Leaning Into the Wind - Andy Goldsworthy (2017)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Schweben lernen

Man muss die beiden wohl als Art Seelenverwandte begreifen: Bereits zum zweiten Mal nach dem damals bahnbrechenden Rivers & Tides (2001) begleitet der Regisseur Thomas Riedelsheimer den Land-Art-Künstler Andy Goldsworthy bei der Arbeit und gewährt dabei Einblicke in einen kreativen Schaffensprozess, der ebenso faszinierend wie einzigartig ist und der stets über die Sphäre der Kunst hinausweist. Weil die Vergänglichkeit, diese conditio humana, darin eine zentrale Rolle spielt. Und genau dieser Faktor des Werdens und Vergehens gibt auch im Falle von Leaning into the Wind dem Film selbst eine Bedeutung, die über die reine Abbildung hinausgeht und auf das Bewahrende gerade im dokumentarischen Schaffen verweist.

Der Plan einer neuerlichen Annäherung an das Werk Andy Goldsworthys entstand bereits im Jahre 2011, als der Künstler und der Filmemacher sich erneut begegneten und bemerkten, dass die Neugier aufeinander immer noch vorhanden war. Vieles hatte sich in der Zwischenzeit verändert, Goldsworthy und seine langjährige Ehefrau hatten sich voneinander getrennt, es gab eine neue Frau in seinem Leben und mit ihr auch gemeinsame Kinder. Und seine Tochter Holly war zu seiner engsten Mitarbeiterin geworden. Das alles hat seine Arbeiten verändert, die neuen Lebensumstände hatten sich in seine Werke eingeschrieben, die sich nun nicht mehr nur in der freien Natur, sondern auch im urbanen Raum wiederfinden und verschwinden. Zudem fällt auf, dass Goldsworthy zunehmend seinen eigenen Körper zum künstlerischen Material macht — wenn er etwa in dem titelgebenden Werk sich in den schottischen Highlands so sehr in den Wind lehnt, dass er von diesem getragen wird, ohne dabei hinzufallen. Was natürlich nicht immer und auf Anhieb gelingt.

Doch das Scheitern und das Vergehen sind Goldsworthys Werken sowieso seit jeher eingeschrieben – nur dass diese Aspekte, so hat es den Anschein, nun noch einmal deutlicher zum Vorschein kommen. Was vielleicht auch daran liegt, dass der Künstler nun 61 Jahre alt ist und Fragen nach der eigenen Vergänglichkeit mit zunehmendem Alter mehr ins eigene Bewusstsein drängen. Dies merkt man beispielsweise bei den Sleeping Stones, die Goldsworthy mit einem Team und schwerem Gerät in Spanien herstellte: In Anlehnung an Felsengräber hat der Künstler hier eine letzte Ruhestätte erschaffen, für die er seine eigenen Maße verwendete. Verändert hat sich auch, dass Goldsworthy nun nicht mehr nur vorwiegend in seiner schottischen Heimat tätig ist, sondern auch in Ländern wie Gabun, den USA, Spanien und Frankreich.

Gerade diese Veränderungen waren es wohl auch, die Riedelsheimers Entschluss förderten, sich erneut dem Wirken Goldsworthys zuzuwenden und den Künstler bei seinen Schöpfungsakten zu begleiten. Die Vertrautheit der beiden ist in den teilweise betörenden Bildern (die Kamera wird ebenfalls von Thomas Riedelsheimer geführt) von Leaning into the Wind ebenso zu spüren wie im Soundtrack von Fred Frith, der den Charakter von Goldsworthys Kunst kongenial nachzeichnet. Der Avantgarde-Musiker – vielleicht einer der wichtigsten zeitgenössischen Vertreter dieser Musikrichtung von den britischen Inseln – verwebt ebenso wie der Land-Art-Künstler Vorgefundenes mit Komponiertem und ist darin ein weiterer Bruder im Geiste, so dass man insgesamt den Eindruck gewinnen könnte, dass Goldsworthys ganzheitlicher Ansatz sich auch auf den Film selbst übertragen hat.

Freilich ist bei solch einer Herangehensweise wenig Platz für Distanz oder kritisches Hinterfragen: Riedelsheimer ist unübersehbar ein Fan von Andy Goldsworthy, mehr noch vielleicht ein Freund, ein Bewunderer und ganz gewiss auch Seelenverwandter. Insofern verwundert es kaum, dass in Leaning into the Wind niemand anders Auskunft über das Schaffen gibt als der Künstler selbst. Klar auch, dass Fragen nach dem Kunstmarkt und den wirtschaftlichen Erfordernissen bei einem fast ausschließlich auf die Vergänglichkeit seiner Kreationen abzielenden Künstler ebenso wenig eine Rolle spielen – dabei drängt sich ja gerade dieser Aspekt förmlich auf. All das wird aber bei Leaning into the Wind, den man am ehesten mit einer filmischen Monographie vergleichen könnte, nicht verhandelt.

So ist Thomas Riedelsheimers neuer Film unzweifelhaft ein Werk, das sich vor allem an Fans von Andy Goldsworthy richtet. Leaning into the Wind allerdings allein darauf zu verkürzen, wäre dem Film sicherlich nicht angemessen. Die Poetik und Vergeistigung, die in Goldsworthys Arbeiten liegt, sowie seine niemals als politisches Statement klar vorgetragene, doch stets subliminale Suche nach einem Zustand der perfekten Balance und des Schwebens und seine Ehrfurcht vor der Natur sind etwas, das sich selbst auf solche Zuschauer überträgt, die das Werk dieses Ausnahmekünstlers bislang nicht kannten.
 

Leaning Into the Wind - Andy Goldsworthy (2017)

Man muss die beiden wohl als Art Seelenverwandte begreifen: Bereits zum zweiten Mal nach dem damals bahnbrechenden „Rivers & Tides“ (2001) begleitet der Regisseur Thomas Riedelsheimer den Land-Art-Künstler Andy Goldsworthy bei der Arbeit und gewährt dabei Einblicke in einen kreativen Schaffensprozess, der ebenso faszinierend wie einzigartig ist und der stets über die Sphäre der Kunst hinausweist. Weil die Vergänglichkeit, diese conditio humana, darin eine zentrale Rolle spielt.

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Meinungen

Kim · 27.12.2017

Ein schöner Riedelsheimer-Film über Goldsworthy mit Fred Frith-Musik. Also nix wirklich Neues. Aber wieder schön anzusehen mit vielen meditativen Bildern, vielen Schafen und einem Mann in Bäumen und Hecken.
Goldsworthy beeindruckt mit seiner oft kindlich wirkenden Entdeckungsfreude und seinem knallharten Arbeits- und Durchhaltewillen.
Die Eierphase scheint abgeschlossen. es hat die halbe Eier-, halbierte Steine- und Scheidenphase begonnen.
Freue mich schon auf den dritten Film in so zehn Jahren!