Projekt A

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Anarchie ist machbar, Herr Nachbar!

Moritz Springer und Marcel Seehuber gehen in Projekt A dem anarchischen Gedanken nach. Und schaffen ein filmisches Porträt nicht der Anarchie, sondern der Anarchisten. Eine Geschichte nicht der Möglichkeiten, der Notwendigkeiten, auch des Scheiterns, sondern eine Schilderung des Vollbrachten, der Initiative, der Aktion, der Ideen, des Erfolgs.
Die Welt ist aus dem Ruder, jeden Abend in den Nachrichten können wir das sehen: Keiner scheint zu wissen, wie es wohin weitergehen soll, doch alle treiben den Karren voran. Die Politik, die Wirtschaft, die ganze Gesellschaft kommt nicht raus aus dem Hamsterrad der Wirklichkeit, wie sie sich uns präsentiert. Vielleicht muss man einfach aussteigen, um an die Futternäpfe zu kommen?

Anarchistische Aktivisten: Das sind diese Aussteiger. Sie haben vielleicht noch nicht gefunden, was sie suchen – aber vielleicht sind sie auf dem Weg dahin. In Projekt A betrachten Springer und Seehuber verschiedene anarchistische Initiativen, die mit durchaus unterschiedlichen Ansätzen ihre Ablehnung des bestehenden hierarchischen Systems, die Abwendung vom Staat, von Macht und Unterdrückung leben, die ihre Idee von individueller Freiheit in einer brüderlichen Gesellschaft zu verwirklichen suchen.

Der Stadtteil Exarchia in Athen wurde 2009 besetzt, ist bis heute belagert von Spezialkräften der Polizei. Gewalt ist das Mittel der Existenzsicherung: Denn, so eine der Aktivistinnen, die Debatte müsste sich um Oppression, um das Zusammenleben, um die Umwelt drehen, nicht darum, ob hier oder da Autos brennen. Das Gewaltmonopol des Staates wird als Mittel zur fortwährenden Unterdrückung heftigst abgelehnt – und im Inneren des Viertels wird kooperativ ein Park umgestaltet, von jedem nach seinen Möglichkeiten, für jeden nach seinen Bedürfnissen. Gelebte Utopie – mit unschönen Begleiterscheinungen wie brennenden Feuerwehrwagen, die zum Löschen eines brennenden Autos ausgerückt waren.

Hanna Puddig in Deutschland weiß aus eigener Erfahrung: Wenn man aus pazifistischem Idealismus Fahrzeuge der Bundeswehr beschädigt, sollte man sich nicht erwischen lassen. Sie ist so etwas wie Profi-Aktivistin, reist von hier nach da, um Agitation zu lehren, die Gesellschaft zu erklären, kleine Zellen aufzubauen und zu unterstützen. Mit ihr sind die Regisseure unterwegs bei einer Aktion gegen Atommülltransporte – „embedded journalists“ beim Anketten an Gleise, eine Störaktion, die Sand ins Getriebe des Systems streuen soll. Einer der Höhepunkte des Films: Planung, Durchführung der Aktion, Losschneiden durch Polizeikräfte, wir sind mitten drin.

Friedlicher und auch institutionalisierter in Spanien – dort ist die Strukturierung der Anarchie kein Widerspruch in sich, sondern eine Tradition, die aus den 1930er Jahren stammt – bis der Bürgerkrieg die links-anarchische Bewegung brutal zerschlug. Noch heute gibt es ein nach anarcho-syndikatistischen Maßstäben aufgebautes Gewerkschaftswesen, in dem nicht repräsentative, sondern direkte Demokratie für eine Entscheidungsfindung direkt an der Basis sorgen. Und ein landesweites Netzwerk anarchischer Kooperativen, die nicht gegen, sondern innerhalb der staatlichen Strukturen an der Veränderung – vielleicht auch Abschaffung – des Staates arbeiten. Beispielsweise durch den Erwerb von Land zum Aufbau eines autonom-ökologischen Dorfes. Eine Utopie, die zu verwirklichen Kraft und Beharrungsvermögen braucht – wir sehen die verfallenen Ruinen mitten im Wald, die einmal dieses Eco-Village sein sollen –, die aber nicht außerhalb der Machbarkeit steht.

Nach anarchistischen Ideen, aber ohne sich der Anarchie zu verschreiben, funktioniert ein Projekt in München: Das Kartoffel-Kombinat ist eine Gärtner-Genossenschaft, in der von der Saat bis zur Ernte jeder sich einbringen kann auf die Weise, die ihm passend erscheint, von Arbeitskraft bis zu finanziellen Mitteln – und die die herkömmlichen ökonomischen Strukturen des Handels und der Wirtschaft aushebelt durch selbstverwalteten, autonomen Anbau zur Versorgung mit Lebensmitteln. 450 Familien haben sich zum Zeitpunkt des Drehs beteiligt – inzwischen, ein Jahr später, sind es schon 700.

Die anarchische Utopie – sie muss nicht unerreichbar sein. Zumindest im Kleinen (und unter Gleichgesinnten) kann die herrschaftsfreie Gesellschaft funktionieren. Beispiele gibt es, wie man sieht, von gewalttätig bis pragmatisch. Radikal ist das alles – aber das Radikale muss keinen negativen Beiklang haben, wenn die Gesellschaft an der Wurzel gepackt und vielleicht nicht ausgerissen, aber immerhin kräftig durchgeschüttelt wird.

Projekt A

Moritz Springer und Marcel Seehuber gehen in „Projekt A“ dem anarchischen Gedanken nach. Und schaffen ein filmisches Porträt nicht der Anarchie, sondern der Anarchisten. Eine Geschichte nicht der Möglichkeiten, der Notwendigkeiten, auch des Scheiterns, sondern eine Schilderung des Vollbrachten, der Initiative, der Aktion, der Ideen, des Erfolgs.
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Meinungen

Frans Stummer · 31.07.2015

Das ist der springende Punkt des Films: daß wir uns nicht irreführen lassen von der gewünschten Meinung, es wäre nichts anderes möglich als die Sackgasse der Lemminge, in die uns die Interessenvertreter schubsen wollen. Wir sollen nichtmal wagen etwas anderes zu denken, geschweige denn handeln oder -oh schreeck! - gemeinsam mit anderen. Wir sollen gefälligst pleite, depressiv, aggro und vor allem immer hübsch gegeneinander sein. Danke, Filmemacher!