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Die "Alt-Right“ gegen das Kino

Ein Beitrag von Lucas Barwenczik

Meinungen
Terminator Genisys

Hört man nicht allzu genau hin, könnte man Unconscious Cinema zuerst einmal für einen der zahllosen Filmpodcasts halten, in denen Interessierte aus aller Welt über das Kino plaudern. Die Aufnahme wirkt ein wenig amateurhaft und übersteuert gelegentlich, die Diskussion schweift ab und verliert sich in Anekdoten — alles nicht außergewöhnlich für das Medium.  Bemerkenswert ist vor allem, wer da am Mikrofon sitzt und James Camerons Terminator-Filme neu interpretiert: Niemand anderes als Neonazi Richard Spencer, eine der Schlüsselfiguren jener neuen amerikanischen Rechten, die er selbst als „Alt-Right“ bezeichnet; als radikalere „Alternative“ zum Mainstream-Konservativismus.

Spätestens seit dem Wahlkampf von Donald Trump gilt diese oft etwas vage definierte politische Strömung — meist beschrieben als eine Mischung aus Rassismus, Anti-Semitismus, Rechtspopulismus und White Nationalism, ihre Ideen hinter einer libertären Interpretation von Meinungsfreiheit versteckend — als bedeutsame Kraft in Amerika. Zuletzt warf auch ihre tödliche Gewalt bei einer Demonstration in Charlottesville ein Schlaglicht auf die Gefahr, die von der Bewegung ausgeht. Mit ihrer verstärkten Präsenz in der allgemeinen Wahrnehmung und im öffentlichen Raum geht auch das Bedürfnis einher, die Alt-Right zu verstehen: Ihre Ziele, Werte und Ideen. Die Herbstkataloge der amerikanischen Verlage sind voll von Sachbüchern über die Alt-Right, Nachrichtenseiten und Magazine ohnehin. 

Die heterogene Gruppe entstand vor allem Online, erwuchs in Teilen aus sozialen Medien und Internetgemeinden wie 4chan oder reddit. Ihre Affinität zur Netzkultur ist umfassend dokumentiert und eine wichtige Facette ihres Gründungsmythos, in Form von kuriosen Subkultur-Schlagwörtern wie dem Great Meme War bildet sie den Kern des Selbstverständnisses als postmoderne Anti-Establishment-Bewegung. 

Doch wie sieht es mit der Haltung der Alt-Right gegenüber anderen Medien und Kunstformen aus? Wer ganze Nationen und sogar die Gesellschaft an sich nach seiner Weltanschauung umgestalten will, der kommt nicht ohne eine eigene Ästhetik aus, mit der man das eigene Schaffen als Schön und Gut, das der kulturellen Gegner aber als hässlich und verkommen deklarieren kann. Es bedarf einer soft power, wie sie Politikwissenschaftler Joseph Nye mit Bezug auf Nationalstaaten definierte, also einer kulturellen Attraktivität. Gibt es eine Literatur der neuen Rechten? Eine Musik? Ein Kino gar?

Die „Alt-Right“ mag Identitätspolitik betreiben, doch mit den alten konservativen Idealen wie der vielbeschworenen „abendländischen Kultur“ ist ihr Bezugsrahmen nur unzureichend erfasst. Spencer mag Wagner hören und Nietzsche zitieren, doch in seinem Umfeld wirkt er damit fast wie ein Atavismus. So, wie Aussagen der Gruppierung oft auf eine Unangreifbarkeit durch ironisch-satirische Verschleierung abzielt — wir meinen das nicht ernst, wir sind nur Trolle, oder vielleicht doch nicht? — ist auch ihre Haltung zur Kultur von einem postmodernen Spieltrieb durchzogen. Ein antiethischer Nihilismus tarnt sich als post-ideologisch und damit wertneutral, ein netztypischer Eklektizismus verknüpft disparate und oft sogar widersprüchliche Vorstellungen und Gruppierungen.

In seinem Aufsatz The Aesthetics of the Alt-Right identifiziert M. Ambedkar (gefiltert durch die Linse von Umberto Ecos Vorstellung des Urfaschismus) verschiedene Charakteristika der „Alt-Right“: Eine kultische Verehrung von Tradition und Maskulinität, ein Angst vor dem Anderen, Feindseligkeit gegenüber parlamentarischer Demokratie, ein Glaube in (Kampf-)Handlung als Selbstzweck und die quasireligiöse Überhöhung der Technologie zum Werkzeug, mithilfe dessen die eigenen Utopien verwirklicht werden können. Er teilt die „Alt-Right“ in die Gruppen „White Nationalists“ (wie etwas das rechtsgerichtete Nachrichtenportal The Daily Stormer), „Ökonomische Nationalisten“ (Donald Trump, Breitbart), „Esoteriker und Spiritualisten“ und — das ist entscheidend — „szientistische, akzelerationistische, libertäre und transhumanistische“ Strömungen. 

Das Kino kommt in seinem Text nicht vor. Das ist nur konsequent, denn von zentraler Bedeutung ist es für die „Alt-Right“ gewiss nicht. Hollywood gilt dieser neuen amerikanischen Rechten als liberale Hochburg und gerade extreme Gruppen verweisen oftmals auf eine angebliche „jüdische Kontrolle“ von Filmstudios. Immer wieder trifft man bei der „Alt-Right“ auf die These, das Kino an sich wäre ein überholtes, sterbendes Medium, Teil des linken Establishments. So schreibt ein Autor auf altright.com vom „Tod des Kinos für die steigenden Fluten der Nationalisten“ und beschreibt die Kunstform als inhärent „negativ eingestellt gegenüber der westlichen Zivilisation“. Eine Zukunft wird dem Kino nur gefiltert durch das „Medium des Internets“ attestiert.  

Auch wenn etwa Steve Bannon seine Karriere mit der Produktion von Filmen begann, und mit Filmemachern wie Dinesh D`Souza gewiss ein rechtes Agitprop-Kino existiert, neigt die neue Rechte also eher zu Okkupation und Umdeutung von Bestehendem als zur eigenständigen Schöpfung. 


(Filmstill aus 300; Copyright: Warner Bros. GmbH)

Sicher: Es gibt zahllose Filme, in denen sie ihre eigenen Überzeugungen gespiegelt zu finden glaubt. Da die „Alt-Right“ in letzter Konsequenz abstrakten, utopischen Zielen entgegen arbeitet, etwa einem Ethnostaat, der sich in einer globalisierten Welt mit komplexer Sachlage kaum umsetzen lassen wird, sind es oftmals Fantastik und Science-Fiction, die sie ansprechen; selbstkreierte Mythen wie der fiktive Staat Kekistan oder bestehende Fantasy-Welten wie jene von Herr der Ringe oder 300, die klar definierte „Rassen“ in heroischen Kämpfen gegeneinander senden. Auch Kriegs- und Actionfilme oder Western mit traditionellen Rollenbildern und starken männlichen Heldenfiguren dienen ihnen als Ermächtigungsfantasie. Auf der rechten Nachrichtenplattform Breitbart sehnt sich Autor Leo Grin nach „Ronald Reagan und dem optimistischen Kino der 1980er“. Ein Artikel auf altright.com mit dem Titel If You Want Free Speech, Get Rid Of Democracy wird mit einer stilisierten Aufnahme von John Carpenters They Live bebildert, jede Darstellung eines Verblendungszusammenhangs wird zur „jüdischen Verschwörung“ umgedeutet. Auch Metaphern wie die „rote Pille“ aus Matrix von den Wachowski-Schwestern werden zweckentfremdet. 

Doch schlussendlich ist den Schöpfern von Memes und YouTube-Videos, bewussten und unbewussten Verfechtern aller dem Internet eigenen Ideologien, das Kino zu behäbig. Die Terminator-Filme beschreibt Richard Spencer im bereits erwähnten Podcast als „tech-noir masterpieces“ und deutet sie als Geschichte eines zukünftigen Holocausts, mit dem „Arier“ Arnold Schwarzenegger als mechanischem Übermensch, der aus der Zukunft kommt, um die „Juden“ Kyle Reese und Sarah Connor zu bekämpfen. Seine Begeisterung ist leicht erklärbar, ganz unabhängig davon, wie man Camerons Sci-Fi-Geschichten selbst deutet: Die Verschmelzung des archaischen, hypermaskulinen Muskel-Barbaren mit den technologischen Möglichkeiten der Skynet-Schwarmintelligenz ähnelt dem Selbstverständnis der Bewegung, die im gleichen Maße zwischen Onlinepräsenz und physischer Präsenz (wie in Charlottesville) oszilliert. Auch als Projektionsfläche für ihre Vorstellung von einem hybridisierten Internet-Kino ist der Terminator bestens geeignet. 

„Der Krieg ist schön, weil er die erträumte Metallisierung des menschlichen Körpers inauguriert.“, schrieb Schriftsteller Filippo Tommaso Marinetti ganz passend dazu in seinem Manifest des Futurismus von 1909. Für das Kulturmagazin aeon zeigte die Autorin Marina Benjamin die Ahnenlinien zwischen der heutigen „Alt-Right“ und dem italienischen Futurismus des frühen 20. Jahrhunderts auf: Es verbindet sie die gemeinsame Verachtung des Schwachen und Natürlichen (man könnte auch sagen: des Menschlichen), ein durchdringender Anti-Intellektualismus, eine offen frauenfeindliche Hypermaskulinität, eine Sehnsucht nach starken Anführern und eine Fetischisierung von Technologie, Geschwindigkeit, Luft- und Weltraumreisen und Krieg. Die Verbindung zwischen Krieg und Kino, die der französische Philosoph und Medienkritiker Paul Virilio in seinem gleichnamigen Buch attestierte, scheint den neuen Futuristen nicht mehr auszureichen; das Kino ist ihnen zu langsam, nicht mehr fähig zu jener politischen und kulturellen Disruption, mit der sie gegen „das System“ antreten wollen.

Für Teile der Kritik ist die Kategorisierung eines Films als „Alt-Right-Kino“ heute als scharfer Angriff zu verstehen. Gemeint ist ein Kino, welches die Werte und Ideen der neuen Rechten verkörpert. In den sozialen Medien wurde etwa der Trailer zu Eli Roths Remake des Rache-Thriller Death Wish (hierzulande vertrieben als Ein Mann sieht rot) als faschistische Rachefantasie gewertet. Das ist einerseits äußerst fragwürdig, weil sich die Aussagen nicht auf den vollendeten Film bezogen. Darüber hinaus ist es einfach zu kurz gedacht. Ebenso wichtig wie die Ablehnung des existierenden Konservativismus ist für die „Alt-Right“ die Ablehnung bestehender Medienformen. In Kill All Normies: From 4chan and Tumblr to Trump and the Alt-Right beschreibt Autorin Angela Nagle eine anti-ethische Bewegung, die nicht überzeugen will, sondern lediglich provozieren und zerstören. Notwendige Voraussetzung für ihre Strategien sind Chaos, Gleichzeitigkeit, Überforderung und die Geschwindigkeit und Zerstückelung von Inhalten des Internets. Marshall McLuhans Thesen beweisen ihre Langlebigkeit, auch hier gilt: The medium is the message. Natürlich gibt es immer wieder filmische Versuche, die Logik fehlender Aufmerksamkeit und stets auf neue versiegender Präsenz abzubilden, etwa Isiah Medinas 88:88. Doch außerhalb des Avantgarde- und Experimentalfilms sind diese Versuche selten und noch seltener erfolgreich. 


(Filmstill aus 88:88. Copyright: Isiah Medina)

Es ist kein Zufall, dass das Darstellen des Internets im Kino so schwierig ist. Filme unmittelbar über die „Alt-Right“ kann es eigentlich erst jetzt, wo sie sich physisch manifestiert in Form zorniger weißer Männer mit Gartenfackeln, die durch Amerika marschieren, geben. Das Kino muss Antworten suchen auf ihre Bildwelten, sich ihnen hingeben darf es nicht: Erst wenn es selbst endgültig zum hybriden „Terminator“ wird, ist es zu ihrem Medium geworden.

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