Die Sanfte (2017)

Im Irrgarten der Bürokratie

So ungefähr muss man sich eine Geschichte von Franz Kafka vorstellen, wenn sie im Russland der Gegenwart angesiedelt ist. In Die Sanfte von Sergei Loznitsa, der aber nicht auf einem Werk Kafkas, sondern einer Geschichte von Fjodor Dostojewski beruht, begibt sich eine Frau auf eine Odyssee ins Ungewisse und wird dabei mit der kaputten und moralisch verlotterten Realität ihres Landes konfrontiert.

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Sie lebt in einem kleinen Dorf am Ende der Welt, wo längst alle Hoffnungen auf ein besseres Leben gewichen sind. Nur mühsam halten sich die Bewohner hier über Wasser, die Frau selbst arbeitet gelegentlich an einer Tankstelle, an der kaum je ein Auto vorbeikommt. Dann erreicht sie eine Nachricht vom Postamt, dass ein Paket abzuholen wäre. Als sie dort vorspricht, stellt sich heraus, dass es sich dabei um das Paket handelt, das sie an ihren Mann geschickt hat, der im Gefängnis sitzt. Es sei „nicht zustellbar“, wird ihr beschieden.

Also macht sie sich selbst auf den Weg in die Stadt, in der sich die Haftanstalt befindet, und erfährt auf ihrer Reise und während ihres scheinbar endlosen Aufenthalts ein Panoptikum dessen, was Russland laut der düsteren Version Loznitsas auszeichnet: Korruption, Behördenwillkür, Gewalt und Unterdrückung gehen dort Hand in Hand. Jeder, der es irgendwie zu einer Form von Macht gebracht hat, versucht diese auszunutzen und scheut sich nicht einmal davor, dieses Verhalten durch Begründungen zu rechtfertigen. Immer wieder wird der Frau beschieden, dass sie ihren Mann nicht besuchen könne, sie solle sich bitte an eine andere zuständige Stelle wenden. Sie erhält noch nicht einmal eine Bestätigung, dass ihr Mann überhaupt in diesem Gefängnis ist und nicht längst irgendwo anders hin verlegt wurde. Dank einer freundlichen Seele findet sie Unterschlupf in einer Herberge, in der andere Menschen in der gleichen Situation gelandet sind – es ist eine Mischung aus Bordell und lärmigen Wirtshaus, eine Zwischenstation für all die Gestrandeten des labyrinthischen Mikrokosmos, den sie nun kennenlernen wird.

Immer wieder wird ihr Hilfe versprochen, man regle das schon. Doch alle Angebote erweisen sich letzten Endes als pure Angebereien oder als Versuche, sie in die Prostitution zu zwingen, da der sexuelle Appetit der Gefängniswärter anscheinend ebenso groß ist wie ihre Willkür und absolute Skrupellosigkeit. In einer der letzten vielen Wendungen, die Die Sanfte nimmt, gerät sie wie im Märchen gar in ein phantastisches Reich der Wunder und Mysterien, in dem scheinbar alles doch noch einen guten Verlauf nimmt. Doch auch dies wird sich schnell als neue Volte erweisen – gerade so, als sei die Gegenwart Russlands schon so korrumpiert, dass selbst die Naivität von Märchen darunter gelitten habe.

Die Sanfte ist eine überladene, lebenspralle, irrlichternd-hyperbolische Parabel auf das Russland der Gegenwart: Ständig fluchen die Menschen, beschimpfen und demütigen sich gegenseitig, saufen und vögeln und versuchen dabei auf jede nur erdenkliche Weise, ein kleines Stück abzubekommen oder wenigstens ihr eigenes Unglück zu verkleinern. Eine Vorhölle ohne jede Hoffnung, in der jede Figur wie eine Karikatur wirkt und Bürgerrechtler verlorene Gestalten sind, die einen aussichtslosen Kampf gegen ein vielköpfiges Monster führen. Wie mit dem Vorschlaghammer prügelt Loznitsa seine ebenso niederschmetternde wie schlichte Botschaft auf die Leinwand: Die Welt ist schlecht und die Menschen sind auch nicht viel besser.

Die Sanfte (2017)

Nach Robert Bresson wagt sich nun Sergei Loznitsa an Dostojewskis Kurzgeschichte Die Sanfte. Es geht um eine Frau, die alleine am Rand einer Ortschaft in Russland wohnt. Eines Tages bekommt sie die Rücksendung eines Briefes, den sie an ihren inhaftierten Ehemann geschrieben hatte. Sie macht sich auf den Weg zum Gefängnis, um herauszufinden, was passiert ist. Es beginnt ein Kampf gegen das soziale Böse und für die Gerechtigkeit.

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