Bücher

Bücher: Wechselwirkungen

Ein Beitrag von Sonja Hartl

Bei Buch und Film denkt man automatisch an Literaturverfilmungen. Aber Filme und Bücher können noch andere Beziehungen miteinander eingehen. Welche das ist, erzählt Sonja Hartl in ihrer Buchkolumne.

Sehr selten passiert mir im Kino etwas, was ich über alle Maßen liebe: ich schaue einen Film und verspüre spätestens beim Abspann, oftmals aber schon zwischendurch, den unbändigen Wunsch, das Buch zu lesen, das in diesem Film eine Rolle spielt. Das passiert bei ganz klassischen Literaturverfilmungen wie Call me by your name, den ich auf der Berlinale 2018 gesehen habe. Ich weiß noch, wie bezaubert ich von diesem Film war, wie sehr ich wissen wollte, wie viel von der Klugheit dieses Films in dem Buch steckt – und wie das Ausgangsmaterial eines der schönsten Liebesfilme aller Zeiten aussieht. Denn wirklich wundervolle Liebesromane, ohne Kitsch, Klischees und Augenrollen meinerseits, sind eine Seltenheit.

Penguin

Ich denke oft an diesen Moment zurück, weil er rar ist – in diesem Jahr ist mir bei der Berlinale aber ähnliches passiert. Montagmittag, 12 Uhr. Ich saß im Cinemaxx und schaute Josephine Deckers Shirley. Eine vertrauenswürdige Kollegin und erste Reaktionen aus den USA ließen mich auf einen guten Film hoffen – und diese Hoffnung wurde mehr als erfüllt. Filme, die kreative Arbeit und die Bedingungen des Schreibens tatsächlich mit filmischen Mitteln einfangen, sind ungemein selten. Noch dazu ist Shirley Jackson eine hochspannende, komplexe, widersprüchliche, alles andere als einnehmende oder „sympathische“ Figur, hervorragend gespielt von Elisabeth Moss.

Penguin Modern Classics

In meinem Kopf hatte ich sie als Horror-Schriftstellerin abgelegt, das ist nun überhaupt nicht mein Genre. Doch hier saß ich nun und dachte nur, dass ich mehr über diese Frau und ihre Bücher wissen will. Durch diesen Film wurde mir klar, dass ich offenbar zumindest teilweise in eine der typischen Fallen getappt bin – die Genre-Falle, die besagt, dass ein Werk weniger wert/interessant sei, weil es Genre und nicht „richtige Literatur“ (ironisch!) ist. Bei Shirley Jackson kommt dann noch hinzu, dass sie eine Frau ist, die gar nicht in das Weiblichkeitskonzept ihrer Zeit passte. Und dass das Werk einer Frau, die sich öffentlich als „a practicing amateur witch“ bezeichnete, und das noch dazu Genrebezüge hat, von Kritikern allenfalls als mittelmäßig angesehen wird, sollte mir eigentlich klar sein. 

University of Illinois Press

Aber nicht nur Literaturverfilmungen lösen diesen Buch-Impuls bei mir aus. In Steven Soderberghs High Flying Bird gibt ein Agent seinem Rookie-Basketballspieler am Anfang ein Paket und sagt, es sei die „Bibel“. Er werde schon wissen, wann er es auspacken müsse. Immer wieder wird dieses Paket herumgereicht, es ist das große Geheimnis des Films, das erst am Ende enthüllt wird: in ihm steckt das Buch The Revolt of the Black Athlete, veröffentlicht von Dr. Harry Edwards im Jahr 1968. Mir war sofort klar, dass ich es lesen will – und nun weiß ich, dass es die Handlungen des Agenten erklärt. Darüber hinaus aber bringt der Film diesem Buch notwendige und wichtige Popularität – in einer Zeit, in der Schwarze Amerikaner weiterhin um grundlegende Rechte und Zugang kämpfen müssen. Drehbuchautor Tarell Alvon McCraney hat in einem Interview gesagt, dass er mit dem Film Fragen aufwerfen und keine Antworten liefern wollte – er wollte einen Dialog starten. Das beschreibt in erster Linie eine Reaktion auf High Flying Bird, zugleich aber ist es eine Wirkung, die Bücher in Filmen haben können: sie eröffnen einen Dialog, der über den Film hinaus geht. 

Kiepenheuer & Witsch

Das passiert hoffentlich auch bei Die Unbeugsamen von Torsten Körner. Sein Film verschafft einen ersten Eindruck, wie wenig über die Politikerinnen in der BRD bekannt ist. Auch hier entstand bei mir der Wunsch, mehr über sie zu erfahren. Als hätte Körner es geahnt, hat er ein Buch dazu geschrieben, das bereits im Februar erschienen ist. In In der Männerrepublik führt er das Thema noch weiter aus und macht insbesondere auch deutlich, wie Frauen von Presse und Geschichtsschreibung ignoriert wurden bzw. in gängige männliche Narrative von Macht gepresst wurden, die wiederum von den Männern geprägt wurden. Es ist also weit mehr als ein „Buch zum Film“: Es führt das Thema weiter und verweist auf noch weitere Blindstellen.  

Wechselwirkungen von Film und Literatur werden oftmals auf Adaptionen beschränkt. Aber sie können noch viel weiterreichen: sie können Geschichten fortspinnen, sie können am Rand stehende Schriftstellerinnen in den Mittelpunkt rücken. Und sie können dazu anregen, sich nach dem Film weiter mit einem bestimmten Thema zu beschäftigen. 

 

 

André Aciman: Call Me By Your Name. Übersetzt von Renate Orth-Guttmann. dtv 2018 (Filmausgabe). 10,90 Euro.

Shirley Jackson: Hangsaman. 240 Seiten. Penguin Modern Classics 2013. ca. 9,99 Euro

Susan Scarf Merrell: Shirley. A Novel. 276 Seiten. Penguin US 2015. ca. 15,99 Euro.

Harry Edwards: The Revolt of the Black Athlete. 232 Seiten. University of Illionois Press 2018. ca. 19,50 Euro. 

Torsten Körner: In der Männerrepublik. Wie Frauen die Politik erobern. 368 Seiten. Kiepenheuer & Witsch 2020. 22 Euro. 

Bertz + Fischer
The Sound of Fury - Hollywoods Schwarze Liste

Hollywood

Im Jahr 2018 lief in Berlin, Frankfurt und Zürich eine Retrospektive zur „Hollywood Blacklist“, die von Hannes Brühwiler konzipiert wurde. Dazu ist nun ein Buch erschienen, in dem er kundig in das Thema einführt. Dazu kommen weitere Essays, in denen sich beispielsweise Patrick Holzapfel mit der Politisierung von Dorothy Baker beschäftigt und sich Chris Fujiwara mit der Männlichkeit im Film auseinandersetzt. Abgerundet wird das Buch mit exemplarischen Filmanalysen sowie Kurzbiografien der Opfer der Blacklist. 

Hannes Brühwiler (Hrsg.): The Sound of Fury. Hollywoods Schwarze Liste. 280 Seiten. Bertz + Fischer 2020. 25 Euro. 

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