Schau mich nicht so an (2015)

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Herausfordernde Faszination

Regisseurin Uisenma Borchu war fasziniert von ihrer Bekannten Catrina Stemmer: Wie sie ihr Leben stemmt! Eine starke Frau, die sie unbedingt filmisch porträtieren wollte. Aus diesem Projekt entwickelte sich kein Dokumentarfilm, sondern eine filmische Schilderung von Anfechtungen, von Versuchungen, von emotionalen und ganz realen Bedrohungen – ein durchaus erotisches, insbesondere aber moralisches Spiel.

Catrina Stemmer spielt Iva, die Mutter von Sofia. Uisenma Borchu spielt Hedi, eine Nachbarin. Hedi freundet sich mit Sofia an, auf merkwürdige Art. Hedi bietet der Fünfjährigen Zigaretten an, die verneint zwar, nuckelt dafür aber spielerisch an einem Grashalm – eine Verbindung ist geschaffen. Eine Verbindung, die Hedi zu Iva führt. Iva nämlich muss als Mutter die neue Bekanntschaft der Tochter kennenlernen. Wie sich die beiden in Hedis nachlässig und cool ausgestattetem Wohnzimmer – Schallplatten, eine Matratze mitten im Raum, im Eck ein Spiegel – begutachten, umschleichen, fast schon belauern – da kommt der Flirt ins Spiel. Eine Zuneigung. Das Einander-Begehren.

Und Iva lässt sich fallen, lässt sich emotional auf Hedi ein. Während Hedi … Hedi geht darauf ein, sie spielt, sie ist die Böse im Film. Vielleicht auch das Böse. Hedi verlangt. Hedi manipuliert. Hedi impft emotionale Schuldgefühle und Abhängigkeiten in andere Menschen. Nicht, um etwas zu erlangen, nicht, um ein Ziel zu erreichen, sondern als Spiel. Als Experiment. Was folgt aus dieser und jener Handlung? Die Mitmenschen sind für sie Objekte, die sie benutzen kann. Wenn Hedi einen schmucken jungen Kerl in der Bar aufreißt, weist sie ihn im Bett ordentlich zurecht: Tu dies. Mach das. Gefickt hast du noch nicht so oft, oder? Mit Iva ähnlich. Was von deren Seite Freundschaft, ja, Liebe und Begehren ist, ist für Hedi – ja, was? Unverbindlichkeit, Unernst.

Borchu baut in Schau mich nicht so an dieses Frauenporträt auf faszinierende Weise auf: Denn Hedi wird durchaus als Identifikationsangebot für den Zuschauer inszeniert, er wird ebenso umgarnt wie Iva – und durchschaut nur allmählich die unmoralischen Regeln ihres Spiels, ein Spiel, von dem ihre Mitspieler nichts wissen.

Hedi passt auf Sofia auf, nachdem sie Ivas reguläre Babysitterin mit fiesen Spitzen rausgeekelt hat, danach impft sie Iva Schuldgefühle ein, passiv-aggressive Emotionserpressung. Hedi hilft bei den Vorbereitungen für den Besuch von Ivas Vater. Den hat Iva aus guten Gründen jahrelang nicht gesehen, sie weiß schon, wie er an ihrer Wohnung, am Essen, vermutlich auch an der Erziehung ihrer Tochter herummäkeln wird mit seinem typischen Brummen. Alle möglichen Biersorten tischt sie auf, sie will es ihm so recht machen wie möglich. Doch der Gast taucht nicht auf. Sofia ist enttäuscht, Iva ist mutlos. Hedi macht sich auf ins Hotel, baggert den Vater der Freundin an, landet mit ihm in der Kiste.

Josef Bierbichler spielt nur in guten Filmen mit. Das ist wie eine Art Lackmus-Test. Nicht, weil er mitspielt, wird der Film gut, sondern weil der Film gut ist, spielt er mit – so auch hier. Charismatisch brummelig spielt er den Alten, der sich mit der jungen Frau einlässt. Mit ihm kann Hedi tatsächlich ihr Spiel spielen, denn dieser Mann spielt mit. Er verweigert sich, verlangt selbst etwas, und er nimmt sich, was sie geben kann und will. Er zitiert ein Brecht-Gedicht über die Liebe und das Vergessen, denn er weiß: das Vergessen ist Freiheit, Freiheit von der Liebe, und damit die Möglichkeit, vieles, viel mehr, zu tun.

Ein starkes Stück Kino, emotional fordernd und zugleich sehr mitreißend inszeniert von Uisenma Borchu. Borchu ist mongolischer Abstammung – und sie bringt eine weitere Ebene in ihr Spielfilmdebüt ein. Eine Rätselhaftigkeit für den Zuschauer, Szenen aus der Mongolei, eine traditionelle Jurte mitten in den Randbezirken der Stadt mit ihren kleinen Hütten. Dort besucht Hedi ihre Großmutter, zusammen mit diesem aufgeweckten, blonden Mädchen, mit Sofia – eine Reise in die Tradition, eine Reise in die Vergangenheit, wo die weisen Lehren der Älteren auf die Jungen übergehen (sollen). Eine Erzählebene, die bewusst nicht kongruiert mit der Geschichte um Hedi und Evi, zwei Stränge, die bewusst nicht aufeinander zulaufen. Mit den Mongolei-Sequenzen nimmt Borchu Kraft aus der Frauengeschichte – der Zuschauer wird hingelenkt zu etwas, das dramaturgisch, handlungsweisend gar nicht dazu gehört. Und wahrscheinlich ist dies ein Fehler, eine unnötige Verrätselung. Natürlich wird in der mongolischen Jurte ein Gegengewicht geschaffen – eines aber, das den Film aus seiner Balance zu werfen droht. Was den Film in seinen letzten Szenen fast kollabieren lässt.

Um als Zuschauer den Film so richtig wirken lassen zu können, der aufrüttelnd, verstörend, emotional berührend und moralisch herausfordernd ist, ist es am besten, den inneren Schneidetisch aus der Ecke zu holen und die wenigen Szenen, die das Verstörende durch Mystifikation stören, einfach im Kopf herauszuschneiden. Jeder für sich, auf seine Weise. Und dann wird jeder für sich seinen perfekten Film finden.
 

Schau mich nicht so an (2015)

Regisseurin Uisenma Borchu war fasziniert von ihrer Bekannten Catrina Stemmer: Wie sie ihr Leben stemmt! Eine starke Frau, die sie unbedingt filmisch porträtieren wollte. Aus diesem Projekt entwickelte sich kein Dokumentarfilm, sondern eine filmische Schilderung von Anfechtungen, von Versuchungen, von emotionalen und ganz realen Bedrohungen – ein durchaus erotisches, insbesondere aber moralisches Spiel.

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