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Selbstjustiz für Anfänger: In Eli Roths Remake eines Charles-Bronson-Klassikers mutiert Bruce Willis vom Linksliberalen zum rechtsextremen Waffennarr, der in Chicago das Gesetz in die eigene Hand nimmt – ein vor dem realen Hintergrund der Verhältnisse in Chicago zweifelhaftes Vergnügen.

Death Wish (2018)

Eine Filmkritik von Thomas Groh

Enthemmung mit angezogener Bremse

Mit Death Wish greifen Joe Carnahan (Drehbuch) und Eli Roth (Regie) das Problem realer Waffen- und Gang-Gewalt in Chicago auf, über das Filmfreunde spätestens seit Spike Lees Chi-Raq informiert sind: Mit der einfühlsam erzählten, 2016 bei der Berlinale gezeigten Satire sensibilisierte der einstige Pionier des New Black Cinema für die gesellschaftliche Lage und forderte vehement Frieden für die South Side ein.

Genutzt hat dieses Plädoyer nur wenig: Im Jahr 2016 ist die Mordrate nochmals angestiegen, seitdem ist sie immerhin leicht rückläufig. Rund 9000 Menschen kamen in Chicago seit 2001 ums Leben. Die meisten davon Afro-Amerikaner, viele als Opfer von Gang-Gewalt. Eine Facette, die dem Chicago Mag 2016 eine große, auch heute noch lesenswerte Reportage wert gewesen ist.

Es ist hilfreich, diese Hintergründe im Fall von Death Wish im Blick zu behalten: Es hilft einerseits dabei zu verstehen, warum Joe Carnahan (Drehbuch) und Eli Roth (Regie) den Spielort ihrer Neuverfilmung von Brian Garfields 1972 veröffentlichtem Roman Ein Mann sieht rot von New York nach Chicago verlegt haben. Zum anderen lässt dieses Hintergrundwissen den Film in mancher Hinsicht als ziemlich schal erscheinen.

Im Wesentlichen orientieren sich Carnahan und Roth an den Vorgaben von Michael Winners berühmt-berüchtigter Erstverfilmung, die 1974 Charles Bronsons typisches Image als hartgesottener Wadenbeißer definierte: Chirurg Paul Kersey (Bruce Willis) lebt den amerikanischen Traum in seiner Bilderbuch-Variante: hohes Einkommen, dickes Auto, schönes Haus, harmonisches Familienleben, dazu noch eine blütenweiße linksliberale Gesinnung.

Die wandelt sich jedoch rasant, als Einbrecher seine Ehefrau Frau Lucy (Elisabeth Shue) töten und Tochter Jordan (Camila Morrone) ins Koma schießen. Als ihm der Zufall eine Schusswaffe in die Hände spielt, nimmt er das Gesetz in Chicagos Gassen in die eigene Hand. Als „Grim Reaper” bestimmt der mit seinem tief ins Gesicht gezogenen Kapuzenpulli unerkannt bleibende Vigilant fortan das Stadtgespräch, während sich die beiden Ermittler Jackson (Kimberly Elise) und Rains (Dean Norris) an seine Fersen heften.

Wie die filmische Vorlage ist auch Eli Roths Neuauflage Manipulationskino erster Kajüte. Bereits die erste Sequenz bereitet dem den Boden: Nachdem es Kersey als Arzt nicht gelungen ist, einen nach einer Schießerei lebensgefährlich verletzten Polizisten zu retten, hat er für dessen Kollegen ein paar warme Worte übrig, bevor er sich daran macht, den zweiten Verletzten aus dieser Schießerei zu behandeln. „Und jetzt retten sie das Leben dieses Tiers, das meinen Kollegen erschossen hat?”, ruft ihm der Cop hinterher. „Wenn mir das möglich ist”, sagt Kersey als guter Arzt da bloß dazu. Schon hier wird der hippokratische Eid als lästiges Hindernis für archaische Gerechtigkeitskonzeptionen des „gesunden” Volksempfindens gekennzeichnet.

Konsequent reißen Carnahan und Roth Kerseys humanistisches Weltbild ein, während sie kleinbürgerliche Rachegelüste legitimieren und die Dringlichkeit sozialer Enthemmung plausibilisieren. Wenn man so will: Ein Film der Stunde, wenn es um die konkrete Illustration des blutrünstigen Hasses aus unzähligen Facebook-Kommentarspalten geht, wo sich manche Zeitgenossen in blumigsten Fantasien ergehen, was sie schon mit Kleinkriminellen alles anstellen würden, wenn ihnen dabei nur der Rechtsstaat nicht im Wege stünde.

Aber auch: Ein Film zur Unzeit, wenn man ihn vor dem Hintergrund aktueller Debatten um Waffenkontrolle in den USA betrachtet, nachdem die Überlebenden im Zuge des Schulmassakers von Parkland binnen kürzester Zeit eine beeindruckende Protestbewegung auf die Beine gestellt haben. Davon können die Macher beim Dreh natürlich noch nichts gewusst haben – doch wie eine schallende Ohrfeige für den bewegenden Aktivismus der jungen Generation wirkt dieser Film schon, wenn Kersey sich hier vom guten Liberalen zum Waffennarr wandelt, der nach erstem vorsichtigen Herantasten schließlich sehr selbstverständlich in die wunderbare Warenwelt des Waffenhandels einsteigt und sich zu AC/DCs Back in Black der Selbstenthemmung hingibt – eine Einladung ans Publikum, einfach kopfwippend mitzugehen.

Zugegeben – gerade die Szenen, in denen sich Kersey in einem absurd durchgeknallten Waffenladen munitioniert, wirken fast schon wie eine Parodie auf den US-Waffenfetisch. Tatsächlich zeigen sich hier ein paar Risse in der ansonsten fugendicht gezimmerten Story. Dasselbe gilt für die gelegentlich eingestreuten Sequenzen, in denen hektische Radiokommentatoren den „Grim Reaper“ als „talk of town” lancieren oder in denen es um viral gehende Memes geht. Beides bestärkt den Anfangsverdacht, dass es Carnahan und Roth in Wahrheit um eine Satire über die aufgeheizte Medienlandschaft der Gegenwart gehen könnte.

Als fruchtbar erweisen sich solche Keime der Subversion allerdings nicht. Bestenfalls handelt es sich um kleine Zugeständnisse an jene Teile des Publikums, die beim Exzess der Enthemmung nicht völlig mitgehen. Doch am ehesten bestärken sie bloß den Eindruck einer diffusen Unentschlossenheit, die den Film schlussendlich in jeder Hinsicht lähmt: Anders als Antoine Fuquas grandioser The Equalizer (2014) berauscht sich der Film nicht an den Allmachtsfantasien des infantilen Regresses, der Selbstjustizstoffen stets zugrunde liegt, sondern gibt sich den Ekstase-Angeboten nur mit spürbar angezogener Bremse hin.

Auch hat der Film nie wirklich den Mut, sich als der amoralisch-dreckige Bahnhofskino-Reißer zu positionieren, der er insgeheim wohl gerne wäre: Dass Willis’ Kersey Chirurg ist (Bronsons Kersey war Architekt), bietet Eli Roth als Experte für Torture-Porn-Sauereien zwar kurz die Möglichkeit, anatomisch informierte Folter-Setpieces zum Zweck ausgefallener Wundproduktionen aufzuführen.

Doch stehen solche Exzesse eher quer zu dem zackig-urbanen Actionthriller, der Death Wish dann bitte auch noch sein möchte, und insbesondere jenen Momenten, in denen doch noch Ahnungen von Restvernunft aufblitzen: Etwa wenn ein „Grim Reaper”-Nachahmer beim Vigilantenversuch ums Leben kommt (was als kurzer Einschub wirkungslos verpufft) oder wenn bei einer (schwarzen) Radiodiskussionsrunde eine Sekunde lang die Frage aufkommt, ob es nicht doch sehr seltsam sei, dass ein Weißer im Kapuzenpulli Jagd auf vornehmlich Schwarze und Hispanics macht und dafür als Held gefeiert wird.

Womit man dann zum Abschluss nochmal auf Chicago zu sprechen kommen müsste: Das in Chicago herrschende Quasi-Kriegsszenario, von dem Spike Lee in Chi-Raq einfühlsam erzählt, bedeutet für tausende Überlebende und Hinterbliebene tagtäglich Trauer und Arbeit am Trauma. Die Mehrheit dieser Leute ist nicht-weiß und wirtschaftlich stark benachteiligt. Dieses reale Problem nehmen Carnahan und Roth als Hintergrundfolie für den Relevanz-Kolorit zwar gerne mit. Vom Hauch eines Zweifels, ob es vielleicht wirklich so sinnvoll ist, die Waffengewaltexzesse in Chicago als Bedrohungsszenario für die weiße Mittelschicht zu perspektivieren, wurden sie dabei aber offenbar nicht gestreift.

Der darin noch zusätzlich verborgene Klassismus macht sich in lapidaren Gesten nebenbei bemerkbar: Etwa wenn Kersey von einem aufdringlichen Bettler genervt ist, der ihm an einer Straßenkreuzung die Windschutzscheibe reinigen will. Oder wenn Kersey bei der Polizei auftaucht, um sich nach dem Stand der Ermittlungen zu informieren, was den Mord an seiner Frau betrifft. An der Bürowand heften Dutzende Hinweise auf unaufgeklärte Morde. Die meisten davon sind der Arbeit quasi nicht wert, sagt Cop Rains. Es handelt sich um Gang-Morde. Also um „irgendwelche Arschlöcher, die sich gegenseitig abknallen”. Und was er „damit eigentlich sagen will: Ihr Fall ist anders.”

Nicht zuletzt wegen der Kumpanei zwischen Vigilant und Polizei, in die Death Wish schlussendlich mündet, kann man diesem Ausspruch so etwas wie Schlüsselcharakter zusprechen. Noch dümmer kann man die Katastrophe Chicago eigentlich nicht mehr kommentieren.

Death Wish (2018)

Im Remake des gleichnamigen Revenge-Klassikers, der in Deutschland unter dem Titel „Ein Mann sieht rot“ und mit Charles Bronson in der Hauptrolle bekannt wurde, spielt Bruce Willis den Mediziner Dr. Paul Kersey. Dieser begibt sich nach einer brutalen Attacke auf seine Frau und seine Tochter auf einen brutalen Rachefeldzug, so dass schließlich — aufgeschreckt durch die Gewalttaten an Kriminellen — die Medien auf den Fall aufmerksam werden …

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