Yaloms Anleitung zum Glücklichsein (2014)

Eine Filmkritik von Beatrice Behn

Über das Leben und die Liebe eines "Reiseleiters" / Psychotherapie auf der Leinwand

Das Wort „Anleitung“ im Titel von Yaloms Anleitung zum Glücklichsein klingt vielleicht ein bisschen zu technisch. Eine Anleitung im Sinne von „Man tue erst dies, dann das und schließlich jenes, um glücklich zu werden“ wird in diesem Dokumentarfilm nicht gegeben. Das wäre wohl auch recht albern. Vom Glücklichsein erzählt das von Sabine Gisiger geschaffene Werk aber durchaus – und zwar auf sehr aufschlussreiche Weise: Es gewährt Einblick ins Leben von Irvin D. Yalom und seiner Frau Marilyn, deren Glück als Paar weniger in einer permanenten Harmonie besteht, als vielmehr in einer unauslöschlichen gegenseitigen Faszination. Die Liebesgeschichte zwischen dem Psychiater/Autor und der Literaturwissenschaftlerin/Frauenforscherin ist ein integraler Bestandteil dieses Films, der den Werdegang des bedeutendsten lebenden Vertreters der existentiellen Psychotherapie schildert.

Irvin D. Yalom wächst in den 1930er Jahren als Sohn jüdisch-russischer Emigranten in Washington, D.C. auf. Mit 15 lernt er die um ein Jahr jüngere Marilyn Koenick kennen: Die beiden verbindet das Faible für hohe Literatur – alsbald wird aus ihnen ein Paar, das nach Abschluss des Studiums im Jahre 1954 heiratet. Die Yaloms werden vierfache Eltern und ziehen nach Kalifornien, als Irvin D. Yalom den Ruf der Stanford University erhält und dort seine Karriere als Professor beginnt. Neben wissenschaftlichen Büchern veröffentlicht der ausgebildete Psychiater auch diverse Geschichtensammlungen und Romane – so etwa den Bestseller Und Nietzsche weinte (1994).

Die freimütige und tief gehende Art und Weise, in welcher sich Irvin D. und Marilyn Yalom sowie deren Kinder und Enkel über die eigenen Empfindungen und das eheliche/familiäre Miteinander äußern, lässt vermuten, dass Gisiger bei ihrer filmischen Arbeit ähnlich vorging, wie Yalom es in seinen Therapiesitzungen macht. Im Laufe seiner psychotherapeutischen Tätigkeit erkannte Yalom nämlich, dass es zwischen dem Therapeuten und dem Patienten eine enge Verbundenheit geben muss. Und so scheint es auch der Filmemacherin gelungen zu sein, eine solche Beziehung zu ihren Gesprächspartnern aufzubauen: Die Interviews sowie die Alltags- und Urlaubssituationen, die sie aufnimmt, zeugen von einem Vertrauen der Yaloms, das von Gisiger zu keiner Sekunde missbraucht wird. Denn hier wird ein interessierter (und, nicht zuletzt, interessanter) Blick auf zwei Menschen (und ihr Umfeld) geworfen, die sich in ihrer Ehe seit 60 Jahren im „standing in love“-Modus befinden – also jenem Zustand, der (im Idealfall) das „falling in love“-Gefühl ablöst. Wiewohl sich Yalom als „Henker der Liebe“ bezeichnet (weil ein guter Therapeut stets die Dunkelheit bekämpfe und Erleuchtung suche, indessen die Liebe immer alles verkläre und einer genauen Prüfung niemals standhalte), ist Yaloms Anleitung zum Glücklichsein ein überaus kluger und überaus schöner Film über die Kraft der Liebe.

Gleichermaßen liegt aber in den Passagen, die sich ganz dem Beruflichen widmen, ein großer Reiz. Das Dokumentarwerk enthält zum Beispiel Reenactment-Szenen von Gruppensitzungen, die als Therapieform in Yaloms Arbeit einen hohen Stellenwert haben. Auch Yaloms Überzeugungen in Bezug auf die „existenziellen Probleme“ jedes Menschen (das heißt: auch jedes im klinischen Sinne „gesunden“ Menschen!) und seinem Selbstverständnis als Therapeut wird Raum gegeben: Yalom begreift sich als „Reiseleiter“, der seine Patienten auf ihrer Reise begleitet – wobei diese Reise eine Konfrontation mit fundamentalen Fragen und Ängsten erfordert und letztlich zu einem besseren Verständnis des eigenen Selbst führen kann. Gisiger parallelisiert Yaloms Ansichten mit dessen persönlicher Reise – und so entfaltet Yaloms Anleitung zum Glücklichsein unter Verwendung von Archivbildern, Familienfotos und Videokameraaufnahmen eine eindrückliche Biografie.

(Andreas Köhnemann)
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Ach ja, dieses verdammte Glücklichsein. Ich glaube, es gibt kein Thema über das es mehr Selbsthilfebücher gibt, als dieses. Wie wird man das nur und wie bleibt man es auch? Und vor allem: was macht einen denn eigentlich glücklich? Der Job? Geld? Sex? Familie? Ein verdammt kompliziertes Thema, dieses Glücklichsein. Da hat man es als Misanthrop leichter. Irvin Yalom hat es lange erforscht, dieses Glücklichsein. Seit über 50 Jahren ist er Psychotherapeut und hat Menschen therapiert, die unglücklich waren. 50 Jahre sitzen und denken ist eine lange Zeit und eindeutig hat Yalom mehr Einblick in dieses Thema, als viele andere. Bekannt ist er den meisten wohl über seine Bücher, vor allem die Romane wie Und Nitzsche weinte…, in denen er sein Wissen in Geschichten niederschrieb und sie damit einem weiten Teil von Menschen zugänglich erklärte. In den USA gilt er inzwischen als der einflussreichste Psychotherapeut, überzeugter Gruppentherapeut und der Begründer einer speziellen Denkrichtung: der existentiellen Psychotherapie. Existentiell meint hier vor allem, dass der Mensch vor allem unter solchen Ängsten leidet, die seine Daseinsgrundlage potentiell gefährden. Sprich: die Angst vor Einsamkeit, die Angst vor Ablehnung etc.

Die Dokumentarfilmerin Sabine Gisiger ist zuerst auf Yalom durch seine Bücher aufmerksam geworden, die ihr sehr viele Einblicke in ihr Innenleben gebracht haben. Fasziniert von dem Mann hinter den Büchern hat sie sich aufgemacht Irvin Yalom zu interviewen und einen Film über die existentielle Psychotherapie zu machen. Kein leichtes Unterfangen, denn wie bitte bebildert man die Gedanken eines Mannes und wie kann man deren Tiefe und Sinn in irgendeiner Art und Weise verständnisvoll in die filmische Sprache übertragen? Gisiger wählt hier vor allem den Weg des „talking heads“, also dem Aufzeichnen des Interviews mit Yalom. Dabei geht sie chronologisch vor und beginnt in seiner Kindheit, in der sie nach den Gründen für Yaloms späteren Werdegang sucht. Der Film arbeitet sich von da an immer weiter an der Zeitachse entlang und öffnet sich nach gut der Hälfte der Laufzeit dann zwei wichtigen Themenbereichen: dem Lieben und dem Sterben. Yalom ist ein charmanter alter Mann, der zu erzählen und vor allem zu erklären weiß. Seine Geschichte(n) sind das Herzstück dieses Filmes. Zwischendurch versucht Gisiger kontemplative Momente einzustreuen und Bilder zu finden, die sie über Yaloms Berichte setzt. Diese sollen den Zuschauern Augenblicke ermöglichen, in denen sie in sich hineingehen und eine kleine Seelenerkundung betreiben können. Nur funktioniert das nicht wirklich, dafür springt der Film dann doch zu schnell zum nächsten Moment über. Ob so etwas im kinematographischen Raum überhaupt funktionieren kann, darf bezweifelt werden, denn per se sitzt man dort mit dem Wunsch nach Geschichten von anderen und nicht nach der eigenen.

So interessant das Subjekt des Filmes und seine Ansichten auch sind, sie können sie nicht so recht entfalten. Der Film fühlt sich etwas gehetzt an, so als müsste man sein ganzes Leben in die Laufzeit quetschen. Schöner wäre gewesen, der Film hätte sich mehr auf seine Theorien konzentriert und denen den Raum gegeben sich zu entfalten, so dass man etwas in die Tiefe hätte gehen können. So aber bleibt Yaloms Anleitung zum Glücksein ein ungünstig gewichteter Film, den man schnell vergessen wird. Was aber bleibt, ist das Interesse, mal ein Buch des Autors zu kaufen — so man das nicht eh schon getan hat.

(Festivalkritik Locarno 2014 von Beatrice Behn)

Yaloms Anleitung zum Glücklichsein (2014)

Das Wort „Anleitung“ im Titel von „Yaloms Anleitung zum Glücklichsein“ klingt vielleicht ein bisschen zu technisch. Eine Anleitung im Sinne von „Man tue erst dies, dann das und schließlich jenes, um glücklich zu werden“ wird in diesem Dokumentarfilm nicht gegeben. Das wäre wohl auch recht albern. Vom Glücklichsein erzählt das von Sabine Gisiger geschaffene Werk aber durchaus – und zwar auf sehr aufschlussreiche Weise:

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Meinungen

Chris · 12.04.2015

Tiefsinnige Gedanken übers miteinander Menschsein, schöne Bilder vom Meer (auch Unterwasser), schöne Musik - es hat sich gelohnt!
Kann den beiden Vorgängern zustimmen!

Monika Richrath · 16.11.2014

Was für ein schöner ruhiger Film, voller Weisheit und Menschlichkeit. Am Beispiel seines eigenen Lebens zeigt Yalom uns das Universelle menschlichen Leidens und schafft so für den einzelnen Entlastung.

An die allererste Einstellung werde ich noch lange denken, eine Stadt in der Ferne, im Vordergrund ein glitzerndes Meer und dann schiebt sich zur Musik von Peer Gynt ganz langsam ein Frachter durch das Bild, wunderschön komponiert .... Vielen Dank!

Irina · 10.10.2014

Nicht jedermanns Sache, vor einem Dokumentarfilm im Kino zu hocken, erst recht bei einem so reißerischen Titel! Gibt es eine Anleitung zum Glück? Wer sich den Film antut, wird womöglich enttäuscht sein: ein Rezept findet sich darin nicht. Aber einige lose Gedanken, die sich in einer Interpretation verganzheitlichen lassen.

Das Glücklichsein wird durch die zwischenmenschlichen Verhältnisse begründet: wir sind glücklich, wenn wir uns angenommen fühlen. Doch bedarf das Annehmen eines Verständnisses. Und um einen anderen zu verstehen, muss man sich selbst zu verstehen lernen. Genau da liegt aber das Problem. Im Grunde unserer Selbst schlummert die Angst vor dem Tod, die Angst vor dem Abgrund, vor den eigenen Abgründen und letztlich vor sich selbst. Yalom sagt, dass das Streben nach Liebe genau dieser Angst entspringt – man will dem Blick in sich hinein entgehen, indem man ihn auf einen anderen lenkt und sich selbst mit den liebenden Augen des anderen betrachtet. Kein neuer Gedanke, aber neu sollte die Erkenntnis sein, dass Liebe uns nicht vor sich selbst rettet. Eine Beziehung wird nicht glücklich sein, wenn wir nicht erst mit uns ins Reine gekommen sind und den Blick auch im Wir immer wieder auf uns selbst richten. Das Ich sollte nicht im Wir untergehen, sondern immer wieder neu entdeckt und durch den anderen bereichert werden.

Die Antwort auf die Frage, warum wir uns rastlos herumtreiben, dürfte vor diesem Hintergrund eine einfache sein: wir sind auf der Flucht vor sich selbst. Und auf der Suche nach Glück, einfach definiert: nach jemandem, der uns annimmt und einen wohltuenden Blick auf uns selbst vermittelt. Und warum scheint die Suche endlos zu sein? Weil wir ohne die echte Kenntnis unserer Selbst weder den Blick des anderen aushalten und fürwahr halten können, noch das Gegenüber erkennen können. Wir jagen Bildern nach, die entweder nicht zusammenpassen oder der Prüfung durch die Zeit nicht standhalten. Denn die Wirklichkeit setzt sich durch. Wir aber sind für die Wirklichkeit nicht bereit. Viel lieber schweben wir in Eindrücken, lassen uns von einem zum nächsten Kennenlernen neu entzücken und treiben so von einem Scheitern zum nächsten. Dabei ist die Lösung so einfach wie Apollos Weisheit: Erkenne dich selbst! Richte den Blick nach innen und beleuchte dein Ich, statt sich von äußerem Schein anderer blenden zu lassen.

Ganz passend erscheint da der Hinweis auf Schopenhauer am Ende des Films, der im reiferen Alter, nachdem die brennenden Leidenschaften abgeklungen sind, über den Sternenhimmel staunt. Unsere Welt wird viel liebenswerter und reicher, wenn wir unseren Blick von dem abwenden, was ihn nur ablenkt. In diesem Sinne… uns allen eine glückliche Reise zu den inneren Sternen!