Mein Leben - Ein Tanz

Eine Filmkritik von Beatrice Behn

Die Leidenschaft der wilden Frau

Wenn La Chana tanzt, dann beben nicht nur ihre Füße und ihr Körper, dann bebt die ganze Welt. Denn wenn La Chana tanzt, dann mit purer Leidenschaft und lodernder Inbrunst. Und mit fast unmenschlicher Kraft und Ausdauer. Sie ist die Königin des Flamencos, die Schnellste, die Stärkste, die Beste. Das klingt nach übertriebener Lobhudelei, doch ein Auftritt von ihr genügt und man weiß, dass es stimmt. Auf dem Tanzparkett ist sie eine wilde Frau, unabhängig, stolz und mächtig. Und genau so beginnt Lucija Stojevics prämierter Dokumentarfilm Mein Leben — Ein Tanz. Mit einem Tanz, der das Publikum sofort mit Leidenschaft, Schönheit und Kraft überwältigt. Doch die wilde Frau des Flamencos hat große Verluste erlitten – und von ihnen erzählt Stojevic in ihrem zarten Film.

La Chana bedeutet „die Weise“ in caló, der Sprache der spanischen Gitanos (Roma vom Stamme der Kalé), die den Flamenco in Spanien bis heute stark beeinflussen und dominieren. Schon als Kind wusste La Chana, die eigentlich Antonia heißt, dass sie Tänzerin werden will. Nicht die Rumba, die damals, Anfang der 1950er Jahre in aller Munde war, war es, die ihre Leidenschaft auflodern ließ, sondern der Flamenco. Und sie war begabt. Sehr begabt. Bis heute kann niemand so schnell die Füße bewegen und so viele polymorphe Rhythmen gleichzeitig bedienen wie La Chana. Ihre Schnelligkeit und Kraft wurden nur getoppt von ihrem außergewöhnlichen Talent, sich so in den Rhythmus fallen zu lassen, dass sie niemals Choreographien einüben musste. Wenn La Chana tanzt, dann aus der eigenen Seele heraus, immer improvisiert, immer aus Leidenschaft. Doch zur Leidenschaft gehört auch das Leiden – und davon hat diese Frau mehr als genug erlebt, wurden sie und ihre Kunst doch in eine Gesellschaft geboren, die sie fast ihr gesamtes Leben lang immer wieder limitiere. Denn Gitana zu sein bedeutet, in eine Großfamilie und Kultur hineingeboren zu sein, in denen nur ein einziger das Sagen hat: der Mann. So war es erst ihr Vater, der ihr das Tanzen verbieten wollte, denn nur „schmutzige Frauen“ stellen sich zur Schau. Doch mithilfe ihres Onkels gelang ihr ein Start und Durchbruch in der Flamenco-Szene. Der Vater allerdings wurde abgelöst von ihrem Ehemann, einem ungestümen Mann, den sie mit nur 18 Jahren nach einer versehentlichen Schwangerschaft heiraten musste. Er war fortan ihr Manager. Und je berühmter sie wurde, desto gewalttätiger wurde er.

Was Lucija Stojevics Film vorzuwerfen ist, ist ihr fehlendes Gespür für das große Bild. Eng bleibt sie bei La Chana und ihrer Kunst, bei ihrer Leidenschaft zum Tanz und ihrer persönlichen Biografie. Eine legitime Wahl, aber eine lamentable, ist La Chanas Geschichte doch eigentlich viel erstaunlicher, wenn man sie im politischen Kontext betrachtet. Man muss sich das einmal vorstellen: eine Frau mit „Migrationshintergrund“, die zu einer ethnischen Minderheit gehört, die während des nationalsozialistischen Franco-Regimes, das Gitanos konstant diskriminierte, zur Königin des Flamencos wird. Die die größten Hallen füllt, ständig im Staatsfernsehen auftritt und im Ausland das Land mit ihrer Kunst vertritt. Was hätte diese Frau zu sagen über die Verrücktheit dieser Situation. Hätte man sie gefragt.

Doch dazu kommt es nicht. Vielmehr arbeitet sich der Film eng und chronologisch am künstlerischen Werdegang La Chanas ab, der sich anhand zahlreicher Archivaufnahmen und Fernsehauftritte, Fotos und Gemälde hervorragend bebildern lässt. Wenige Worte findet die inzwischen betagte Frau für ihr großes Leid. Fast wäre sie nach Hollywood gegangen. Peter Sellers, der sie entdeckte, wollte sie dort groß herausbringen. Doch ihr Ehemann intervenierte. Und auf dem absoluten Höhepunkt ihrer Schaffenskraft und Berühmtheit zog er dann die Notbremse und zwang sie zum Aufhören. Mit knapp 31 Jahren musste sie alles beenden und den geliebten Tanz, das Einzige, was sie glücklich machte, und das Einzige, bei dem diese wild flammende Frau Freiheit erlangen konnte, beenden. Es gibt wohl keine Worte für solch einen Schmerz, den man als ZuschauerIn viszeral mitfühlen kann, hat man bis dahin doch so viele ihrer grandiosen Auftritte miterleben können. Wie viele grandiose Frauen wie sie wurden wohl zurückgehalten? Wie viele unterminiert, zermalmt? In ihrer Geschichte rührt sich noch viel mehr als nur der individuelle Schmerz.

Doch es gibt einen Trost. Im Alter ist das Leben besser, auch wenn sie zu fragil ist, um im Stehen zu tanzen. Ihre Tochter ist eine treue Begleiterin, ihr zweiter Ehemann, der erste ließ sie schließlich sitzen, ist ein freundlicher Mann. Und man hat sie nicht vergessen. Einen letzten Auftritt soll sie machen. Die Kamera begleitet sie bei den Vorbereitungen zu einem Flamenco im Sitzen, der den Saal zum Brennen bringen soll. Der Tanz hat sie wieder und sie hat, trotz allem, immer noch ihn.

Eine wirkliche starke Persönlichkeit hat Lucija Stojevic für ihr Künstlerinnen-Portrait gefunden. Allein die Präsenz dieser Frau macht den Film schon zu einem Erlebnis. Doch er lässt das Publikum auch unbefriedigt zurück, denn letztendlich bleibt er doch etwas oberflächlich, so dass man, erweckt und angefüllt mit der lodernden Leidenschaft La Chanas, aus dem Kino kommt und sich wünscht, da wäre mehr gewesen. Mehr Tiefe, mehr Einordnung, aber auch mehr La Chana und noch mehr Tanz, Tanz, Tanz.
 

Mein Leben - Ein Tanz

Wenn La Chana tanzt, dann beben nicht nur ihre Füße und ihr Körper, dann bebt die ganze Welt. Denn wenn La Chana tanzt, dann mit purer Leidenschaft und lodernder Inbrunst. Und mit fast unmenschlicher Kraft und Ausdauer. Sie ist die Königin des Flamencos, die Schnellste, die Stärkste, die Beste. Das klingt nach übertriebener Lobhudelei, doch ein Auftritt von ihr genügt und man weiß, dass es stimmt.

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