Worst Case Scenario

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Vom Scheitern eines Filmes

Die Story: Während der EM in Polen und der Ukraine 2012 reist die Assi-Verwandtschaft des deutschen Torhüters auf einen Campingplatz nahe Sopot und hofft, bei Manuel Neuer Eintrittskarten schnorren zu können. Es gibt prolligen Beziehungsstress, und irgendwann zünden sie sich ihre Fürze an.
Das könnte vielleicht tatsächlich das Szenario gewesen sein, das sich Franz Müller, Jan Henrik Stahlberg und Peer Klehmet ausgedacht hatten, das vorproduziert war und während der EM hätte gedreht werden sollen. Bis das Projekt sechs Wochen vor Start platzte. Und Müller kurzerhand einen neuen Film drehte — denn EM ist nun mal nicht so häufig, und die Fifa hätte wegen ihm wohl kaum das Turnier verschoben.

So erzählt er nun von einem Filmteam in Polen, dem der Film abhanden kommt. Dem jeder Film abhanden kommt, zusammen mit Realität und dem Gefühl der Zwischenmenschlichkeit. In vier Tagen kloppte er das Skript zusammen, die Produzenten konnten bei Hans W. Geißendörfer eine Anschubfinanzierung erbetteln, und das Filmteam zog los auf den Campingplatz, wo unter Realbedingungen gedreht wurde — mit Schauspielern und mit Laien, im strömenden Regen, inmitten von Fußballfans aus aller europäischer Herren Länder.

Ein Wahnsinnsprojekt, und ein sehr merkwürdiger und bemerkenswerter Film, der seine Entstehungsgeschichte offen in sich trägt, ohne sie ganz plakativ zur Schau zu stellen. Wir erleben Samuel Finzi als obsessiven und verzweifelten Regisseur und Eva Löbau als Olga, seine Kostümbildnerin und frühere Geliebte. Laura Tonke spielt vermutlich sich selbst; ein paar Polen auch.

Herrlich, wie zu Anfang die Produzentin des Films im Film den Regisseur abwatscht: vier Kilometer von hier haben Wehrmachtssoldaten 100 Zivilisten getötet! Und du drehst, wie Fürze angezündet werden! Was ist deine Geschichte, was willst du erzählen? Der Faschismus kann überall wieder herauskriechen! Komödie um der Komödie willen interessiert mich nicht! (In kleinen, aber gezielten Nebenbemerkungen ist der Film auch stets böser Kommentar zum Zustand des deutschen Films, wie man sieht…)

Und dann versucht das Rumpf-Team es eben weiter, auf eigene Faust. Ohne Geld, mit wenig Ausrüstung, mit schwindender Begeisterung. Immer wieder verlässt jemand das sinkende Schiff; und die Frage ist immer, wer dabei die Ratte ist. Denn Georg, der Regisseur, hält tyrannisch fest an seiner Vision eines Films; wobei ihm mehr und mehr egal ist, was für ein Film es wird, Hauptsache, er hat das Heft in der Hand. Ein Heft, dessen gekrakelter Inhalt mehr und mehr im Regen durchweicht wird.

Georg ist besessen von seinem Film, hart gegen alle und weinerlich gegen sich selbst; und die Schwangerschaft von Olga stört da nur. Eine böse Szene am Strand, in der er sie herunterputzt, weil sie jetzt ein Kind von ihm haben wird. Was sie in die Arme des jungen, polnischen Setrunners treibt. Und den Film in Richtung Beziehungsdrama drängt — ein Drama freilich, das eher farcehaft-grotesk ist als betroffenheitsselig.

Franz Müller weiß in all dem improvisierten, produktionstechnisch unausgereiften Drehchaos stets genau, was er tut. Und das macht auch die große Qualität seines Filmes aus: Wie genau er inszeniert wurde, dieses Chaos des Films im Film in der Hast der Produktion. Ganz genau hält die Kamera auf die Peinlichkeiten, auf die Entblößungen, denen keine der Figuren entgeht. Sehr klug setzt er das Stativ genau dann ein, wenn man eigentlich Wackelkamera erwarten würde — etwa, wenn die Sprache auf Lars von Triers Herangehensweise ans Filmen kommt… Und Worst Case Scenario enthält einige der schönsten Nahaufnahmen, die es geben kann: Wenn Samuel Finzi von Olgas Schwangerschaft erfährt und alle Emotionen der Welt gleichzeitig, in einem Nichts an Zeit, über sein Gesicht laufen. Oder wenn Olgas junger Liebhaber von ihrer Schwangerschaft erfährt und er sich innerlich ganz plötzlich Lichtjahre wegbeamt.

Und: Der Film enthält einen herrlichen Schlussmoment, der inmitten eines schlimmstmöglichen Szenarios so etwas wie Innigkeit beinhaltet.

Worst Case Scenario

Die Story: Während der EM in Polen und der Ukraine 2012 reist die Assi-Verwandtschaft des deutschen Torhüters auf einen Campingplatz nahe Sopot und hofft, bei Manuel Neuer Eintrittskarten schnorren zu können. Es gibt prolligen Beziehungsstress, und irgendwann zünden sie sich ihre Fürze an.
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Meinungen

Jan · 06.07.2015

Sehr lustiger Film! Klein aber mit allem dabei, was Kino braucht!