Pre-Crime (2017)

Eine Filmkritik von Simon Hauck

Überwachen und Strafen 2.0

„Alles ist unentwirrbar mit der Wirklichkeit verkoppelt: 1 — 0, like — don’t like, kaufen — nicht kaufen, schuldig — nicht schuldig“, hört man den Hamburger Filmemacher Matthias Heeder einmal im letzten Drittel seines hochaktuellen Dokumentarfilms Pre-Crime aus dem Off gleichzeitig resigniert wie implizit neue Fragen stellend. Denn es ist inzwischen ungeheuer kompliziert geworden, in unserer scheinbar alles-ist-mit-allem-vernetzten-IT-Welt der Gegenwart. Ein Begriff wie Privatsphäre scheint dabei zunehmend ins Abseits abzudriften. Dafür gibt es aus Sicht der Ermittlungsbehörden Das Leben der Anderen mittlerweile in Echtzeit, voll elektronisch aufgezeichnet und nahezu restlos nachzuvollziehen.

Den Film bei Vimeo schauen:

Externen Inhalt ansehen?

An dieser Stelle möchten wir Ihnen ein externes Video von Vimeo präsentieren. Dafür benötigen wir Ihre Zustimmung in die damit verbundene Datenverarbeitung. Details in unseren Angaben zum Datenschutz.

Zustimmen und ansehen

Denn heutzutage wird schier jede Eingabe im Navigationsgerät, jede Bezahlung mit der Kreditkarte, jede Google-Suche und jeder Facebook-Like genauestens protokolliert – und später oftmals gewinnbringend ausgewertet. Es war im Grunde nur noch eine Frage der Zeit, bis sich dementsprechend auch die moderne Polizeiarbeit für diese neuen, hoch verschwiegenen IT-Technologien offen interessierte, die locker einem dystopischen Orwell- oder Huxley-Kosmos entsprungen sein könnten – und doch höchst real sind.

Längst haben daher diverse US-Global-Player aus dem weiterhin tonangebenden Silicon Valley eine Reihe von Softwareprogrammen zur nahezu kompletten Überwachung entwickelt – und obendrein höchst lukrativ an große Polizeipräsidien in Chicago, München oder London verkauft. Wer, wann, wo und aus welchen Beweggründen in Kürze ein Verbrechen begehen könnte, soll mittels so genannter „Pre-Crime-Software“ flächendeckend aufgespürt werden.

Was im ersten Moment vielleicht noch nach dunkel-verschrobenen Sci-Fi-Welten klingen mag – der „Precrime“-Begriff selbst stammt immerhin aus der Feder von Philip K. Dick und aus dem Jahre 1956 (!) – ist angesichts aufrüttelnder Rechercheergebnisse durch die beiden Filmemacher Heeder und Hielscher in westlichen High-Tech-Nationen wie England, Deutschland oder den USA seit 2013 längst gängige Praxis: Sozusagen Tagesroutine, erst recht in großen Ballungsgebieten oder besonders belebten Verkehrszonen.

Wird es demnach bald für jeden – selbstredend unfreiwillig – einen Minority Report geben? Einen höchst realen also, ohne Steven Spielberg, Tom Cruise und Kinoleinwand, dafür mit gängiger Gesichtserkennungssoftware, totaler Videobeschattung und beinahe unendlich scheinenden Informationen aus immer gigantischer werdenden Datenbanken? Vieles spricht dafür und umso mehr, je länger man den zahlreichen O-Ton-Gebern in diesem zwar hochkomplexen und nicht durchgängig verständlichen, dennoch höchst aufschlussreichen Dokumentarfilm lauscht.

Schließlich kommen Macher wie Opfer hier parallel zu Wort: Das ist das investigative Pfund dieses sehenswerten, sehr zeitgeistigen Reportagefilms, der naturgemäß keine glasklaren Antworten liefern kann, aber beim Zuschauer zumindest eine konkrete Ahnung davon entstehen lässt, warum Algorithmen auch in der gegenwärtigen – verharmlosend „präventiv“ genannten – Arbeit der Polizeieinsatzkräfte zusehends massive Bedeutung erfahren.

Zum Teil mit verheerenden Folgen, wenn man eben gerade Pech hat und auf einer der neuartigen potentiellen Verbrecherlisten landet (z.B. der „Heat List“ in Chicago). Der im Film geschilderte Falle des jungen Afro-Amerikaners Robert McDaniels, der zwar schon in der Vergangenheit Kontakt mit den Polizeibehörden hatte, dem jedoch noch nie etwas Gravierendes nachzuweisen war, ist ein besonders einprägsames Beispiel dafür, wohin uns all dieser technische Überwachungswahnsinn in nächster Zeit führen kann.

Plötzlich bist du in deinem Viertel stigmatisiert – und gleichzeitig wurdest du datentechnisch unwiderruflich wie polizeibehördlich gebrandmarkt. Ist es das Ganze wirklich so wert? Und muss unsere gar nicht schöne neue Big-Data-Welt tatsächlich immer genau so aussehen? Oder anders gefragt: Wo bitteschön ist hier der reset button? Pre-Crime liefert zu diesen Überlegungen reichlich brisanten Input.
 

Pre-Crime (2017)

„Alles ist unentwirrbar mit der Wirklichkeit verkoppelt: 1 — 0, like — don’t like, kaufen — nicht kaufen, schuldig — nicht schuldig“, hört man den Hamburger Filmemacher Matthias Heeder einmal im letzten Drittel seines hochaktuellen Dokumentarfilms „Pre-Crime“ aus dem Off gleichzeitig resigniert wie implizit neue Fragen stellend.

  • Trailer
  • Bilder

Meinungen