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Kolumnen

Vergangenheit, Zukunft das Ringen um die Welt

Ein Beitrag von Beatrice Behn

Das Jahr 2017 ist ein politisches Wendejahr, in dem sich klar zeigt: große Teile der westlichen Welt schauen lieber zurück in die 1940/50er Jahre und sehnen sich die Fantasie von früher herbei. Eine gefährliche Idee, die auch im Kino zu sehen ist. Doch zum Glück gibt es eine Gegenbewegung.

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Demonstration gegen Trump
Demonstration gegen Donald Trump

Das Jahr 2017 erscheint mir persönlich als ein Wendejahr. Im Guten wie im Schlechten. Es ist das Jahr, in dem ein hasserfüllter, ignoranter Mann wirklich Präsident geworden ist und seinen Wahnsinn, seinen Narzissmus, Rassismus und Frauenhass in die Welt getragen und normalisiert hat.

Die Grenzen haben sich so schnell verschoben, dass inzwischen niemand mehr zuckt, wenn man Donald Trump tatsächlich mit „Präsident“ anreden muss. Erinnert ihr euch an voriges Jahr? Als alle dachten, dass es nichts gibt, was mehr nach Idiocracy klingt als „Präsident Trump“?

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President Camacho`s State of the Union

Aber Trump ist nur das offensichtlichste, größte, orangefarbenste Symbol für all das, was zurzeit passiert. Fakt ist, ein Teil der Bevölkerung der westlichen Welt schaut nicht nach vorn, sondern zurück. Denn früher, so wird konstatiert, war alles besser. Dieses „Früher“ befindet sich oft in einer imaginierten, beschönigten Idee der 1940er/1950er Jahre. Egal ob Trump und seine Fans, ob AfD oder FPÖ, ob NationalistInnen oder Brexit-BefürworterInnen, sie alle schauen zurück. Dieses nostalgische Sehnen ergießt sich in vielen kleinen und großen Retro-Mechanismen. Und im Kino sah man es dieses Jahr auch. Unabhängig davon, dass Remakes und andere Aufgüsse seit Jahren das go to großer Studios sind, schwappte eine unglaubliche Nostalgie-Welle in unsere Kinos, die vor allem eines mit sich trug: den Konservatismus. Und dieser ist im Kern männlich, weiß, heterosexuell und gern christlich angehaucht. Aber da ist noch mehr. In all diesen Filmen ist eine Emotion hyperpräsent: die Angst. So schwelgt man in Alien Covenant in einer Melange aus dem Original und dem Rest Prometheus — Dunkle Zeichen, den Ridley Scott noch unterbringen musste, in einer Welt aus Ehepaaren, die von dem Außerirdischen, dem Anderen, dem Unbekannten erledigt werden, einem Sigourney-Weaver-Abklatsch, der sich selbst kaum retten kann, und der Anbetung der Michael-Fassbender-Maschine. In Blade Runner 2049 darf man sich durch retro-futuristische Welten bewegen, in denen Männer nostalgisch von früher erzählen und sich danach sehnen, mehr Macht zu haben, während die Frauen gebären und geben, leiden, sterben und nie menschlich wurden, warten, gefangen sind und nackt. Vor allem gerne nackt.

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Blade Runner 2049 — Digital Clip „Special“

Da fahren wir lieber im Zug der völligen Realitätsentfernung in die 1930er Jahre in Mord im Orient Express und ignorieren aus Nostalgie-Gründen dann auch den Fakt, dass dort Johnny Depp erneut gutes Geld verdient, nachdem er keinerlei Schaden aus der Affäre um ihn und Amber Heard genommen hat. Im Gegensatz zu Amber Heard. Oder wir sehen dabei zu, wie Private Desmond Doss zur Jesusfigur hochstilisiert wird, der mit seinem Glauben die Amerikaner in Hacksaw Ridge — Die Entscheidung zum Ziel führt. 

Aber es ist nicht nur das Mainstream-Kino. Der Arthouse-Bereich ist ebenfalls voll mit diesen Filmen. Suburbicon imaginiert sich die 1950er Jahre in cooler Coen-Brüder-Manier, deren Überzogenheit trotzdem ihren Kern zelebriert, während ein Haus weiter das Leiden einer afroamerikanischen Familie von den Hauptfiguren und dem Regisseur ignoriert bzw. billigend in Kauf genommen wird. Und Matt Damon fungiert hier gleich im Doppelpack, denn in Downsizing entscheidet er sich auch für ein neues Leben, das zwar futuristisch klingt, aber eigentlich eine Rückkehr in den 1950er-Jahre-Konservatismus ist. Und auch hier bemerkenswert, wie homogen diese Welt ist. Es gibt people of color nur als Putzfrauen oder eine von einem weißen Mann zu rettende Frau, alle anderen sind weiß. Und jeder, absolut jeder in dieser neuen kleinen Welt ist cis-hetero. Devianzen: Fehlanzeige. In La La Land zelebriert man ebenfalls diese Zeit und Welt, nur in der Hollywood-Version, in der man so viele Freiheiten hatte und die Welt so einfach war. Vorausgesetzt, man war ein weißer Mann. Da durfte man noch leidend am Klavier stehen wie einst Humphrey Bogart und jetzt Ryan Gosling und das eigentlich Leid der Frauen, der afroamerikanischen Mitmenschen als nette Hintergrundmusik erachten. Play it again, Sam.

Das sind sie, die Welten und Ideen des Retro-Kinos, das dieses Jahr geprägt hat, und diese Welten und Ideen korrespondieren stark mit so mancher politischen Idee davon, wie unsere Gesellschaft aussehen soll. Doch diese Fantasiewelten sind vor allem geprägt von den Leerstellen. Von den Dingen, den Ideen, den Menschen, die dort nicht stattfinden. Von Frauen, von queeren Menschen, von trans* Menschen, Nicht-Weißen, Nicht-Christen, Menschen mit Beeinträchtigungen, von Menschen, die man dieses Jahr vor allem dort sah, wo Proteste waren, wo Dissens herrschte, wo man für Demokratie und Pluralität kämpfte. Und oft auch ums nackte Überleben. Und den cineastischen Göttern sei Dank, auch das Kino hat diese Stimmen hervorgebracht. Was wäre das Jahr 2017 beispielsweise ohne Get Out?

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Die Eröffungsszene von Get Out

Jordan Peeles Horrorfilm spielt zwar in der Jetzt-Zeit, doch wir erinnern uns alle an die Garten-Party auf der Chris (Daniel Kaluuya) Logan (Keith Stanfield) begegnet. Diese Party, auf der die beiden die einzigen Nicht-Weißen sind, ist eine regelrechte Zeitmaschine in die 1950er Jahre. Wie sich bald herausstellt mit Absicht, denn die Gäste sehnen sich nach einem Früher, auch wenn sie jetzt gern die neue Technik nutzen, um sich afroamerikanische Körper im wahrsten Sinne des Wortes einzuverleiben. Peeles Film trifft ganz genau den ideologischen Kern dieser Retro-Manie. Kein Film dieses Jahres vermag ein besseres Bild, eine bessere Metapher für die Retro-Wende geben. Wo Get Out den Finger in die Wunde legt und so sehr den Kern trifft, dass der Regisseur mit seiner ironischen Aussage, es handle sich hier um einen Dokumentarfilm, in gewisser Weise recht hat, da versuchen andere einen weiteren Weg des Widerstands. Die Vergangenheit schönzureden heißt Geschichte selektiv betrachten und sie verändern. Aus Geschichte werden Geschichten und diesen muss man sich entgegenstellen. Indem man die vergessenen, verdrängten, ignorierten Teile der Geschichtsschreibung wieder sichtbar macht. So wie die Errungenschaften der drei afroamerikanischen Wissenschaftlerinnen in Hidden Figures — Unerkannte Heldinnen, die so vergessen sind wie der Kampf um Liebe und das Recht auf Heirat in Loving. So wie Billie Jean Kings haarsträubender Geschlechterkampf in Battle of the Sexes — Gegen jede Regel, so wie der Kampf um das Frauenwahlrecht in der Schweiz, den Die göttliche Ordnung wieder aufgreift. Oder so wie Mudbound dem Desmond Doss‘ der Filmwelt einen Ronsel Jackson (Jason Mitchell) entgegenstellt. Es sind Filme, die daran erinnern, dass es noch nicht lang her ist, dass die rudimentärsten Rechte nicht selbstverständlich waren, und die auch zeigen, wie weit der Weg zur Gleichberechtigung noch ist, vor allem in Zeiten solch stark konservativer Kräfte. Denn vergessen wir nicht, dass wir mit Wonder Woman erst dieses Jahr, 2017, unser erste Superheldin in einer Hauptrolle hatten. Und selbst diese muss sich durch die Retro-Welt der 1910er Jahre quälen, die bestimmt ist von Weißheit und Männlichkeit. Und ihre ErfinderInnen, Professor Marston and the Wonder Women durch die 1940er Jahre, in denen sie als polyamouröse Gruppe ebenfalls nicht willkommen waren.

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Szene aus Professor Marston and the Wonder Woman

Spannend, dass das Kino hier einen geschichtlichen Gegenkanon präsentiert, der erinnern will an die Vielfältigkeit der Vergangenheit. Und auch an ihre Gewalt und ihren Hass. Spannend auch, dass diese Filme vor allem von Menschen gemacht werden, die selbst in der Filmindustrie nur marginal eine Rolle spielen: Frauen und nicht-weiße Männer. Ob im Kino oder der echten Welt, die Gesellschaft ringt darum, ob sie sich alsbald in die Vergangenheit wendet oder eine Zukunft sucht und das Kino spiegelt diesen Kampf wider. Nicht umsonst ist 2017 das Jahr, in dem La La Land als Sieger ausgerufen wurde und Moonlight dann doch den Oscar gewann. Aber wer gewinnt 2018?

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