Die Reise mit Vater

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Odyssee einer Familie durch die Wirren des Prager Frühlings

Sommer 1968. Im Fernsehen warnt Willy Brandt und Nicolae Ceausescu beschimpft die Russen. In die CSSR nämlich sind Panzer gerollt, der Prager Frühling mit seiner Galionsfigur Alexander Dubcek wird brutal kaltgestellt. In dieser Zeit machen sich die Brüder Mihai und Emil zusammen mit ihrem Vater auf, von Westrumänien nach Leipzig; Donauschwaben, die ebenso rumänisch wie deutsch reden. Und die sich in Leipzig die lebensrettende Operation in Vaters Gehirn erhoffen. Die Reise mit Vater ist das Langfilmdebüt von Anca Miruna Lăzărescu, es ist eine Familiengeschichte, es ist die Geschichte ihrer Familie. Und so schwer alles wiegt, so groß die Kluft ist zwischen Wollen und Dürfen, zwischen West und Ost, zwischen Freiheit und Unterdrückung – Lăzărescu gelingt das Kunststück, Leichtigkeit, Humor, Komik hineinzubringen. Ohne die Last dieser Zeit, die Zwänge der Figuren, die Verfasstheit der Charaktere zu denunzieren.
Über Ungarn geht die Reise. Über die CSSR. Vater und Söhne bekommen den Hauch von Freiheit in die Nase, Beatles- und Stones-Platten gibt es da einfach so zu kaufen! An der Grenze zur DDR werden sie wegen dieses westlich-kapitalistischen Propagandamaterials heftig durchsucht, da helfen auch alle Beteuerungen nicht, dass Strawberry Fields Forever eine Hymne auf kollektive landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften ist. Kurz darauf rollen Panzer an ihnen vorbei. Und dann werden sie festgesetzt: Ganz freiwillig, zu ihrer eigenen Sicherheit, werden sie interniert in der DDR, die fest zum Bruderstaat UdSSR hält, gefangengenommen zusammen mit all den anderen, die irgendwie aus der CSSR kamen, die irgendwie vielleicht irgendwas mit Freiheitsgedanken zu tun haben könnten.

Mihai ist der Boss der Familie. Es bleibt ihm nichts anderes übrig. Die Mutter ist tot, der Vater lebensüberdrüssig, der jüngere Emil ein Heißsporn, der antistalinistische Parolen ans Schulhaus sprüht. Und das, wo die Familie ohnehin auf den guten Willen der Partei angewiesen ist, früheres Unglück hat den Vater gebrochen, woraufhin der Staat mit ihm gebrochen hat. Mihai steckt immerzu im Zwiespalt: Er muss die Familie erhalten. Und mit seinen gelegentlichen Spitzeldiensten möglichst wenig Schaden anrichten. Denn die Securitate, die rumänische Geheimpolizei, ist nicht zimperlich, was die körperliche Unversehrtheit derer angeht, die dem Sozialismus im Weg stehen.

Nun also DDR. Nun also Gefangene. Mit geschmuggeltem Cognac lassen sich ein paar Annehmlichkeiten für die eingepferchten Familien erreichen; ein heimlicher Anruf bei der rumänischen Botschaft wirkt Wunder. Die Rumänen nämlich stehen inoffiziell gegen die Russen; freilich nur, um eine noch heftigere Diktatur aufzubauen, das aber wird erst die spätere Geschichte zeigen. 1968: Da beherrschen Freiheitswille, Heimatliebe, Resignation, Durchschummeln das Denken und Handeln. Widerstreitende und widersprüchliche Regungen, die verstärkt werden durch diesen einen sicheren Reiseweg zurück nach Rumänien – nämlich über die BRD, Österreich, Jugoslawien. Unter Umgehung all der russisch beeinflussten Staaten direkt hinein in die Höhle des kapitalistischen Löwen.

In München bleibt die Familie Reinholtz stecken. In einer linken Studenten-WG. Im Salon der Salonkommunisten. Da, wo die Ideologien gefestigt sind und laut herausposaunt werden, unter Vermeidung jeden Wirklichkeitsbezugs. Die, die den real existierenden Kommunismus am eigenen Leib erfahren, prallen auf die, die Marx und Engels und Lenin propagieren, weil in der BRD ja der Polizeistaat herrscht: Jederzeit kann man verhaftet werden! Auch hier die subtile Komik des Films, die einer klaren Charakterisierung, einer präzisen Milieubeschreibung der linken Studentenbewegung nicht im Weg steht. Der Balanceakt gelingt durchweg: Die private Familiengeschichte politisch aufzuladen, die Politikgeschichte in die Familie hineinspielen zu lassen. Und die großen Konflikte, die sich daraus ergeben, nicht in melodramatischem Furor auszuspielen, sondern sie ganz natürlich, ganz organisch einzuflechten. Bis hin zu der großartigen Inszenierung eines Wendepunktes in Form eines ganz beiläufigen Geschehens. Um dann einen ganz anderen politisch-brüderlichen Konflikt aufzubauen, zwischen München in der BRD und Arad in Rumänien. Geographisch getrennt, aber schicksalhaft verbunden, und denselben Zwängen ergeben, die einen Mann brechen können.

Es ist, wie der Abspann erklärt, die Geschichte von Anca Miruna Lăzărescu; eine Reise zurück in die Vergangenheit ihrer Herkunft. Der Film: Eine Reise mit Vater.

Die Reise mit Vater

Sommer 1968. Im Fernsehen warnt Willy Brandt und Nicolae Ceausescu beschimpft die Russen. In die CSSR nämlich sind Panzer gerollt, der Prager Frühling mit seiner Galionsfigur Alexander Dubcek wird brutal kaltgestellt. In dieser Zeit machen sich die Brüder Mihai und Emil zusammen mit ihrem Vater auf, von Westrumänien nach Leipzig; Donauschwaben, die ebenso rumänisch wie deutsch reden.
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