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Der Dokumentarfilm „Das Kino sind wir“ von Drehbuchautorin und Regisseurin Livia Theuer ist eine künstlerisch-filmhistorische Betrachtung sozialkritischer Protestbewegungen der Bundesrepublik Deutschland seit den späten 1970er Jahren.

Das Kino sind wir (2023)

Eine Filmkritik von Nicolai Härtel

Gesellschaftskritik in bewegten Bildern

Die sozialphilosophischen und revolutionären Ansichten des Aktionskünstlers Joseph Beuys inspirierten in den 70ern viele junge Menschen proaktiv, die moderne Gesellschaft mitzugestalten. Eine seiner Parolen: „La Rivoluzione siamo Noi“ — Die Revolution sind wir. Dass diese Ansätze auch in hohem Maße konstruktiv sein können, zeigt das Projekt Filmladen Kassel, bei dem sich eine Gruppe junger Menschen zusammengetan hat, um über das Medium Film in den Dialog zu treten. Der Dokumentarfilm „Das Kino sind wir“, der schon im Titel auf Beuys‘ Parole rekurriert und der beim Hessischen Film- und Kinopreis 2023 mit dem Sonderpreis ausgezeichnet wurde, gewährt den Zuschauer:innen einen interessanten Blick auf sozialpolitische Themen durch das Projektionsfenster eines deutschen Programmkinos.

Kunst ist ein zentrales und wichtiges Instrument friedlicher Proteste. Sei es durch Performance-Kunst wie bei Beuys oder modernes Filmkunstkino. Letzteres hatte in den 70ern und 80ern durch den Druck der damaligen Filmindustrie praktisch keine Plattform. Eine Gruppe junger Menschen tat sich jedoch zusammen, um mit viel Hingabe und Opferbereitschaft Themen wie Umweltschutz, Anti-Atomkraft, Emanzipation, gleichgeschlechtliche Liebe oder der Aufklärung über Rechtsextremismus eine Bühne zu geben. Das Kino sind wir zeigt zunächst, wie mit einem Kredit, ausrangierten Möbeln und dem Enthusiasmus junger Menschen etwas entstehen kann. Alle Beteiligten einte dabei der basisdemokratische Gedanke. 

Im weiteren Verlauf des Films geht Regisseurin Livia Theuer näher auf die Regisseur:innen und Künstler:innen dieser Zeit ein, die durch das Programmkino eine Plattform fanden. Beispielsweise ist es ungemein interessant zu hören, wie junge Filmemacherinnen von den Widerständen berichten, auf die sie in einer patriarchalen Filmwelt stießen, und wie schwierig es letztendlich war, ihre Kunst auf 16mm-Zelluloidfilm zu verewigen.

Zuletzt thematisiert Das Kino sind wir die aktuelle Situation kleiner Kinobetriebe. Es wird deutlich, wie nach der Pandemie und in Zeiten der Streaming-Dienste ein langsames Kinosterben befürchtet werden muss. Das Kino war schon immer ein Ort, an dem Menschen zusammenkommen, ein Ort des (inter)kulturellen Austauschs. Livia Theuer versteht es dabei, den Zuschauer:innen zu verdeutlichen, dass Kino ein unersetzliches Kulturgut ist. Um es mit den Worten des Filmemachers Thomas Frickel zu sagen, der in Das Kino sind wir ebenfalls zu Wort kommt: „Es gibt keine günstigere Möglichkeit Kultur in die Fläche zu bringen als über das Kino.“

Das Kino sind wir (2023)

„Das Kino sind wir “ erzählt am Beispiel des Filmladen Kassel die Geschichte vom Kino als soziale Plastik. Mit dem Aufstieg des politischen Films eröffnen bis in die 1980er Jahre überall in der BRD alternative Abspielstätten gegen den Widerstand mächtiger Kinoketten. In der documenta Stadt Kassel starten zehn junge Filmfreaks als Kollektiv. Mit Filmkunst, zunehmend auch von Frauen, die Welt verändern, in die gesellschaftliche Diskussion eingreifen, sie offener, gleichberechtigter, grüner machen. Vier Jahrzehnte später haben Kommerzialisierung, digitale Revolution und Pandemie das Kino verändert. In einer Collage aus Interviews, Archivmaterial und Filmausschnitten, die Zeitgeschichte spiegelt, umkreisen das Kino Team sowie prägende Filmschaffende wie Ulrike Ottinger, Gertrud Pinkus, Monika Treut, Andres Veiel u.a. Fragen nach Bedeutung und Zukunft engagierter Kinokultur

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