zurück zur Übersicht
Kommentar

Schnittwechsel: Christopher Nolan

Christopher Nolan: Dieser Name steht für großes, bombastisches Kino mit Köpfchen. Oder etwa nicht? Christian Neffe und Sebastian Seidler sind geteilter Meinung.

Meinungen
Christopher Nolan am Set von Dunkirk
Christopher Nolan am Set von Dunkirk

So, so clever … not!

Durchatmen. Das habe ich mir vorgenommen. Noch bevor ich mich an die Tastatur gesetzt habe. Es gibt wenige Filmemacher*Innen, die mich so sehr aufregen wie Christopher Nolan. Es gibt viele Filme, die mir schlichtweg egal sind, so schlecht, dass es mich gar nicht weiter kümmert. Bei den Filmen des britischen Regisseurs ist es anders. Denn es ist nun wirklich nicht so, als würde es sich bei The Dark Knight oder Interstellar um durch und durch gescheiterte Filme handeln. Vor allem dem Frühwerk – Memento und dem unterschätzten Insomnia – kann ich sehr viel abgewinnen. Dann aber wird es kompliziert.

Externen Inhalt ansehen?

An dieser Stelle möchten wir Ihnen ein externes Video von YouTube präsentieren. Dafür benötigen wir Ihre Zustimmung in die damit verbundene Datenverarbeitung. Details in unseren Angaben zum Datenschutz.

Zustimmen und ansehen

Jeder Film von Nolan hat diese großartigen Szenen, für die man ihn liebt. Momente, die kaum ein anderer im Kino der Gegenwart so grandios zu inszenieren weiß: die rotierenden Hotelgänge in Inception oder die Entführung des Wissenschaftlers am Anfang von The Dark Knight Rises, bei der ein Flugzeug in der Luft auseinandergenommen wird. Da sitzt man im Dunkel des Kinosaals und ist vollkommen überwältigt, und verflucht, auch mein Herz jubiliert und will diesen Regisseur umarmen. Dumm ist nur, dass dieses Versprechen von Magie dann nicht eingelöst wird: Nolan ist schlichtweg zu verkopft und kann sich nicht dazu durchringen, dem Publikum die komplexen Geschichten, die er oftmals mit seinem Bruder ausheckt, auch zuzumuten. Die Dramaturgie seiner Filme, die Figurenzeichnung und die Dialoge, das ist alles unglaublich didaktisch, träge und einfach nicht gut. Alles ist immer so gebaut, dass es für die Zuschauer*Innen funktioniert. Da kann man sagen: Ja, Kino ist eben Unterhaltung und somit sollte man eben das Publikum mitnehmen. Auch wenn ich anderer Meinung bin und glaube, dass ein Film erstmal für sich selbst stehen muss, gibt es elegantere Wege, als die Figuren durch ein Labyrinth aus technischen Erklärdialogen zu treiben. 

Die gesamte erste Hälfte in Interstellar besteht aus solchen künstlichen Sätzen. Michael Caine ist dabei der Lieblingsschauspieler. Seine Figur des Butlers in der Batman-Trilogie ist nur dazu da, die innere Zerrissenheit von Bruce Wayne aus den Tiefen der Innerlichkeit hervorzuholen: Master Bruce, manche Menschen wollen die Welt einfach brennen sehen. Der Film ist übervoll mit solchen Sätzen, bei denen das Drehbuch scheppert und die Zunge aus Papier am Gaumen festzukleben droht. Die Handlung gerät ins Stocken, alles wird zu einem künstlichen Innehalten in der Überdeutlichkeit: Sei traurig! Denke nach! Gehe in dich! Nolan will das Publikum vollkommen an die Hand nehmen, nichts dem Zufall überlassen. 

Tenet: Immer sauber rasiert durch die Zeit. © Warner Bros.

Dies scheint mir auch der Grund für ein zweites Problem zu sein: Nolans Figuren sind Zahnräder in den Geschichten, die nur erzählt werden, um eine Idee zu bebildern: Bei The Dark Knight ist es die Spiegelung des Batman im Joker; bei Inception sind es Traum-im-Traum-Welten. So erhalten die Filme kaum einen Raum, um zu atmen. Oder anders gesagt: Die Filme wirken kühl und distanziert, wie eine Maschine oder eine Reihe aus Dominos, die dann vor unseren Augen umfällt. Der einzige Film, in dem das vollkommen aufgeht, weil es zum Konzept passt: Tenet. Auch hier gibt es seltsam gespreizte Erklärdialoge. Aber die leeren Figuren, die ohnehin nur eine Wiederholung der Wiederholung zu sein scheinen, passen in diese künstliche Welt der Zeitmanipulation. Ausgerechnet dieser Film kam dann bei der Mehrheit nicht besonders gut weg. Vielleicht muss ich nochmal in mich gehen. Fest steht: Zwischen mir und Nolan bleibt es kompliziert.

von Sebastian Seidler

Nolan liebt das Kino

Ich befinde mich hier in der deutlich gefälligeren Position als mein Kollege Sebastian Seidler, denn ein Loblied auf Christopher Nolan zu schreiben, entspricht wesentlich mehr der breiten Meinung als die Gegenposition. Ich könnte mich also fein ins gemachte Nest setzen, von den etlichen Wow-Momenten in seiner Filmografie schwärmen oder mich einfach darauf berufen, dass Nolan zu einer Handvoll Regisseure gehört (neben Quentin Tarantino und Steven Spielberg vielleicht), deren Namen mehr als nur zehn Prozent des breiten Kinopublikums bekannt sind.

Der Grund für meine (Hoch-)Achtung vor ihm liegt jedoch woanders: Christopher Nolan liebt das Kino. Das behaupten zwar auch andere Regisseur*innen von sich, doch wo etwa Tarantino immer tiefer in einen (selbst-)referenziellen Film-Nerd-Kosmos abdriftet und Martin Scorsese (trotz aller Qualitäten) nicht wegzukommen scheint von den großen (und viel zu langen) Kriminal-Epen, da lotet Nolan mit jedem Film neue Ansätze und Ideen aus, setzt diese mit möglichst viel echtem 70mm-Handwerk um – und konzipiert sie nicht nur für die große Leinwand, sondern pocht auch darauf, dass sie dort zu sehen sind.

Man erinnere sich an Tenet: Als der 2020 erschien, konnten die Kinos hierzulande nur einen Bruchteil der Plätze besetzen. Trotzdem machte sich Nolan für einen regulären Kinostart stark, lieferte uns damit einen der wenigen Blockbuster des Jahres – und brach kurz darauf mit seinem Stammstudio Warner, mutmaßlich weil die Verantwortlichen im Zuge einer neuen Veröffentlichungsstrategie beschlossen, seine Filme nun schon kurze Zeit nach dem Kinostart auf dem hauseigenen Streaming-Dienst HBO Max zu veröffentlichen.

Externen Inhalt ansehen?

An dieser Stelle möchten wir Ihnen ein externes Video von YouTube präsentieren. Dafür benötigen wir Ihre Zustimmung in die damit verbundene Datenverarbeitung. Details in unseren Angaben zum Datenschutz.

Zustimmen und ansehen

 

Noch mehr als dieser wirtschaftliche Aspekt ist es jedoch der künstlerische. Nolan bedient eine Spielart des Kinos, die im Zeitalter der Franchises, der zunehmend banaleren Comic-Verfilmungen, der Reboots, Remakes und Prequels immer kleiner wird: der Blockbuster mit Niveau ( vielleicht sogar der „Arthouse-Blockbuster“?). Seit Batman Begins zieht er seine Filme groß auf, kreiert immer wieder noch nie gesehene Bilder, lässt sein Publikum stets staunend zurück. Interstellar, Inception, Tenet – all diese Filme bieten Momente, Szenen, Ideen, die man so noch nicht gesehen hat und vermutlich auch nie wieder sehen wird. Das ist einerseits bombastisch-überwältigendes Effektkino – andererseits unterfüttert mit einem (gern auch mal zu) komplexen Skript, weshalb sich seine Filme im Gegensatz zu so vielen anderen Blockbustern nicht einfach im Rausch der Banalität verlieren, sondern nachhallen.

Dieser Ansatz mag seine Probleme haben und das Ergebnis beileibe nicht immer vollends überzeugen. Auch ich störe mich an Nolans Erklärbäritis (weshalb ausgerechnet der hochgelobte Inception für mich sein schwächster Film ist). Nolan ist auch wahrlich kein guter Action-Regisseur. Doch dass er seinem Publikum zu wenig zumutet, wie es der Kollege Seidler empfindet, dem möchte ich vehement widersprechen. Sein ausuferndes Erklären von Konzepten, Ideen und Plots mag nicht der viel gepflegten Kunstfilm-Tugend entsprechen, einfach bedeutungsschwere Bilder aufzumachen und sämtliche Deutungs-Verantwortung auf die Zusehenden auszuschütten. Es entlastet aber auch keinesfalls von eigener kognitiver Arbeit, sondern fordert, ganz im Gegenteil, sich tief hineinzudenken. Man will dem Plot nicht nur folgen, man will ihn auch verstehen – dazu fordern Nolans Filme geradezu auf. Denn auch wenn viel erklärt wird, so bleiben doch immer noch mehr als genug Lücken (oder auch mal Widersprüche, schließlich geht nicht immer alles vollkommen auf). Und nein, damit meine ich nicht nur den vermaledeiten Kreisel.

Kurzum: Es gibt wenige Filmemacher*innen, vor denen ich so viel Respekt habe wie vor Christopher Nolan.

von Christian Neffe

Meinungen