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Streaming-Tipps

Streaming-Tipp des Tages: Mutzenbacher

Ein Beitrag von Sebastian Seidler

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Filmstill zu Mutzenbacher (2022) von Ruth Beckermann
Mutzenbacher (2022) von Ruth Beckermann

Die grandiose Dokumentaristin Ruth Beckermann reduziert sich in ihrem Mutzenbacher bis aufs Äußerste. Man könnte gar sagen, sie entkleidet den Film und damit die Protagonisten vor ihrer Kamera. Da gibt es nichts, hinter dem man sich verstecken kann. Die Idee ist einfach: Es soll ein Film über Josefine Mutzenbacher — Die Geschichte einer Wienerischen Dirne gedreht werden. Dafür braucht es ein Casting und folglich werden Männer gebeten, es sich auf der Casting-Couch bequem zu machen. Sie sollen Passagen aus dem 1906 anonym erschienen und immer wieder Felix Salten, dem Autor von Bambi (ausgerechnet!) zugeschrieben Werk vorlesen und diskutieren. Dieser Roman ist reinste Pornografie. In Deutschland wurde das Werk erst 2017 von der Liste jugendgefährdender Schriften gestrichen. Immer noch ist man irritiert vom missbräuchlichen Charakter der Erzählung und dem jungen Alter der Protagonistin (deren Erinnerungen setzen im Alter von fünf Jahren ein und reichen bis zum 14. Lebensjahr). Noch heute reichen die vorgelesenen Passagen sexueller Erinnerungen aus dem Buch völlig aus, um selbst gestandene Kerle in deutlich sichtbare Verlegenheit zu bringen.

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Da sitzen sie nun, die Männer. Ganz unterschiedliche Typen. Alle lesen sie vor, was in seiner Performativität an sich schon eine Vorführung ist: Der männliche Blick, die Stimme der blinden Geilheit, wird hier verdoppelt. Mitunter reden sie sich dann um Kopf und Kragen. Gerade weil Ruth Beckermann dem ganzen eine spielerische Leichtigkeit gibt, lauert der Abgrund in allen Winkeln der Bilder. Wie geht man damit nun um? Hat sich etwas geändert? Oder sind Männer eben Männer und damit Tiere? Und so fantasieren, gestehen, beichten und schwadronieren die Kerle und Mannsbilder über das, was geil macht, über angebliche oder tatsächliche erotische Erlebnisse, über Coming-outs und verpatzte Abenteuer, vermeintlich über ein Buch und doch vor allem über sich.

Keine leichte, aber eine notwendige Kost.

Mutzenbacher gibt es auf MUBI zu sehen.

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