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Features: „Die Zukunft war früher auch besser“ - Eine erste Bestandsaufnahme zum Kongress

Ein Beitrag von Joachim Kurz

Nichts weniger als die Zukunft des deutschen Films verhandelte der mit Spannung erwartete und hochkarätig besetzte Kongress beim diesjährigen Lichter Filmfest. Die Ergebnisse machten klar, dass es für grundlegende Änderungen an der Misere einiger kleiner bis großer Revolutionen bedarf.

Tom Nestler
Auf dem Kongress „Zukunft Deutscher Film“

Es brodelt seit einigen Jahren unüberhör- und -sehbar in der deutschen Kino- und Filmbranche. Sieht man einmal von den offiziellen Verlautbarungen von Regierungspolitikern, Ministerien und anderen staatstragenden Institutionen ab, scheint dem Rest der Filmwelt längst klar zu sein, dass es so nicht mehr lange weitergehen kann mit dem deutschen Film – darüber können auch Ausnahmeerscheinungen wie Maren Ades Toni Erdmann oder Nicolette Krebitz’ Wild nicht hinwegtäuschen.

Als sich Edgar Reitz vor zwei Jahren beim Lichter Filmfest in Frankfurt mit deutlichen Worten für einen filmpolitischen Neuanfang ausgesprochen hatte, haben die Organisatoren des kleinen, aber feinen Filmfestivals diese als eine Art Auftrag gesehen und seither zusammen mit dem Deutschen Filminstitut DIF einen Kongress zur Zukunft des deutschen Films auf die Beine gestellt, der nun parallel zum Festival und als dessen heimliches Herzstück über die Bühne ging. Zwei Tage lang fanden im Gesellschaftshaus des Frankfurter Zoos zahlreiche Paneldiskussionen zu verschiedenen Facetten des Themas statt. Vor allem aber tagten drei runde Tische unter Ausschluss der Öffentlichkeit, um am Ende konkrete Vorschläge für eine Reform der deutschen Film- und Kinolandschaft zu präsentieren.

© Dirk Hoy

 

Die Ergebnisse

Das Panel 1, dessen Ergebnisse Martin Hagemann und Julia von Heinz vortrugen, hatte sich der Thematik Förderung und Finanzierung angenommen. Neben einer drastischen Erhöhung der Fördersummen für die Stoffentwicklung und für Marketing und Vertrieb sowie des Abbaus von Regionaleffekten und der Forderung nach der bindenden Zahlung von sozialverträglichen Honoraren, hatte dieser runde Tisch vor allem zwei Forderungen mitgebracht, die einer Revolution gleichkommen: Zum einen soll die Hälfte der gesamten Fördersumme an all jene (ca. 20 Filme pro Jahr) gehen, bei denen eine Zuschaueranzahl von mehr als 250.000 realistisch ist. Die restlichen 50 Prozent der jährlichen Fördersumme sollen hingegen von 2 Kuratoren verteilt werden (die wiederum alle 5 Jahre rotieren) bzw. 20 % der Summe verlost werden. Zudem wurde die radikale Entkopplung von Fernsehen und Kino gefordert. Zu diesem Zweck soll  die Bildung eines staatlichen Fonds erfolgen, welcher als Rechte-Agentur die Free-TV-Rechte deutscher Filme verwaltet und vertreibt.Im Rundfunkstaatsvertrag gilt es zu regeln, dass die öffentlich-rechtlichen Sender einen bestimmten prozentualen Anteil ihres öffentlich erhaltenen Budgets (Haushaltsabgabe) für den Ankauf von Lizenzen aus diesem Pool nutzen und die dazugehörigen Sendeplätze bereitstellen. Die Filme würden die Sender selber auswählen, hierdurch bliebe die verfassungsrechtlich gewährte Programmhoheit gewahrt.

Der zweite runde Tisch, dessen Ergebnisse Alfred Holighaus vortrug, hatte sich mit dem Thema Nachwuchs auseinandergesetzt. Er plädiert unter anderem dafür, den Abschlussfilm nicht mehr an ein Format oder eine bestimmte Länge zu koppeln und auch nicht mehr zwangsläufig durch einen TV-Sender finanzieren zu lassen. Zudem soll das Nachwuchssystem so beschaffen sein, dass es auch Autodidakten und Quereinsteigern eine Chance geben solle – etwa durch einen bundesweiten Talentfonds, der prinzipiell allen Antragstellern offenstehe. Und zuletzt sollen neben Kino auch andere Auswertungsformen zugelassen werden.

Zuletzt trug Claudia Dillmann, die frühere Leiterin des DIF, die Thesen und Forderungen zum sehr breit aufgestellten Bereich der Filmkultur vor. In ihnen ging es um die Etablierung der Filmbildung als Unterrichtsgegenstand und Schulfach, das möglichst bereits im vorschulischen Alter begonnen werden solle. Zu diesem Zweck bedarf es auch neuer Formen der Medienpädagogik im Internet und bessere Kooperationen zwischen Kinos und Schulen. Für den Bereich der Kinos soll es zudem mehr Unterstützung für gute Programme geben und mehr Investitionsbeihilfen für Neugründungen und Initiativen und bessere Fördermöglichkeiten für Kinos auf dem Land, wo diese oft die einzigen noch verbliebenden kulturellen Institutionen seien. Zudem ist eine Flexibilisierung der Auswertungsfenster und -möglichkeiten dringend angezeigt (parallele oder zeitnahe VoD-Starts), die freilich nicht ohne Kompensation vonstatten gehen können. Und zuletzt soll die Filmförderung von der Verleihförderung entkoppelt werden, letztere sei zudem auch ausdrücklich für internationale Filme von besonderem Wert zu gewähren.

Bislang sind diese Forderungen und Thesen noch nicht veröffentlicht worden; hoffentlich geschieht dies bald und findet eine große mediale Verbreitung. Denn auch wenn man skeptisch sein mag, ob sie umzusetzen sind, könnten von ihnen doch ein Aufbruchssignal ausgehen, eine Sauerstoffzufuhr, die dem deutschen Film dringend gut täte.
(Anmerkung der Redaktion: Das Ergebnispapier wurde am 19.4. 2018 veröffentlicht, es findet sich hier

© Dirk Hoy

 

Das Ausgesprochene und das Unausgesprochene

Ein Wort zu Edgar Reitz, von dem die Initialzündung zum Kongress ausging: Dessen vier Thesen zur Zukunft des Kinos („1. Der deutsche Gremienfilm hat ausgedient.“ „2. Das Fernsehen muss sich vom Kinofilm komplett zurückziehen.“ „3. Wir brauchen das Kino als Ort der Filmkultur.“ „4. Wir fordern Filmbildung in allen Schulen.“), manchmal in einem fast schwärmerischen Duktus vorgetragen, stießen auf viel Beifall, offenbarten aber auch eine Weltsicht, die nicht mehr ganz auf der Höhe der Zeit zu sein scheint. Hinzu kommt das leichte Befremden, dass ein Filmemacher, dessen größte Verdienste nicht im Bereich des Kinos, sondern des Fernsehens liegen, nun just das System zum Teufel jagen will, das ihm bei seiner Karriere enorm geholfen hat. Seine Glorifizierung des Kinos als Ort der Sammlung, der Stille und der Konzentration liest sich zwar wie ein frommer Wunschtraum, ignoriert aber die alltägliche Realität. Das Kino als Ort des konzentrierten kollektiven Filmerlebens (oder der, wie Edgar Reitz es formulierte, „höheren Bestimmtheit des öffentlichen Daseins in Gemeinschaft mit Anderen“ im Kino) findet sich mittlerweile nur noch in ausgewählten Programmkinos, in den Kommunalen Kinos, auf Festivals und fast nie in den architektonischen Zumutungen namens Multiplex-Kinos.

Und auch die Forderung nach einer umfassenden Filmbildung an den Schulen, die auch vom Panel zur Filmkultur erhoben wurde, erfreut zwar den Filmwissenschaftler in mir, ignoriert aber völlig, dass Filmbildung eine umfassendere Beschäftigung mit verschiedenen Medien sein sollte, um nicht völlig an der Lebensrealität des jungen Publikums vorbeizugehen.

Dabei ist es auch überaus aufschlussreich, worüber auf den Podien und in den Vorschlägen nicht gesprochen wurde: Zum Beispiele über die veränderte Rolle der Filmpublizistik, die mittlerweile im Printbereich immer mehr heruntergeschraubt wird, während sich Online-Publikationen, die seit vielen Jahren die so entstandenen Lücken schließen, kaum finanziell über Wasser halten können. Schade ehrlich gesagt, dass der Beitrag, den der Filmjournalismus in Deutschland für den Erhalt der Filmkultur leistet, so wenig Beachtung findet – von Wertschätzung wollen wir an dieser Stelle schon mal gar nicht reden.

© Klaus Redmann

 

Gesprochen wurde auch nicht – zumindest nicht direkt – über das Publikum. Und erst recht nicht mit dem Publikum. So sehr sich Filmfestivals sonst dafür eignen, mit dem Publikum, diesem unbekannten Wesen, direkt in Kontakt zu kommen, so wenig hatte der Kongress in diesem zentralen Punkt zu bieten: Kein Wort über Audience Development, keine Öffnung des Kongresses nach außen, um so gewissermaßen die vierte Wand zu durchbrechen und in den Zuschauersaal hineinzulauschen und dort einmal genau hinzuhören, was das Publikum denn so denkt. Zugegeben, dies ist nach wie vor eine schwierige Aufgabe und widerspricht zudem dem tendenziell immer gegenwärtigen pädagogischen Impetus, der solchen Diskussionen und Themen auch heute noch anhaftet – getreu der Unterstellung, das Publikum sei in seiner Gesamtheit dumm und unwissend und müsse zum „gutem“ Kino „erzogen“ werden. Wie gut oder weniger gut genau das klappt, kann man wöchentlich an den Kinocharts betrachten.

Die beiden Tage und zahlreichen Diskussionen haben vor allem eines verdeutlicht: Wir leben in einer Zeit des Übergangs. Das Alte ist noch da, spürt aber bereits den Hauch der Veränderung und wehrt sich mit Kräften. Das Neue ist noch nicht manifest in der gegenwärtigen Welt, es ist vielmehr eine Idee, die oft genug als Utopie oder Spinnerei abgetan wird. Und so sind die Veränderungsversuche, die hier formuliert wurden, radikal und zaghaft zugleich, sie bauen auf dem Bestehenden auf, wo doch manchmal eher ein radikaler Schnitt nötig wäre. Weil das Neue nie ohne Schmerzen in die Welt kommt.

Dennoch ist zu hoffen und zu wünschen, dass von dem Kongress ein Signal ausgeht, das Folgen hat: Die Forderungen liegen auf dem Tisch; sie sind konkret genug, um als ernsthafte Diskussionsgrundlage zu dienen und offen genug, um den Akteuren genügend Gestaltungsspielraum zu lassen. Doch nun beginnt die richtige Arbeit, der Kongress war das Vorspiel zu einem langen und steinigen Weg, den es nun zu beschreiten gilt: dem Marsch durch die Institutionen, um die Forderungen Schritt für Schritt einer Realisierung näherzubringen – allen gewaltigen Widerständen zum Trotz. Die Zeit des „weiter so“ ist vorbei.