Wonderstruck (2017)

Eine Filmkritik von Beatrice Behn

Vom Wunder getroffen (und darin verloren)

Es ist eigentlich gemein, aber eben doch allzu menschlich, dass man die Filme eines Regisseurs oft miteinander vergleicht. Und unter dieser Prämisse ist die Fallhöhe für Todd Haynes’ neues Werk Wonderstruck gigantisch hoch, muss dieser doch im Fahrwasser des überaus formidablen Vorgängers Carol fahren. Dabei haben beide Filme von ihrer Geschichte her gedacht nichts gemeinsam: Nach einem melancholisch in der Liebe verlorenen Lesbenpaar widmet sich Haynes nun einer Kindergeschichte. Das Ergebnis spaltete bei der Premiere in Cannes im Mai 2017 die internationale Presse sofort in zwei extreme Lager: Die einen lieben ihn und schreien schon jetzt nach dem Oscar, die anderen sind enttäuscht und ganz und gar trostlos.

Wonderstruck ist ein herrlich passender Name für das, was den beiden HauptdarstellerInnen da passiert. Es ist 1977 und Ben (Oakes Fegley) ist gerade einmal zwölf Jahre alt, da hat er schon seine Mutter (ein trauriger und viel zu kurzer Auftritt von Michelle Williams) verloren, wird er von einem Blitz getroffen und verliert sein Gehör. Kurz darauf läuft er weg, nach New York City, um seinen Vater zu suchen, von dem er nichts weiter weiß als seinen Namen und die Adresse einer Bibliothek. Parallel dazu erzählt der Film auch von Rose (Millicent Simmonds) im Jahr 1927, einem gleichaltrigen Mädchen, ebenfalls taub, das vor seinem strengen Vater nach New York City flüchtet, wo ihre Mutter (Julianne Moore) am Theater und ihr großer Bruder im Natural History Museum arbeitet. In diesem Museum landet auch Ben auf der Suche nach seinem Vater, bei dem ihm alsbald ein anderer Junge (Jaden Michael) hilft. Doch das sind nicht die einzigen Parallelen zwischen den beiden Geschichten, wie sich herausstellen wird.

Wie immer sind Haynes hier zwei Dinge gelungen, die inzwischen als seine Markenzeichen gelten. Visuell ist der Film in jedem Detail durchdacht. Bens Abenteuer präsentiert Haynes im gelb-braunen Kodak-Color, der die Zeit, in der die Episode spielt, perfekt wiedergibt. Die Sequenzen für Rose sind wiederum in schwarz-weiß gehalten und reminiszieren die Stummfilmzeit. Allerdings sind sie dafür einfach zu perfekt, kein einziges Kriseln, keine Fehler, kein Staub finden sich hier. Vielmehr ist es das klarste und schärfste Schwarz-Weiß überhaupt, ein visueller Gimmick, der seinen Zweck nicht so ganz erfüllt, auch wenn er an The Artist erinnert. Im Geschichten erzählen vermag Wonderstruck ein weiteres Markenzeichen Haynes’ zu wiederholen: der unendliche Humanismus, der alle seine Werke bestimmt, ist hier in jeder Figur zu finden. Doch dies reicht dieses Mal einfach nicht. Der Film hängt schief, etwas stimmt nicht.

Es ist die Geschichte selbst. So schön sie klingt, so verwoben beide Episoden miteinander sind, so erzählt sie am Ende doch nicht allzu viel – und was sie erzählt, tut sie leider und überraschenderweise mit sehr vielen Klischees und unnötigen Erklärungen. Wonderstruck ist, man kann es nicht anders sagen, extrem einfach gestrickt. Alles ist vorhersehbar, wird schon vorher angekündigt und dann nur durchgeführt. Das Werk ist voller mal mehr, mal weniger absurder deus ex machina-Lösungen. Zum perfekten Zeitpunkt findet Ben den nächsten Hinweis für seine Suche und immer springen ihm und dem Publikum die Antworten schon fertig und als vorgekaute Häppchen in den Mund. Wenn dieser Film also eines ist, dann leicht bekömmlich. So leicht, dass er keinerlei Arbeit mehr Bedarf – der Tod eines jeden Films. Hier rettet ihn gelegentlich der ein oder andere Moment voller Schönheit und Sinnlichkeit oder voller Nostalgie, sei es für das Kino, für New York als Stadt oder für das wundervolle Museum, in dem große Teile des Filmes spielen. Doch auch dies hilft nicht über den ganzen Film hinweg. Die starke Unterforderung der Hirnwindungen hat zur Folge, dass man sich umso mehr auf den Stil des Filmes konzentriert. Und dieser ist wie immer sehr gekonnt. Die Kamera ist stets perfekt, fängt alles im poetischsten Licht und Winkel ein. Sie gleitet über Körper und Gesichter, in Straßen und über Ausstellungsstücke wie ein liebevoller und von kindlichen Wundern ergriffener Blick aus der Ferne. Darunter schwebt viel Musik, oft David Bowie, der von Major Tom singt, während Ben in die Sterne schaut. Ja, es ist fantastisch anzuschauen und perfekt, manchmal zu perfekt, rundgelutscht, zu ästhetisch auf die Zwölf. Ein bisschen Ecken und Kanten hätten gutgetan, ein bisschen weniger kindlich-magischer Anschein à la Hugo Cabret, denn dieses Mal erstickt der Film ganz langsam in genau dieser perfektionierten, naiven Ästhetik.

Und so zerfällt das Werk letztendlich in viele wunderschön aussehende Bruchstücke, einzelne Momente, die Haynes einfach nicht zu einem großen Ganzen zusammenkriegt. Woran scheitert Wonderstruck letztendlich? Es ist schwer zu sagen, aber wenn man Haynes’ Gesamtwerk betrachtet, ist es wohl das Kindliche, welches er hier zu ergründen versucht, was aber nie die Ebene von schöner Naivität verlässt. Es fehlen die Tiefe, die Komplexität, das Doppelbödige, das Verlangen über das Wundern hinaus. So sind es am Ende zwei, auf die die Idee des „Wonderstruck“ – vom Wunder getroffen werden – zutrifft: Ben und Haynes selbst. Beide haben sich darin verloren, aber nur für einen geht es gut aus.

Wonderstruck (2017)

Es ist eigentlich gemein, aber eben doch allzu menschlich, dass man die Filme eines Regisseurs oft miteinander vergleicht. Und unter dieser Prämisse ist die Fallhöhe für Todd Haynes’ neues Werk „Wonderstruck“ gigantisch hoch, muss dieser doch im Fahrwasser des überaus formidablen Vorgängers „Carol“ fahren. Dabei haben beide Filme von ihrer Geschichte her gedacht nichts gemeinsam: Nach einem melancholisch in der Liebe verlorenen Lesbenpaar widmet sich Haynes nun einer Kindergeschichte.

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