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Couchperle: Cem Kaya – Liebe, D-Mark und Tod

Ein Beitrag von Mathis Raabe

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Filmstill zu Liebe, D-Mark und Tod (2022) von Cem Kaya
Liebe, D-Mark und Tod (2022) von Cem Kaya

Popkultur und türkische Identität sind die Themen des Dokumentarfilmers Cem Kaya. Mit Found Footage, das aufzutreiben oft eine echte Sammleraufgabe, ja geradezu archivarische Arbeit ist, bringt er seinem Publikum Themen näher, die von der deutschen Mehrheitsgesellschaft unterbeleuchtet sind.

Schon seine Uni-Abschlussarbeit Do Not Listen! (2005) ist eine Gegenüberstellung von Der Exorzist und dem türkischen Remake, um nicht zu sagen Rip-Off Şeytan. In Remake, Remix, Rip-Off (2014) widmete Kaya sich dann umfassend dem Phänomen Yeşilçam. So heißt die Phase der türkischen Filmgeschichte zwischen 1950 und 1990, als viele günstig produzierte Kopien von Filmen aus anderen Ländern entstanden. Denn Der Exorzist kam nun mal leider in der Türkei nicht ins Kino, und übers Copyright wurden sich zu dieser Zeit nur wenige Gedanken gemacht. Im italienischen und spanischen Kino gab es ähnliche Tendenzen.

Yeşilçam ist aber ein besonders faszinierender Fundus, gibt es doch Filme, in denen Captain America und der mexikanische Luchador El Santo zusammen gegen einen bösen Spider-Man kämpfen (3 Dev Adam), eine homosexuelle Version von E.T. (Homoti) oder ein Star-Wars-Rip-Off, das so skurril ist, dass es unter dem Titel Turkish Star Wars zum Internetphänomen avancierte.

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Remake, Remix, Rip-Off präsentiert nicht nur all diese Skurrilitäten, sondern auch Interviews mit den türkischen Regisseuren der Zeit, die mit charmanter Selbstverständlichkeit von ihren unkonventionellen Produktionen berichten, die wie am Fließband entstanden — mit wenig Geld, aber viel Einfallsreichtum. Der Film ist fürs Heimkino aktuell leider schwer erhältlich. Drop-out Cinema vertreibt die Kinorechte.

Cem Kayas jüngster Film Liebe, D-Mark und Tod ist dagegen leicht zu finden. Er wurde auf der Berlinale 2022 zu Recht mit dem Panorama-Publikumspreis ausgezeichnet und ist nun bei MUBI erschienen. Der Film ist ein essayistisches Lehrstück über die Musik der türkischen sogenannten Gastarbeiter, die Gurbetçi-Lieder, die auf Kassette tausendfach verkauft wurden, jedoch nur innerhalb der Community bekannt waren. In diesen Liedern wird von Heimweh gesungen, über die Frau in der Türkei, die man vermisst, und die Anfeindungen, die man in Deutschland erlebt. Auch rassistische Gewalt spart der Film nicht aus, vor allem den Mordanschlag von Solingen, bei dem 1993 Rechtsextreme ein Zweifamilienhaus anzündeten, was fünf Menschen türkischer Abstammung das Leben kostete. Schließlich zieht der Film noch einen Faden durch die Pop-Musik der zweiten und dritten Generation in Deutschland bis hin zu aktueller Rapmusik.

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Vor allem ist Liebe, D-Mark und Tod aber eine Feier dieser Musikszenen, voller Bilder tanzender Massen auf Hochzeiten und anderen Partys und voll fantastischer, viel zu unbekannter Musik. Als bei der Berlinale-Premiere des Films einige der Stars der Vergangenheit auftraten, etwa die „Nachtigall von Köln“ Yüksel Özkasap, gab es dafür tosenden Applaus – die Community hat sie noch nicht vergessen. Wer sie noch nicht kannte, wird aber nach der Sichtung erst recht Zeit bei Spotify verbringen. Durch den Einsatz des Musikduos AYKU, das erst letztes Jahr die Compilation Songs of Gastarbeiter Vol. 2 veröffentlichte, kann man dort inzwischen tatsächlich viele Gurbetçi-Lieder finden. Sie leisten ebenso wie Cem Kaya und sein Film einen großen Beitrag zu einer reicheren Kulturgeschichtsschreibung in Deutschland.

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