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Josephine Decker hat einen Film über Shirley Jackson gemacht, die von Elisabeth Moss gespielt wird. Da kann doch eigentlich nichts schiefgehen, oder?

Shirley (2020)

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Ein Jahr mit Shirley Jackson

Von den ersten Bildern an verspricht „Shirley“ von Josephine Decker, besonders zu sein. Eigentlich sitzt nur ein junges Paar in einem Zug nach Vermont. Rose (Odessa Young) liest eine Kurzgeschichte im New Yorker, Fred (Logan Lerman) sitzt neben ihr – und sie ist aufgewühlt von dieser Geschichte, sie ist, so wird sie später sagen, von deren Grausamkeit erregt. Dazu sind Bilder zu sehen, die diese Erregung einfassen, sie zeigen Haut, Bäume, Blätter. Dann fasst Rose ihren Mann an die Innenseite der Oberschenkel, sie gehen in ein Abteil, haben Sex und als sich Rose im Spiegel ansieht, hält sie kurz inne. Es ist, als sei sie kurz verschwommen gewesen.

Rose und Fred fahren aus einem Grund nach Vermont: Fred kann für Professor Stanley Hyman (Michael Stuhlbarg) am Bennington College arbeiten, der ihnen außerdem anbietet, dass sie bei ihm und seiner Frau wohnen können. Erst nach ihrer Ankunft verkündet er, dass es außerdem nett wäre, wenn Rose sich um den Haushalt und Hymans Frau kümmern könnte, die Schriftstellerin Shirley Jackson (hervorragend: Elisabeth Moss), die auch The Lottery geschrieben hat, die Kurzgeschichte, die Rose zuvor im Zug so aufgewühlt hat.

Josephine Decker und Shirley Jackson bewegen sich beide zwischen den Grenzen von Einbildung und Realität, die sich niemals genau ziehen lassen. Manches mutete nahezu träumerisch an, alles aber ist sehr intim. Zu dem Zeitpunkt, zu dem insbesondere Rose ein Teil von Shirleys Leben wird, verlässt sie das Haus nicht, sie kann kaum arbeiten. Mit ihrem Ehemann Stanley führt sie eine offene Ehe, obwohl die Eifersucht ihr zu schaffen macht. Oftmals wirkt er grausam, aber Shirley ist mindestens genauso grausam wie er. Sie verstehen und durchschauen einander auf eine Art und Weise, die sich oftmals erst im Nachhinein zeigt. Stanley kümmert sich um Shirley, zugleich aber erstickt er sie auch – und stellt seine Bedürfnisse klar in den Vordergrund. Es ist bisweilen unerträglich, aber auch faszinierend zu beobachten. Denn so sehr Shirley ihren Ehemann auch hassen kann, dennoch fordert sie sein Urteil ein, ja, sie harrt ihm sogar ängstlich entgegen.

Gefährlich ist die Beziehung zwischen Rose und Shirley: Rose scheint all das zu verkörpern, was die Gesellschaft der 1950er Jahre von einer Frau erwartet; dagegen will sie aber vielmehr so sein wie Shirley. Für eine kurze Zeit finden sie ineinander wonach sie beide suchen. Aber es könnte sie auch zerstören. Elisabeth Moss ist großartig als Shirley Jackson, aber auch Odessa Youngs Leistung ist bemerkenswert: Sie ist die Frau, die für alle als Projektionsfläche herhalten muss. Für ihren Ehemann die treue Ehefrau, für Stanley ein Objekt gelegentlicher Begierde und für Shirley eine Art Wiedergängerin der jungen Frau, über deren Verschwinden sie gerade ein Buch schreibt. Jedoch gelingt es Odessa Young stets Roses Persönlichkeit und vor allem Entwicklung deutlich zu machen. Hier fügt sich auch perfekt der Score von Tamar-kali ein, die den einzelnen Figuren musikalische Motive zuordnet. Das wirkt aber niemals aufgesetzt, sondern lässt mit dem Schauspiel, der Ausstattung (Sue Chan, Amela Baksic) und den Bildern des norwegischen Kameramanns Sturla Brandth Grovlen eine klaustrophobisch unheimliche und zugleich betörende Atmosphäre entstehen.

Shirley basiert auf dem gleichnamigen Buch von Susan Merrill und erzählt vom Entstehen von Shirley Jacksons Roman Hangsaman – und dabei ist dieser Film selbst wie ein Roman von Shirley Jackson, fühlt sich hier doch nichts gekünstelt oder zwanghaft biographisch an. Stattdessen kommen Regisseurin Josephine Decker und Drehbuchautorin Sarah Gibbons der Autorin Shirley Jackson sehr nahe: sie zeigen das wenig glamouröse, gelegentlich verwahrloste Leben von kreativen Menschen, sie flechten ein, wie die sozialen und gesellschaftlichen Standards Shirley Jackson beschränkt haben, wie sie gebremst wurde, weil sie eine Frau ist. Und wie klar sie die Grausamkeit des Lebens insbesondere für Frauen gesehen hat.

Shirley (2020)

Eine Horrorschriftstellerin und ihr Mann nehmen ein junges Paar auf und lassen diese bei sich wohnen. Was die allerdings nicht wissen: Sie sollen als Inspiration für das nächste Buch der Autorin dienen. 

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