht allein die verschachtelte und komplexe Erzählweise, die die gesamte Tragik des Hergangs erst nach und nach enthüllt und dem Zuschauer manche Nuss mit auf den Weg durch die Geschichte gibt (ich gestehe, dass ich einer scheinbaren Unstimmigkeit des Plots erst nach langem Nachdenken und mehrmaligem Sehen auf die Schliche gekommen bin — und sie löste sich wunderbar und ohne jeden Fehler auf). Mindestens ebenso einnehmend ist die Atmosphäre, in die Jens Wischnewski seinen irritierend ambivalenten Film taucht: Es sind Bilder voller sommerlicher Wärme und flirrender Heiterkeit, vor deren Hintergrund der Zuschauer ebenso wie Schimon in der trügerischen Sicherheit gewogen wird, es handele sich dabei um einen Liebesfilm und nicht um eine Studie über Trauer, Verarbeitung und Verdrängung.

Hinzu kommen die grandiosen Darsteller, allen voran die gerade erst als beste Darstellerin beim Preis der deutschen Filmkritik nominierte Luise Heyer (für Jonas Rothlaenders Fado), deren natürliches Spiel ebenso überzeugt wie Christoph Letkowski, dessen Schimon immer wie ein Schlafwandler wirkt, der von seiner Umwelt abgeschnitten ist und der mühsam um Fassung ringt. Außerdem ist da noch Karoline Bär als Jella — auch sie ist eines der neuen und frischen Gesichter, denen man einfach gerne zuschaut und die gerade erst mit ihrer Kinokarriere begonnen haben. Ergänzt man den Blick auf den Regisseur und die formidablen Darsteller noch um Julia C. Kaiser (Das Floß!, Die Hannas), die gemeinsam mit Wischnewski das hinterlistig-schlaue Drehbuch verfasste, dann weiß man Die Reste meines Lebens umso mehr zu schätzen — als gewaltige und berührende Talentprobe, die Mut macht für die Zukunft des deutschen Films, der sich zunehmend auch auf vielschichtige Stoffe in den Grauzonen zwischen Mainstream und Arthouse, zwischen Komödie und Drama, zwischen Liebe und Trauer zu behaupten weiß. Und der über einige Talente verfügt, die das große Publikum erst noch kennen und lieben lernen wird. Bei aller Ernsthaftigkeit, die dieser Film ausstrahlt: Er ist mehr als nur ein Hoffnungsschimmer, sondern vor allem ein Versprechen auf eine strahlende Zukunft.

Die Reste meines Lebens

Wie kann das sein? Eben noch war man der glücklichste Mensch auf Erden und im nächsten Moment liegt das ganze Leben in Trümmern vor einem. Das ist zugegebenermaßen keine schöne Vorstellung und vielleicht sogar als Damoklesschwert, das ständig über einem und der Brüchigkeit der eigenen Existenz schwebt, ein Gedanke, den man sonst eher zu vermeiden versucht.
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